Von Kolja Mensing

Im Feuilleton der „TAZ“ geht es um Entwicklungen in der Pornografie, während sich in den anderen Zeitungen weiterhin alles um den Fall Grass dreht. Für die „SZ“ hat Kurt Kister sich in Blogs umgeschaut, was die junge Generation über das Geständnis des Schriftstellers denkt und fand heraus, dass es ihr ziemlich egal ist.
Mark Terkessidis beschäftigt sich in der TAZ mit den neuesten Trends auf dem Sektor der Pornografie.

Unter der Bezeichnung "Gonzo-Porno" sei eine besonders "schmutzige" Gattung entstanden, erklärt der Autor. Es komme dabei weniger auf Sex an, als darum, vor laufender Kamera die Grenzen des Erträglichen zu überschreiten. Letztlich werde also eine neoliberale Phantasie in Szene gesetzt:

"Die Darstellerinnen sind so etwas wie die Heldinnen eines Regimes der permanenten Überforderung."

"Während es in der eigentlichen Pornografie immer weniger um Körper geht","

führt Terkessidis seinen komplizierten Gedanken dann weiter

"nähert sich der Konsum von Kultur (gleichzeitig) immer mehr dem pornografischen Erlebnis an."

Das kann man getrost auf die Debattenkultur der Feuilletons übertragen. Im Fall Günter Grass geht es mittlerweile nicht mehr um moralische Positionen und klärende Fakten, sondern darum, die Erregungskurve auf hohem Niveau zu halten.

Nachdem DIE WELT nun auch noch die Stasi-Akte des Schriftstellers zum Thema gemacht hat, legt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG darum in der aktuellen Ausgabe kräftig nach.

Grass habe "bestimmte Zonen seiner Seelenlandschaft vorsichtig umschifft. Seine Zeit in der der Waffen-SS war so eine so eine Zone, und vielleicht gab es da auch noch andere Ängste", raunt Constanze von Bullion mit Blick auf das Material im Archiv der Birthler-Behörde.

Etwas kleinlaut muss sie zuletzt allerdings eingestehen, dass die "Akte Grass die Aufregung kaum zu rechtfertigen scheint".

Die ersten Rezensenten haben sich nun auch über Günter Grass’ Erinnerungsbuch "Beim Häuten der Zwiebel" hergemacht – und wirken vor allem genervt.

"Er lässt den Zweifel sprießen und wuchern, bis er fast jede Tatsache unter sich begräbt","

stöhnt Gregor Dotzauer im Berliner TAGESPIEGEL.

""Am liebsten nimmt Grass die Pose des Verfolgten ein", "

ärgert sich Martin Ebel in der BERLINER ZEITUNG.

Was tut’s, die Startauflage mit den ersten 150.000 Exemplaren der Autobiografie ist kurz nach der Auslieferung bereits verkauft.

Grass und kein Ende. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beschreibt ein gewisser Heinz Schindler, der in den 60er-Jahren an einem Werk über die Flakhelfer mitgearbeitet hat, wie er damals, so wörtlich, "Günter Grass auf den Leim ging". Schindler hatte die ach-so-authentischen Passagen über die Flak aus den frühen Romanen des Schriftstellers als historische Zeugnisse in das Buch aufgenommen. Nur dass Grass eben nicht Helfer bei der Flugabwehr war, sondern Angehöriger der Waffen-SS, wie wir heute wissen.

In der SZ sieht Kurt Kister derweil in der "Causa Grass" den Anlass für einen neuen Generationskonflikt: Wenn Altersgenossen wie Ralf Giordano oder Fritz J. Raddatz dem knapp 80-jährigen Schriftsteller zur Hilfe eilten, so Kister, kämpften sie dabei einerseits gegen die 68er mit "ihrem Drang zu urteilen" und andererseits gegen die geschichtslosen Hedonisten der Generation Golf.

Nach den Meinungen der "wirklich Jungen" hat Kister dann in verschiedenen Internet-Blogs gefahndet und musste erstaunt feststellen, dass Günter Grass dort eigentlich kein Thema ist: "Was geht’s mich an", so der Tenor, "wo der alte Zausel im Krieg war…Günther who?"

In der WELT meldet sich zu guter Letzt dann noch der Schriftsteller Richard Wagner zu Wort. Auch er, Jahrgang 1952, gibt an, bisher nicht wirklich daran interessiert gewesen zu sein, "wo oder womit sich Grass 1945 aufgehalten habe".

Jede Debatte in Deutschland sei allein durch die Vergangenheit bestimmt, beschwert sich Wagner. "Alles und jedes" werde am "Dritten Reich" gemessen, bis hin zur Diskussion über Krieg zwischen Israel und der Hizbullah. "Reden wir von der Gegenwart", fordert Richard Wagner:

"Hören wir auf, Israel bei seiner Existenzsicherung Vorschriften zu machen."

Nicht schlecht, Herr Wagner: In einem nicht einmal besonders langen Text den Bogen von Günter Grass bis zum Nahost-Konflikt zu spannen, das ist immerhin ziemlich originell.