Wie Pflanzen Dächer und Fassaden erobern
Ob Berlin, Paris oder Oslo: Überall, wo die Luftqualität zu wünschen übrig lässt, entdecken Stadtplaner die reinigende Kraft der Grünpflanzen. In Stuttgart hat man sogar eine Mooswand errichtet, die dabei helfen soll, gegen den Feinstaub anzukämpfen.
Berlin ist Gastgeber für den Weltkongress "Gebäudegrün". Ein Treffen von 700 Fachleuten rund um die Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung sowie Experten zu Themen wie Stadtklima, Regenwasserbewirtschaftung und Stadt der Zukunft.
Grün am Bauwerk hat Konjunktur. Um dem zunehmenden Verdichtungs- und Versiegelungstrend etwas entgegenzusetzen und aus stadtklimatischen Gründen. Vor allem die Metropolen leiden zunehmend unter Hitzetagen und tropischen Nächten. So entwickeln immer mehr Städte Gründach-Strategien, um das Stadtklima zu verbessern. Auch dort, wo die Luftqualität zu wünschen übrig lässt, hoffen Kommunalpolitiker auf die reinigende Kraft der Grünpflanzen. Und während am Boden der Platz immer enger und teurer wird, eröffnen Freiflächen hoch oben Perspektiven für die Stadtplanung.
Deutschland ist führend in der Forschung und bei der Begrünung, aber solange nur 10 Prozent der neu gebauten Flachdächer begrünt werden, ist noch viel Luft nach oben.
Komplettes Manuskript der Sendung:
Im Schritttempo schiebt sich der Verkehr durch eine Häuserschlucht unweit des Berliner Alexanderplatzes. Es ist heiß, stickig steht die Luft zwischen den Gebäuden.
Auf dem Bürgersteig kämpft Ines Fischer mit ihrem Fahrradschloss. Dann eilt sie ins Foyer der Wohnungsbaugesellschaft WBM, grüßt kurz den Pförtner, geht weiter in den Innenhof:
"Hier ist ja noch mehr dazugekommen, hier ist auch eine, das ist eine Akebia, da hinten ist eine Gurke gepflanzt, hier ist die Kiwi, die wächst fleißig vor sich hin."
Ines Fischer nickt zufrieden. Es grünt. In Pflanzkübeln und Hochbeeten wächst Gemüse. Die Luft ist angenehm kühl. Fischer ist Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin. Sie arbeitet für den Umweltverband "Grüne Liga". Und berät seit gut drei Jahren Hausbesitzer und Mieter, die mehr Grün in die graue Stadtlandschaft bringen wollen. Auch die Wohnungsbaugesellschaft Mitte:
"Wir haben hier angefangen mit regelmäßigen Workshops. Ich bin hierhergekommen, so alle zwei Monate und habe mit den Mitarbeitern der WBM Pflanzenworkshops gemacht."
Klimapolitik im Kleinen. Im Innenhof genießen Mitarbeiter die Ruhe, machen Pause in Liegestühlen. Martina Kubisch kommt hinzu. Sie arbeitet für die Wohnungsbaugesellschaft, im siebten Stock. Zur Entspannung kommt sie meist hier nach unten, in die "Oase", wie sie es nennt:
"Also Tatsache, so mal schnell in die Pause, wir gehen mal hier lang und naschen ein paar Beeren."
Wilder Wein an der Brandwand
Drum herum ragen steil Hausfassaden empor, wie eine gleißende Discokugel lugt aus dem Himmelblau die Kuppel des Fernsehturms übers Dach:
"Das Auffälligste ist hier der wilde Wein, der an so einer Brandwand von einem Altbau bis in eine Höhe 15 Meter hoch, 12 Meter hoch wächst, ohne Rankhilfe."
Martina Kubisch blickt auf die Brandwand. Verzieht das Gesicht. Der wilde Wein wächst. Und wächst. Auch an einigen Fenstern des Nachbarhauses hat er sich schon festgekrallt.
