Von Maximilian Steinbeis

Die "Welt" druckt ein kleine Dramolett ab, das zeigen soll, wie die Feuilletonredaktion sich auf den 80. Geburtstag Thomas Bernhards vorbereitet. In der "taz" sieht der algerische Schriftsteller Boualem Sansal wenig Hoffnung für sein Heimatland. Und die "Süddeutsche" macht uns mit der Bedeutung von öffentlichen Plätzen vertraut.
Am 8. Februar wäre Thomas Bernhard nicht 80 Jahre alt geworden, und die Tageszeitung DIE WELT bringt deshalb auch keinen Geburtstagsbesinnungsaufsatz zu diesem Anlass. Warum wir das hier erwähnen? Weil die WELT etwas anderes tut, nämlich eine Frechheit begehen, und zwar eine von solcher Eleganz, von solchem Witz und solcher Hinterlist, dass wenn schon nicht Thomas Bernhard, so doch zumindest der Pressebeschauer seine helle Freude daran hat. Ein Dramolett druckt das WELT-Feuilleton an diesem Tag ab, dem Tag vor Bernhards 80. Geburtstag, verfasst von Benjamin von Stuckrad-Barre und handelnd von einer Redaktionssitzung, bei der das Feuilletonressort beratschlagt, was man denn zum Bernhard-Jubiläum um Himmels willen noch Originelles bringen könnte. Hier ein Auszug:

"Der Ressortleiter: Peymann ist mir zu Berlin. Und auch zu wenig überraschend. Wenn wir bis morgen nix anderes haben, können wir immer noch Peymann fragen, aber das wäre die absolute Verlegenheitslösung.
Der Alte Hase: Obwohl, das würde mir gefallen, 'Blablabla, von Claus Peymann. Eine Verlegenheitslösung'. Ist doch schließlich Pflicht, dass man Artikel über Bernhard grundsätzlich mit so einem temperierenden Gaga-Genrebegriff übertitelt, in größenwahnsinniger Analakademikeranmaßung, dergestalt eine ironische Titeltraditionslinie zu 'Holzfällen. Eine Erregung' und so ... hinzuzwinkern, Pfui Deibel!"

Am Ende, das sei verraten, werden sich die Redakteure dann doch auf einen Peymann-Text einigen. Das ist im Drama so, aber nicht im Leben, und dafür sei der WELT und ihrem nie zu unterschätzenden Autor Stuckrad-Barre gedankt.

Die anderen Zeitungen mühen sich redlich, dem Drama des Umsturzes in Ägypten neue Aspekte abzugewinnen. Manche lassen ihren Blick in die Peripherie der von Aufruhr ergriffenen arabischen Welt schweifen, die TAZ etwa in einem Interview mit dem Schriftsteller Boualem Sansal, der für sein Heimatland Algerien wenig Hoffnung auf Veränderung hegt:

"Es wird Aufstände geben und Mobilisierungen, aber ohne den Mächtigen wirklich gefährlich zu werden. Sie haben dank der Erdöleinnahmen Geld im Überfluss und sind somit jederzeit in der Lage, neue Parteien, neue Organisationen, neue Minister, neue Regierungschefs und selbst neue Präsidenten zu fabrizieren."

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schreibt der Autor und Filmemacher Michael Roes über die Zustände im Jemen und deutet die Revolutionsstimmung als Aufstand der unterdrückten Söhne gegen ihre Väter:

"Alle meine Freunde im Jemen können von väterlicher Gewalt erzählen. Und ihre Geschichten gehen nahtlos über in Berichte über Gewalt in Schulen, Heimen und Gefängnissen. Die Wut auf die Demütigungen und Verletzungen der Väter sammelt sich nun in einem Medium, wo sie sich verstärkt zu einer lauten Explosion."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG wiederum fasst nicht die Peripherie, sondern das Zentrum des Geschehens ins Auge, den Tahrir-Platz in Kairo, wo sich die Demonstranten versammeln, und, dahinter, die Idee des Platzes überhaupt. "Die Verdichtung einer Bevölkerung von Privatleuten zur Öffentlichkeit gelingt nur dort, wo Leere geschaffen wird", schreibt Burkhard Müller und lässt in viereinhalb Zeitungsspalten 2000 Jahre politischen Städtebaus am staunenden Leser vorbeiparadieren, von der Athener Agora bis zum Wenzelsplatz in Prag. Nicht jeder Platz, so Müller, eignet sich aber zum Schauplatz revolutionärer Dramen:

"Ein Forum muss es sein, groß genug, um Hunderttausende zu fassen, aber andererseits auch wieder so umschlossen und begrenzt, dass er den Druck der Masse wie ein Dampfkochtopf aufbauen konnte."

Und wie ist es um die Zukunft dieses Platzes bestellt? Bedroht sieht sie der Autor, und zwar nicht von gewalttätigen Autokraten und auch nicht von der Ortlosigkeit des Internet, sondern:

"Was dem Platz wirklich an die Existenz geht, ist das Automobil. Ein Platz ist etwas für Fußgänger. Das Auto degradiert ihn mit Notwendigkeit an den Rändern zur Straßenkreuzung und im Zentrum zum Parkplatz; es verleibt, wo man es nicht aufs Entschiedenste verdrängt, alle Flächen unmittelbar dem Verkehr ein."

Das könnte fast von Thomas Bernhard sein, oder nicht?