Von Maximilian Steinbeis

Die Feuilletons widmen dem niederländischen Schriftsteller Harry Mulisch unterschiedliche Nachrufe. Im "Spiegel" setzt sich die Autorin Elke Schmitter mit Ernst Jünger auseinander, dem das Deutsche Literaturarchiv Marbach gerade eine Ausstellung widmet.
Die Feuilletons widmen dem niederländischen Schriftsteller Harry Mulisch unterschiedliche Nachrufe. Im "Spiegel" setzt sich die Autorin Elke Schmitter mit Ernst Jünger auseinander, dem das Deutsche Literaturarchiv Marbach gerade eine Ausstellung widmet.

Wie schwierig ist doch das Genre des feuilletonistischen Nachrufs. Harry Mulisch ist tot, und in keiner Zeitung fehlt die Rückschau auf Leben und Werk des niederländischen Großschriftstellers. Das liest sich alles sehr feierlich, und im günstigsten Fall ist der Nachrufer tatsächlich und aufrichtig von Ehrfurcht vor dem Toten und seinem Geschaffenen durchschauert, wie Dirk Schümer, der in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG dem "himmlischen Puppenspieler" und "einzigartigen Talent", ja dem "Genie" Mulisch posthum beim Errichten des eigenen Denkmals assistiert:

"Einmal", " berichtet Schümer, " "( ... ) öffnete er seinem Gast bedeutsam den großen Büro-Safe, in dem nur eine einzige Diskette lag: die Urfassung des Romans, der bereits in allen Schaufenstern lag."

Schümer, daran ist nicht zu zweifeln, liebt Harry Mulisch und seine Bücher aus ganzem Herzen:

"Die immense Kraft dieses Autors, der sich schon in frühester Jugend provokant als Genie zu stilisieren begann, erweist sich an seiner anmutigen Fähigkeit, die Ketten der Politik und Gesellschaft zu brechen und schwerelose Novellistik auf dem Niveau der Romantiker zu verfassen."
Bei anderen ist man nicht so sicher. Paul Jandl in der WELT beispielsweise preist Mulisch für seine

"weitreichenden Metaphern und erzählerischen Volten. Ausgeklügelt ist die Symbolik in den Romanen des Niederländers. Auch wenn sie manchmal wie am Reißbrett gemacht erscheint, entwickelt sie großen erzählerischen Sog."

In diesem Stil würdigt sich der WELT-Autor durch Leben und Werk des Verstorbenen, und man wird das leise Gefühl nicht los, dass derselbe dem Nachrufer in Wahrheit eigentlich ungeheuer auf die Nerven geht. Aber, das ist das Dilemma, das darf man, de mortuis und so weiter, in einem Nachruf nicht sagen.

Großes leistet im Umgang mit diesem Dilemma in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG Dorothea Dieckmann. Wie sie zwischen den widerstreitenden Aufgaben, einerseits die Pietät zu wahren und andererseits als aufrechte Rezensentin dem Lebenswerk eines Künstlers kritisch gerecht zu werden, ihren Weg findet, ist wahrhaft eindrucksvoll zu lesen.

"Vier Aspekte eines ins Grandiose übersteigerten Selbstbewusstseins Mulischs"

sieht die NZZ-Autorin am Werk: Erstens, seine "exemplarische Biografie" als Sohn eines österreichischen NS-Kollaborateurs und einer jüdischen Niederländerin. Zweitens, sein "Konzept vom Autor als kosmischem Demiurg", der sich voll "schöpferischer Potenz" seine literarischen Abbilder erschafft, ihrerseits "lauter männliche Lebensspender und Supermänner". Drittens, die "Konkurrenz" dieses Konzepts "zum weiblichen Schöpfungsprinzip", die Dorothea Dieckmann mit einem Zitat Mulischs belegt, der selbst das "künstlerische Schaffen als Gebärvorgang" charakterisierte. Dann, so wird man wohl schlussfolgern dürfen, muss es sich bei Mulischs Schaffen wohl um etwas anderes als künstlerisches Schaffen handeln, was Dieckmann aber ganz dem Leser anheimstellt. Und schließlich viertens, Mulischs

"Hang zu (meta)physischen Letzterklärungen – etwa in dem Roman "Die Prozedur" ( ... ), dem auch euphorische Kritiker "philosophische Vermessenheiten und metaphorische Maßlosigkeiten" attestierten". "

Dieckmann erspart sich selbst und Harry Mulisch nichts, und wahrt dennoch und vielleicht sogar besser: gerade damit den Respekt vor dem Verstorbenen, seinem Leben und seinem Tod.

Zuletzt noch ein Blick in den SPIEGEL, in dem sich mit Elke Schmitter ebenfalls eine Frau mit einem prononciert männlichen Schriftsteller auseinandersetzt, einem, der seine Nachrufer obendrein ebenfalls allerhand Zumutungen aussetzte, Ernst Jünger nämlich, dem das Deutsche Literaturarchiv Marbach gerade eine Ausstellung widmet.

" "Er nahm sein gelebtes Leben als eine Tatsache hin, die per se mit historischer Würde ausgestattet war", "

wundert sich Elke Schmitter und kommt zu folgendem klugen Schluss:

" "Es ist vermutlich dieses Beharrungsvermögen, diese ungerührte Fähigkeit, mit sich selbst einverstanden zu sein, die Jünger zur Galionsfigur einer deutschen Männlichkeit machte, die keineswegs bildungsfern ist, aber gedanklich auch keine hohen Ansprüche stellt."