Ines Fischer: "Der wächst wirklich anhand seiner kleinen Haftwurzeln, und ist deshalb wirklich pflegeleicht. Man muss da nicht viel investieren. Aber hat dann eben die Schwierigkeit, das wirklich in Griff zu kriegen. Oder der wächst in die Dachrinne rein, oder wächst auf das Dach rauf, also, um ihn dann ein bisschen zu trimmen, braucht es einen Kran, eine Hebebühne, das ist dann so der Nachteil an diesen Selbstklimmern."
Da nickt die Mitarbeiterin der Wohnungsbaugesellschaft. Autonome Kletterer sind dann auch in Zukunft für ihre Gesellschaft tabu. Kontrolliertes Wachstum aber wird toleriert. Hortensien und Clematis können an Kletterhilfen wachsen. Und die grüne Oase nach oben erweitern. Auch wenn das nicht allen Mitarbeitern gefällt:
Martina Kubisch: "Die Autofahrer haben gesagt, lasst uns die Parkplätze, um Gottes Willen. Und es gibt immer noch wenige Stimmen, die sagen würden: weg hier mit dem Quatsch und Parkplätze wieder her. Aber das sind wenige Stimmen. Die Mitarbeiter finden es glaube ich toll hier.
Ines Fischer: "Das sieht man auch, dass ist alles so gepflegt hier, sieht echt toll aus gerade."
Umweltbundesamt forscht über das Stadtgrün
"Ich kenne mich einigermaßen mit einheimischen Gewächsen aus, aber hier haben wir mediterrane Arten."
Beim Umweltbundesamt in Dessau lässt Marcel Langner die drei Bäume im Foyer links liegen, geht durch das silberne Drehkreuz, steigt die Treppe empor. Richtung Bürobereich. Viel Holz, links und rechts Pflanzen, Farne, Bodendecker – das Gebäude gilt als Musterbeispiel für ökologisches Bauen.
"Wir beschäftigen uns vor allen mit Strategien grundsätzlicher Art, wie man Luft besser machen kann. Welche Maßnahmen gibt es wie, effektiv und effizient sind diese Maßnahmen. Und wie lassen die sich umsetzen."
Und da gibt es für Langner und seine Kollegen viel zu tun. Mitte Februar bekam die Bundesregierung ein Mahnschreiben aus Brüssel: Die EU-Kommission forderte zum wiederholten Mal bessere Maßnahmen zur Luftreinhaltung. Und listete 28 Regionen auf, in denen anhaltend die Grenzwerte von Stickstoffdioxid überschritten werden. Fast alle deutschen Großstädte sind betroffen. Nun müssen die Bundesländer ihre Luftreinhaltestrategien darlegen. Ansonsten droht ein Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof.
"Wenn man sich so die Luftreinhaltepläne der deutschen Städte anschaut, da sind ja Maßnahmen aufgelistet, mit denen die Städte versuchen, die Luftqualität zu verbessern und zwar eben in den Fällen, wo Grenzwerte überschritten sind. Da sieht man schon, dass da das Stadtgrün auftaucht, das würde ich auch befürworten, aber es kann halt nicht sein, dass der Luftreinhalteplan mit dem Stadtgrün anfängt und damit endet.
Wissenschaftlicher Blick auf den Spitzahorn
Langner schüttelt den Kopf, greift zu einer Studie, die vor ihm auf dem Tisch liegt. Seine Doktorarbeit. Ein wissenschaftlicher Blick auf einen Baum. Einen Spitzahorn. In der Stadt. Am Straßenrand in Karlsruhe.
"Also, so ein Foto des Baumes sehen sie hier. Dieser Baum steht hier in einer Reihe mit anderen, ja dann ist der eben hier komplett mit unserem Messequipment ausgestattet, da steht dann steht hier auch noch so ein Mast im Baum drin."
Langner grinst, als er das erzählt. Allein die Suche nach dem passenden Baum hat ihn viel Zeit gekostet. Er sollte für Deutschland typisch sollte sein, in der Nähe einer Straße stehen. Und das Areal drum herum absperrbar sein:
"Und wenn sie sich mal so den typischen Stadtbaum vorstellen und überlegen, was ist eigentlich unter dem Baum, da werden sie feststellen, das sind häufig eigentlich Stellplätze. Und jetzt versuchen sie mal für zwei Jahre einen Stellplatz für Messungen zu belegen. Da werden sie grandios scheitern. Deswegen mussten wir eben auf Bäume ausweichen, die auf einer Rasenfläche stehen, die sonst weiter nicht benutzt wird."
