Von Klaus Pokatzky

Die Feuilletons beschäftigen sich ausführlich mit dem neuen Buch von Thilo Sarrazin. Außerdem geht es um einen CSU-Stadtrat, der mit der Versteigerung seiner Eintrittskarten für die Wagner-Festspiele Geld verdient hat.
"Ein Bayreuther CSU-Stadtrat hat seine beiden Eintrittskarten für die Wagner-Festspiele bei Ebay versteigert."

Das mussten wir aus dem Berliner TAGESSPIEGEL erfahren.

"Er erhielt dafür rund 1500 Euro; bezahlt hatte er rund 400 Euro."

Macht einen Reingewinn von 1100 Euro. So weit sind wir gekommen in Deutschland, dass unsere Politiker ihr karges Leben auf diese Weise finanzieren müssen. Es geht abwärts mit Deutschland. Früher hätte es so etwas nicht gegeben.

Früher war Karstadt.

"Kinder lernten bei Karstadt Rolltreppe fahren, die Lautsprecherdurchsage 'Bitte 268 zur 211' sollte fortan ihr Leben begleiten."

Daran erinnerte uns die Tageszeitung TAZ in einem Abgesang auf einen Kaufhauskonzern, um dessen Existenz nun gerungen wird.

"Es war die Welt der alten Bundesrepublik, zu der Karstadt so selbstverständlich gehörte wie Filterkaffee und Römertopf,"

schrieb Kirsten Küppers – und gab gleich noch eine Liebeserklärung an die legendären Kaufhaus-Verkäuferinnen in den alten Zeiten.

"Es waren großbusige Damen mit stabilen Frisuren und einem Selbstbewusstsein aus Beton."

Das war, als der kleine Thilo Sarrazin in Recklinghausen das altsprachliche Gymnasium Petrinum besuchte und Deutschland noch nicht von den Muslimen zugewandert und unterwandert war. Damals hätte er sich wohl kaum träumen lassen, dass er später einmal Berliner Finanzsenator würde und Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank und eines Tages ein Buch würde schreiben müssen, um Deutschland zu retten – mit dem Titel: "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen."

"Menschen, die jahrelang in der Politik tätig waren und das Gefühl von Macht kennen, akzeptieren es nicht, einfach aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit zu verschwinden."

Das lasen wir im Interview mit der Wochenzeitung RHEINISCHER MERKUR zum Politiker an sich.

"Wer dann durch eine Abwahl oder einen anderen Vorfall seine Ämter verliert, ist auf einmal aus allem raus und fühlt sich wie ein Junkie, der nicht mehr an seinen Stoff kommt."

Das sagte Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, der sich mit Politikern auskennt, vor allem mit Finanzpolitikern, denn er war jahrelang der PR-Berater von Bundesfinanzminister Hans Eichel. Der Name Sarrazin wird in dem Interview des RHEINISCHEN MERKUR nicht erwähnt.

"Haben Sie seit einigen Tagen ein ungutes Gefühl","

fragte uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG,

""verspüren Sie ein diffuses Unbehagen, eine Verlustangst, eine ins Unfassliche ausgreifende Sorge?"

Die NEUE ZÜRCHER fragte das einen Tag, nachdem der "Spiegel" und die "Bild"-Zeitung Auszüge aus dem Buch von Thilo Sarrazin abgedruckt hatten. Die NEUE ZÜRCHER erwähnte den Namen Thilo Sarrazin in ihrem Artikel nicht, es ging um ganz anderes, es war aber auch von "Paralleluniversen" die Rede. Es ist schon seltsam, was man aus Artikeln mit ganz anderen Themen alles so lesen kann und sofort denkt: Thilo Sarrazin und sein Buch.

"Dieses Buch ist das Buch eines Besessenen."

Das stand in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.

"Man darf kein Ausländer sein, auch kein fettes Mitglied der bundesrepublikanischen Unterschicht."

So fasste Arno Widmann die 464 Seiten zusammen.

"Achtung! Achtung! Achtung!"

Tönte und höhnte die TAZ.

"Seine Alarmiertheit Thilo Sarrazin, Bundesbanker, befürchtet im Majestätsplural, dass wir alle aussterben und durch Kopftuchträgerinnen ersetzt werden."

Man könnte Sarrazins Buch auch so zusammenfassen: Deutschland stirbt aus, weil die Gebildeten, die "Intelligenten", immer weniger Kinder kriegen, während sich die Ungebildeten, die Dummen, vor allem die Muslime, vermehren wie verrückt.

"Ausführlich und mit entschieden antimuslimischer Pointe referiert Sarrazin darin die soziobiologischen Annahmen über die genetischen Grundlagen der Intelligenz","

lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.

""Das ganze Buch liest sich wie ein antimuslimisches Dossier auf genetischer Grundlage. Wie ein verdeckt operierender Detektiv versucht Sarrazin, aus 'elementarer Sicht' belastendes Material gegen Türken, Afrikaner und Araber zusammenzustellen","

schrieb Christian Geyer.

""Der Leser versteht: Muslime in unserem Land lassen sich nur integrieren, sofern sie aussterben."

In der neuen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG bemüht sich Frank Schirrmacher auch um Verständnis für den von den Feuilletons und der Politik unisono Abgestraften: "Sarrazin argumentiert aus einer Position der Verzweiflung heraus", schreibt der fürs Kulturelle verantwortliche Mitherausgeber der FRANKFURTER ALLGEMEINEN – aber:

"Er will eine völlig neue politische Debatte auslösen, die im Kern biologisch und nicht kulturell argumentiert."

Denn: "Sarrazins Intelligenzmodell kennt keine spontanen Ausbrüche an Begabung und Talent. Er kann nicht erklären, wieso viele große geistige Leistungen der letzten Jahrhunderte aus bildungsferneren Schichten stammten. Dabei wäre dies der Impuls, mit dem man auch die muslimischen Milieus aufwecken könnte."

Im Kulturressort des "Spiegels" dürften bei den Kollegen die Champagnerkorken geknallt haben. Am Montag durften sie aus Sarrazins Buch die besonders harten Thesen abdrucken. Jetzt, in der neuen Ausgabe, können sie acht Seiten lang auf Sarrazin einschlagen lassen. Einen "rassistischen Anti-Muslim" nennt ihn etwa SPIEGEL-Autor Erich Follath, von "rassistischem Unsinn" schreibt Tarek Al-Wazir, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Hessischen Landtag.

Und in der nächsten Ausgabe kommen dann die Sarrazin-Unterstützer zu Wort – oder vielleicht er selber noch mal im Interview. Was hat noch mal Klaus-Peter Schmidt-Deguelle im Interview mit dem RHEINISCHEN MERKUR gesagt:

"Die Maßstäbe für das, was in der Öffentlichkeit oder im Gemeinwesen als wichtig erachtet wird, haben sich extrem verschoben."

Das Wort "extrem" kennt übrigens keine Steigerungsform mehr.