Von Labor zu Labor

Es geht um Themen wie die Enstehung des Gehirns oder die biologischen Wurzeln für den Glauben: Andreas Jahn hat informative und unterhaltsame Artikel von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen zusammengestellt, die die Entwicklung des Menschen beleuchten.
Warum kann der Mensch sprechen? Wie gelingt es Affen, soziale Strukturen zu organisieren? Was genau ist Intelligenz? Und empfinden Tiere Mitleid? Zahlreiche Studien machen klar: Die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt. Auch wenn kein Tier wie ein Mensch spricht, ein Kunstwerke erschafft oder den Weltraum erobern will. Trotzdem, Ansätze für das, was den Menschen entscheidend prägt – die Kultur – gibt es auch im Tierreich.

Andreas Jahn, Biologe und Wissenschaftsautor, zeigt, wie facettenreich die Forschung zur Frage nach der besonderen Entwicklung des Menschen ist. Er hat zahlreiche informative und unterhaltsame Artikel von Wissenschaftlern zusammengestellt, die aus verschiedenen Forschungsdisziplinen stammen. Eine äußerst gelungene Auswahl, die beim Lesen großes Vergnügen bereitet. Es entsteht der Eindruck, als würde man über einen großen interdisziplinären Campus von Labor zu Labor wandern, um dort gesprächige Wissenschaftler anzutreffen, die begeistert und anschaulich von ihren Forschungsvorhaben berichten: von der Entwicklung des Gehirns über den Einfluss von Lebenserfahrungen auf unser Erbgut bis hin zur Suche über biologische Wurzeln für den Glauben. Das dürfte sowohl interessierte Laien als auch Experten ansprechen, denn die Darstellungen sind wissenschaftlich und dabei lebendig. Es wird schnell deutlich, warum es zum selben Thema unterschiedliche Positionen gibt und dass Wissenschaft nicht zuletzt ein spannender Dialog ist.

Nicht nur sind die einzelnen Artikel in sich gut aufgebaut, der Herausgeber hat sie auch dramaturgisch klug angeordnet. Was der eine Text für nicht so wichtig hält, macht der folgende zum Hauptargument. So folgt auf einen Aufsatz, der die Intelligenzleistungen von Vögeln beim Verstecken und Wiederfinden von Futter betont, ein Text, der sich mit der Frage beschäftigt, wie weit Tiere doch vom menschlichen Denken entfernt sind. Über abstraktes Denken verfüge nur der Mensch, heißt es dort; tierisches Verhalten sei immer an konkrete Sinneswahrnehmungen gebunden. Besser lässt sich wissenschaftlicher Diskurs kaum nachzeichnen.

Und gleichzeitig lassen uns Sprachforscher, Anthropologen, Neurologen, Psychologen, Biologen und Archäologen auch staunen. In diesem Buch lernt man: Das gleiche Gen, das beim Gesang der Vögel eine Rolle spielt, beeinflusst auch die menschliche Sprachfähigkeit. Oder: Auch Mäuse empfinden so etwas wie Mitleid, wenn sie ihre Artgenossen leiden sehen. Und: Möglicherweise sind wir dem Neandertaler doch viel näher verwandt als bislang angenommen.

Apropos Denken. Möglich, dass wir unsere Potentiale nur besser oder anders nutzen, als es unsere Vorfahren getan haben. Das Gehirnvolumen oder die Anzahl der Nervenzellen allein können nicht der Grund sein für die menschliche Überlegenheit in abstraktem, selbstreflexivem Denken. Wo genau die entscheidende Entwicklung eingesetzt hat; ob es überhaupt einen solchen singulären Punkt gegeben hat, das ist trotz aller Forschung nicht einfach zu beantworten – wie das Buch sehr anschaulich belegt.

Besprochen von Susanne Nessler

Andreas Jahn (Hg.): Wie das Denken erwachte. Die Evolution des menschlichen Geistes
Schattauer-Verlag
158 Seiten, 19,95 Euro