Zwei Jahre lang beobachtet Langner den Baum in Karlsruhe, um herauszufinden, was ein Baum leisten kann. Als Biofilter. In Sachen Luftreinhaltung. Neben seinen anderen ökologischen Funktionen:
"Grün in der Stadt bedeutet, dass die Temperatur der Stadt abgesenkt wird, insbesondere im Sommer, weil eben die Vegetation, die Pflanzen Wasser verdampfen und das zum Absinken der Umgebungstemperatur führt, deswegen ist aus der stadtklimatologischen Sicht Stadtgrün zu befürworten."
Hamburg als Vorreiter beim Dach-und Fassadengrün
"Suchen sie mal die beiden Möwen, die sich auf dem Bild befinden."
Hoch über Hamburg, auf dem Dach der Umweltbehörde, beugt sich Hanna Bornholt über ein Handydisplay. Studiert ein Foto: Ein begrüntes Dach, zur Kante abgegrenzt durch einen Kiesstreifen. Darauf, gut getarnt, zwei gesprenkelte Jungmöwen.
"Ne, habe ich auch noch nicht gesehen, irre, und die sind auch drauf trainiert, wenn ein Feind kommt, bewegen die sich keinen Millimeter."
Hanna Bornholt lächelt. Lässt ihren Blick über Hamburg schweifen. Von hier aus reicht er locker bis zum Michel, der St. Michaelis-Kirche in der Innenstadt. Die Dächer der Hansestadt, das ist das Arbeitsgebiet der gelernten Gärtnerin und Landschaftsarchitektin. Sie koordiniert das "Gründach-Programm" für den Senat:
"Wir sind jetzt auf der extensiven Begrünung, wo wir jetzt hier sechs Zentimeter Substrat jetzt in diesem Fall hier haben, mit kleinen Gräsern, Sedum-Arten, also Fetthennengewächsen, die halten Extremstandorte aus. Das heißt, die halten eine sehr starke Trockenheit aus im Sommer. Und im Winter wird es ja auch mal minus 20 Grad, also auch sehr tiefe Temperaturen können die ab. Und erhalten sich mehr oder weniger selber."
Extensive Begrünung – das ist die einfache Dachgrün-Variante. Im Gegensatz zum Dachgarten. Der intensiven Begrünung. Ein dichter grüner Teppich breitet sich zu Bornholts Füßen aus. Sedumgewächse. Dazwischen kleine Trittpfade, Bewässerungsvorrichtungen.
"Wir haben seit letztem Frühjahr bei uns vier Bienenvölker auf dem Dach, Honigbienen, die sind hier auf dem Gründach, weil wir auch zeigen wollen, dass man dadurch die Artenvielfalt erhöhen kann. Die fliegen drei Kilometer weit, die haben jetzt nicht nur das Gründach, wo sie Nektar sammeln. Wir haben auch den Park in der Nähe, und alle Flächen drum rum, den sammeln die ein, wir produzieren unsern eigenen Honig damit, das Wilhelmsburger Inselgold, echt amtlich."
In ihrem Büro greift Hanna Bornholt zu einer Broschüre: "Auf die Dächer-Fertig-Grün". Das Begleitheft für den Begrünungsplan der Hansestadt. Beschlossen vom Senat:
"Wir haben das Ziel: 100 Hektar in der Legislatur bis 2020, das ist die doppelte Fläche wie unser großer Park Planten und Blomen in der Innenstadt und jetzt sind wir soweit, dass wir 55 ha schon erreicht haben. Von daher hoffen wir, dass wir auch noch mehr Fläche erreichen können."
Visionäre Stadtplanung hoch oben
Klimaschutz von oben. Für die Stadt der Zukunft. Im Winter geht bis zu 10 Prozent weniger Energie über ein begrüntes Dach verloren, hat ihre Behörde errechnet, die Heizkosten sinken. Im Sommer kühlen die Pflanzen das Gebäude. Bei Regenfällen halten sie 40 bis 90 Prozent des Regenwassers zurück, das sie später wieder verdunsten. Gleichzeitig wirken die Grünpflanzen als UV-Schutz und können so die Lebensdauer einer Dachhaut verdoppeln.
