Von Machiavelli zu Putin und Trump

Lügen und Politik für Fortgeschrittene

Trump sagt etwas, Putin steht lächelnd daneben. Vor ihnen ein Schild mit der Aufschrift "Helsinki 2018", hinter ihnen die Fahnen beider Staaten.
Donald Trump und Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz in Helsinki: Sie stünden prototypisch für Formen der machtpolitischen Lüge, so Jörg Himmelreich. © J. Nukari/dpa
Ein Einwurf von Jörg Himmelreich · 24.10.2018
Ich lüge. Du weißt, dass ich lüge. Und ich weiß, dass du weißt, dass ich lüge. So komme man in der internationalen Politik derzeit gut durch, kritisiert Jörg Himmelreich: Eine aktualisierte Form des Machiavellismus, urteilt der Politologe.
Die politische Lüge gibt es, seitdem es Politik gibt. Schon der listenreiche Odysseus eroberte Troja mit seiner Lüge über das hölzerne Pferd. Und Götter und Griechen priesen ihn dafür. Selbst Platons Philosophenkönig als Inbegriff idealer politischer Herrschaft war im Königsamt zur Wahrheit nicht verpflichtet, wenn es das Wohl der Beherrschten erforderte.
So gehört für Demagogen, Autokraten und Diktatoren die politische Lüge zum System ihrer Herrschaft. Mit unerfüllbaren Versprechen lügen sie sich an die Macht, die sie dann nur mit der fortgesetzten Lüge aufrechterhalten können, um zu erklären, warum das Versprochene nicht eintritt.

Trumps Legitimierung durch permanente politische Lügen

Wenn heute der US-Präsident Trump die Vorwürfe gegen seine Lügenherrschaft als "fake news" diskreditiert und "alternative Fakten" einführt, ist er bestrebt, innenpolitisch gegenüber seinen Wählern seine Lügen als die geltende Wahrheit durchzusetzen. Diese innenpolitische Legitimierung seiner Herrschaft mittels der permanenten politischen Lüge zeigt an, in welchem Maße er demagogisch auf Herrschaftsinstrumente politischer Autokratien und Diktaturen zurückgreift. Geradezu beängstigend nähert er sich damit deren auf Lüge gegründetem Herrschaftsmodell.
Unzählige weitere Beispiele ließen sich anführen, wie die politische Lüge auch in Demokratien dazu dient, politische Regierungsmacht zu erlangen oder zu erhalten.
Außenpolitisch erlangen die Überlegungen des Florentiner Renaissance-Philosophen Niccolò Machiavelli derzeit neue Aktualität. Für ihn war die Lüge ein legitimes Mittel im politischen Kampf zwischen Staaten. In einer anarchischen, rechtlosen Staatenwelt gelte das Recht des Stärkeren. Der starke Staat entscheide gegenüber dem schwachen, was Lüge sei und was nicht.

Wenn Europa Putins offensichtliche Lüge schlucken muss

Genau das gilt auch für Putin im Umgang mit der Entlarvung der beiden russischen Agenten, die im März den Giftanschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal im englischen Salisbury verübten. Wegen ihres laienhaften Vorgehens sind ihre Vorbereitung, Durchführung, Abreise und ihre tatsächlichen Namen detailliert aufgedeckt und weltweit bekannt. Dennoch geben beide im September im russischen, gleichgeschalteten Staatsfernsehen vor, nur als kulturinteressierte Touristen an zwei Tagen nacheinander von London nach Salisbury zur Besichtigung einer Kirche gefahren sein.
Dieser von Putin bestätigte Vorwand ist angesichts der dagegen stehenden Beweislage offensichtlich eine Lüge. Doch das ist für Putin kein Problem. Darin drückt sich Machtverständnis Russlands gegenüber dem europäischen Ausland aus. "Ich weiß, dass Ihr wisst, dass ich lüge. Aber ich bin so mächtig, dass Ihr diese Lüge schlucken müsst, und Ihr könnt nichts dagegen tun", so das Raisonnement Putins, mit der wichtigen Botschaft nach innen: Seht wie schwach Europa ist, selbst meine offensichtlichsten Lügen muss es hinnehmen.
Putin geht es dabei, ganz anders als Trump, gar nicht darum eine alternative Wahrheit zu schaffen, - dazu ist sie zu unhaltbar -, sondern darum die anderen Staaten in Europa öffentlich damit zu demütigen, diese unhaltbare Lüge hinnehmen zu müssen. Das ist Machiavellismus in aktualisierter Reinform.
Deswegen ist der von Außenminister Maas maßgeblich mitbeförderte EU-Beschluss so wichtig gegen Personen Restriktionen zu erlassen, die sich an solchen Terroranschlägen mit chemischen Waffen beteiligen wie im Fall Skripal. Diese Restriktionen werden Putin und seine russischen Agenten vermutlich nicht von solchen Anschlägen abhalten. Zu wichtig ist für Putin diese Machtdemonstration nach innen. Aber die EU signalisiert damit: Für uns ist Machiavelli Geschichte.

Der Politikwissenschaftler Jörg Himmelreich schreibt als Autor für die "Neue Zürcher Zeitung" und forscht zu kulturgeschichtlichen und außenpolitischen Themen Russlands und Asiens. Er war Mitglied des Planungsstabs des Auswärtigen Amts in Berlin sowie Gastdozent in Washington, Moskau, und London.

© Peter Ptassek
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