Von Kolja Mensing
Die deutschen Feuilletons befassen sich mit dem Urheberrecht im Internet und den Missbrauchsfällen am Berliner Canisius-Kolleg.
Die "FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG" nimmt Helene Hegemann erst einmal in Schutz. Die Autorin sei so jung, dass man ihr eine gewisse Unbedarftheit zugestehen müsse, schreibt Felicitas von Lovenberg. Auf die Argumentation, dass es im digitalen Zeitalter ein "Recht auf das Kopieren" gebe, will sie sich allerdings nicht einlassen. Man könne nur hoffen, so Lovenberg, dass der Fall Hegemann "einen Reifeprozess gerade in jenem Bereich einläuten" werde, in dem "bisher in Urheberrechtsfragen nur Chaos herrscht – im Internet."
Man muss an dieser Stelle auch zwischen den Zeilen lesen: Nicht nur die "FAZ", sondern auch eine ganze Reihe von anderen Zeitungen und Verlagshäusern sehen sich bekanntlich selbst als Opfer der vermeintlichen Selbstbedienungskultur im Netz – und machen unter anderem Front gegen den Suchmaschinen-Betreiber Google, der seine "News"-Seiten mit den Online-Angeboten der Printmedien bestückt, ohne dafür zu bezahlen.
Kein Wunder also, dass auch die "WELT" kein Verständnis für Helene Hegemanns Bekenntnis zum Plagiat 2.0. hat. Dass dabei immer auch handfeste materielle Interessen im Spiel sind, wird allerdings ausdrücklich bestritten: Von dem "angeblich unzeitgemäßen Urheberrecht" würden gerade nicht die Konzerne profitieren, schreibt Wieland Freund und wird dann richtig pathetisch: "Es dient in erster Linie etwas Unbezahlbarem: der Gerechtigkeit nämlich."
Das Kontrastprogramm liefert die "SÜDDEUTSCHE ZEITUNG" – allerdings ohne Bezug auf Helene Hegemann.
Der englische Publizist und Trendforscher Charles Leadbeater will von einem strengeren Urheberrecht nichts wissen: In einem euphorischen Beitrag beschreibt er das Internet als eine große digitale Wolke, in der die unterschiedlichsten Inhalte produktiv durcheinandergewirbelt würden: "cloud culture" nennt Leadbeater diese neue, hochkreative Form der Kultur – und warnt mit Blick auf Filesharing und illegale Downloads ausdrücklich vor verschärften Kontrollen und härteren Strafen.
Auch darüber müsste man länger diskutieren, doch an diesem Montag dominiert ein zweites, dunkleres Thema die Feuilletons: die Missbrauchs-Vorwürfe gegenüber katholischen Geistlichen.
Im aktuellen "SPIEGEL" meldet sich Ferdinand von Schirach zu Wort, Rechtsanwalt und Schriftsteller. Schirach war von 1974 bis 1984 Schüler im Jesuiten-Kolleg Sankt Blasien, einem der Internate also, die jetzt in die Schlagzeilen geraten sind.
Wer neue Enthüllung erwartet – und wer würde das zurzeit nicht? – der wird enttäuscht: Von Schirach erinnert sich an eine fast idyllische Schulzeit. Erst wenn man den Text ein zweites Mal liest, bemerkt man die alltägliche, man muss wohl sagen: ganz normale Gewalt, die den Alltag im Internat beherrscht hat: die eingenähten Wäschenummern, die Zöglinge in namenlose Gefängnisinsassen verwandelten, die Ohrfeigen, die die Padres verteilten, durchwachte Nächte, in denen die Schüler als Strafe für einen Verstoß gegen die Hausordnung das gesamte Johannesevangelium abschreiben mussten.
Das Internatsleben, das von Schirach beschreibt, würde man eigentlich eher im 19. Jahrhundert ansiedeln, und vielleicht trifft einen dieser Text, in dem von Missbrauch gar keine Rede ist, darum dennoch besonders hart.
Tatsächlich hat die katholische Kirche den Anschluss an die Gegenwart mittlerweile so weit verloren, dass selbst vermeintlich liberale und kritische Stimmen wie ein Echo längst vergangener Zeiten klingen:
Die "TAZ" druckt ein Interview mit Pater Klaus Mertes, dem Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, der die ersten Missbrauchsfälle öffentlich gemacht hatte. Unter anderem geht es in dem Gespräch um die Haltung der Kirche gegenüber der Schwulen und Lesben. Die katholische Kirche, erklärt Mertes, müsse hier eine Grundsatzentscheidung treffen: "Ist sie in der Lage sich vorzustellen, dass Gott auch homosexuelle Menschen erschafft und sie mit ihrer Homosexualität zur guten Schöpfung gehören?"
