Von Klaus Pokatzky

Die "FAZ" berichtet von einer Lehrerversammlung in Berlin-Neukölln, die sich mit den Kollegen von der Rütli-Oberschule solidarisiert. Mit Zweisprachigkeit und Integration beschäftigt sich die "SZ". "Für das Zweite verprügelt", schreibt die "Welt" über das ZDF, das Geld an einen Jugendlichen bezahlt haben soll, um eine Prügelei vorzutäuschen.
"Beim Oberammergauer Passionsspiel im Jahr 2010 wird Jesus aus dramaturgischen Gründen in der Abenddämmerung ans Kreuz genagelt."

Das lesen wir in der Tageszeitung DIE WELT - nachdem der Gemeinderat in Oberammergau einen entsprechenden Vorschlag des Spielleiters Christian Stückl abgesegnet hatte:

"Es wird viel emotionaler in der Nacht", begründete Stückl seinen Plan."

Wir geben diese Meldung gerne weiter, sie klingt so normal in diesen Zeiten – doch, was ist heute schon normal?

"Die Berliner Karlsgarten-Grundschule liegt in Neukölln."

So beginnt ein Artikel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und damit landen wir in unserer heutigen tatsächlichen Normalität – jedenfalls scheint sie das zu sein. Es reicht das Wort Neukölln, dann noch Grundschule oder Hauptschule und wir würden uns am liebsten gleich in Oberammergau ans Kreuz nageln lassen.

"Im lichten gelben Neubau der Karlsgartenschule, deren Wände mit schillernden selbstgebastelten Fischen geschmückt sind", schreibt Heinrich Wefing in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN, "haben sich reichlich hundertfünfzig Lehrer aus den umliegenden Grund-, Haupt- und Realschulen Nord-Neuköllns versammelt, um ihre Solidarität mit den Kollegen von der Rütli-Oberschule zu bekunden."

Spätestens hier kommt jetzt Entwarnung. Die Karlsgarten-Grundschule in Neukölln ist nur Ort für eine Lehrerversammlung – nicht ein weiterer Hort von Messerstechereien und Schlägereien, diesmal von Siebenjährigen. Doch:

"Seit fünfundzwanzig Jahren, berichtet ein Lehrer, der aussieht, als lasse er sich nicht leicht aus dem Gleichgewicht bringen, unterrichte er an der 2. Grundschule, in einem Hinterhof am Hermannplatz. Neunzig Prozent der Kinder dort stammten aus Familien mit 'Migrationshintergrund'. Neunzig Prozent. Sogleich gibt es Zwischenrufe, fast wie bei einer Versteigerung: 'Bei uns sind's zweiundneunzig Prozent!' - 'Bei uns vierundneunzig Prozent.'"

Merke: Statt Lehrer in Neukölln lieber Jesus in Oberammergau mit Nagelung zur Not auch rund um die Uhr.

"Schluss mit dem Placebo", " ruft die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: " "Zweisprachigkeit hilft nicht der Integration."

Der Soziologe Hartmut Esser wendet sich gegen die Vorstellung, wenn etwa die neunzig Prozent der Neuköllner Schüler mit "Migrationshintergrund" zusätzlich zu ihrer Muttersprache richtig Deutsch lernten, hätten sie mit zwei Sprachen besonders gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt:

"Sprachen haben, anders als das meist in den multikulturellen Diskursen angenommen wird, keineswegs alle den gleichen Wert. Manche Sprachen sind weltweit verwendbar, wie inzwischen Englisch, andere dagegen deutlich weniger, wie Deutsch, Finnisch oder Rumänisch."

Fazit des Soziologen der Universität Mannheim, von dem im Herbst das Buch "Migration, Sprache und Integration" erscheint:

"Das Problem der Integration ist nicht der Erhalt der Muttersprache, sondern der oft eklatante Mangel an Gelegenheiten für den Erwerb der Landessprache mit allem, was daran hängt."

Und noch einmal in unseren schulischen Alltag. "Gewaltbilder gegen Geld?", fragt der Berliner TAGESSPIEGEL. "Bezahlte Bande", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG – ohne Fragezeichen. "Für das Zweite verprügelt", schreibt DIE WELT. Und in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN lesen wir:

"Für einen ZDF-Film über Gewalt in einem Hamburger Problemviertel wurden dreihundert Euro an einen beteiligen Jugendlichen und eine Familie bezahlt. 'Die Produktionsfirma hat an einen jugendlichen Informanten eine Aufwandsentschädigung von zweihundert Euro bezahlt', sagte ZDF-Programmbereichsleiter Norbert Lehmann. Die Familie eines weiteren Jugendlichen habe hundert Euro erhalten. Einer der Jungen sagte dem 'Hamburger Abendblatt', er habe Geld erhalten und sollte dafür eine Prügelei vortäuschen."

Wir sehnen uns nach Oberammergau. Dort ist es friedlich. Dort wird Jesus erst in der Abenddämmerung ans Kreuz genagelt. Aus dramaturgischen Gründen. Aber nicht fürs Fernsehen.