Kaum zu glauben, dass diese Frage im Jahre 2010 überhaupt noch gestellt werden muss.
Man muss an dieser Stelle auch zwischen den Zeilen lesen: Nicht nur die "FAZ", sondern auch eine ganze Reihe von anderen Zeitungen und Verlagshäusern sehen sich bekanntlich selbst als Opfer der vermeintlichen Selbstbedienungskultur im Netz – und machen unter anderem Front gegen den Suchmaschinen-Betreiber Google, der seine "News"-Seiten mit den Online-Angeboten der Printmedien bestückt, ohne dafür zu bezahlen.
Kein Wunder also, dass auch die "WELT" kein Verständnis für Helene Hegemanns Bekenntnis zum Plagiat 2.0. hat. Dass dabei immer auch handfeste materielle Interessen im Spiel sind, wird allerdings ausdrücklich bestritten: Von dem "angeblich unzeitgemäßen Urheberrecht" würden gerade nicht die Konzerne profitieren, schreibt Wieland Freund und wird dann richtig pathetisch: "Es dient in erster Linie etwas Unbezahlbarem: der Gerechtigkeit nämlich."
Das Kontrastprogramm liefert die "SÜDDEUTSCHE ZEITUNG" – allerdings ohne Bezug auf Helene Hegemann.
Der englische Publizist und Trendforscher Charles Leadbeater will von einem strengeren Urheberrecht nichts wissen: In einem euphorischen Beitrag beschreibt er das Internet als eine große digitale Wolke, in der die unterschiedlichsten Inhalte produktiv durcheinandergewirbelt würden: "cloud culture" nennt Leadbeater diese neue, hochkreative Form der Kultur – und warnt mit Blick auf Filesharing und illegale Downloads ausdrücklich vor verschärften Kontrollen und härteren Strafen.
Auch darüber müsste man länger diskutieren, doch an diesem Montag dominiert ein zweites, dunkleres Thema die Feuilletons: die Missbrauchs-Vorwürfe gegenüber katholischen Geistlichen.
Im aktuellen "SPIEGEL" meldet sich Ferdinand von Schirach zu Wort, Rechtsanwalt und Schriftsteller. Schirach war von 1974 bis 1984 Schüler im Jesuiten-Kolleg Sankt Blasien, einem der Internate also, die jetzt in die Schlagzeilen geraten sind.
Wer neue Enthüllung erwartet – und wer würde das zurzeit nicht? – der wird enttäuscht: Von Schirach erinnert sich an eine fast idyllische Schulzeit. Erst wenn man den Text ein zweites Mal liest, bemerkt man die alltägliche, man muss wohl sagen: ganz normale Gewalt, die den Alltag im Internat beherrscht hat: die eingenähten Wäschenummern, die Zöglinge in namenlose Gefängnisinsassen verwandelten, die Ohrfeigen, die die Padres verteilten, durchwachte Nächte, in denen die Schüler als Strafe für einen Verstoß gegen die Hausordnung das gesamte Johannesevangelium abschreiben mussten.
Das Internatsleben, das von Schirach beschreibt, würde man eigentlich eher im 19. Jahrhundert ansiedeln, und vielleicht trifft einen dieser Text, in dem von Missbrauch gar keine Rede ist, darum dennoch besonders hart.
Tatsächlich hat die katholische Kirche den Anschluss an die Gegenwart mittlerweile so weit verloren, dass selbst vermeintlich liberale und kritische Stimmen wie ein Echo längst vergangener Zeiten klingen:
Die "TAZ" druckt ein Interview mit Pater Klaus Mertes, dem Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, der die ersten Missbrauchsfälle öffentlich gemacht hatte. Unter anderem geht es in dem Gespräch um die Haltung der Kirche gegenüber der Schwulen und Lesben. Die katholische Kirche, erklärt Mertes, müsse hier eine Grundsatzentscheidung treffen: "Ist sie in der Lage sich vorzustellen, dass Gott auch homosexuelle Menschen erschafft und sie mit ihrer Homosexualität zur guten Schöpfung gehören?"
Kaum zu glauben, dass diese Frage im Jahre 2010 überhaupt noch gestellt werden muss.