Punkt für Punkt haben Bornholt und ihre Kollegen die Vorteile in der Broschüre aufgelistet. Und vorgerechnet, dass bei einem einfachen Gründach die Kosten unterm Strich nicht höher sind als bei einem ordinären Kiesdach. Mit der städtischen Förderung landen die Gründachbauer im Idealfall sogar im Plus.
"Wir fördern alle, die ein Gründach bauen wollen, sowohl Unternehmen als auch Privatleute, auch wenn die das selber machen wollen, wenn sie denn eine Ausbildung haben als Gärtner, Architekt oder sonst, das wird gefördert, ja, das wird gut abgerufen."
Bornholts Behörde schreibt Mindeststandards vor, die erfüllt werden müssen. Die fachliche Betreuung und Umsetzung, die Mindestdicke des Pflanzsubstrats, Mindestgrößen. Bis zu 60 Prozent der Begrünungskosten können dann übernommen werden. Gleichzeitig reduziert sich die Niederschlagswassergebühr um 50 Prozent.
Hanna Bornholt legt die Broschüre beiseite, steht auf, geht zu einem großen Poster, das an der Wand lehnt. Eine Vision, nennt sie es. Eine Vision von oben. Grüne Dächer nicht nur für die Verbesserung der Stadtökologie. Sondern als Teil der Stadtplanung in der dritten Dimension. Die hoch oben Freiflächen schafft, während am Boden der Platz immer enger wird.
"Das ist ein Blick in die Zukunft. So könnte es aussehen 2040 oder 2050. Das ist die Hamburger Innenstadt direkt an der Alster, sehr prominent, da ist fast jedes zweite Gebäude begrünt. Mit unterschiedlichen Nutzungen. Ein Golfplatz kann da oben sein, einfach nur Naturfläche, da ist ein Windrad zum Teil mit drauf, da sind Terrassen, wo sich die Mitarbeiter oder Bewohner aufhalten und erholen können, Urban Gardening, die ganze bunte vielfältige Dachlandschaft."
Bauwerksbegrünung ist auf der politischen Agenda
"Spardach, Leichtdach, Naturdach, Retentionsdach, Schrägdach, Gartendach, Landschaftsdach, Solargründach."
Gunter Mann lehnt sich auf dem Campus der Humboldt-Universität auf einer Bank zurück. Blinzelt in die Sonne. Und denkt mal wieder an Dächer. Der Biologe ist nach Berlin gekommen, um den Weltkongress der Bauwerks-Begrüner vorzubereiten.
Mann ist so etwas wie der Chef-Lobbyist der deutschen Grün-Dachbewegung. Er ist Präsident der Fachvereinigung Bauwerksbegrünung:
"Also Hundertwasserhaus Waldspirale in Darmstadt ist eines meiner Lieblingsobjekte, dann ist es Skyline Plaza in Frankfurt, weil das ist eine richtig schöne Dachlandschaft mit Sport-und Spielgeräten und frei zugänglich für jeden. Und Gastronomie. Und das ist herrlich. Und in Holland ist eines meiner Lieblingsdächer, das ist in Groningen, das ist ein Dachgarten, da ist ein Spielplatz drauf, da ist ein Tennisplatz drauf. Da hat jeder Mieter ein Rasenstück. Und natürlich ein Gewächshaus."
Gärtnern über den Dächern. Tennis in luftiger Höhe. Auf den Häusern in Deutschland gibt es noch viel Raum. Für Pflanzen und Freizeitaktivität:
"Wir wissen vom Verband her, dass wir jährlich so 10-14 Millionen Quadratmeter neu dazu bekommen an Dächern. Und davon wissen wir eigentlich, dass 83 Prozent extensiv, also die einfache Begrünung sind, und 17 Prozent Dachgärten. Ja, das ist schon relativ viel, obwohl wir vom Verband der Meinung sind: Das wächst zwar die letzten Jahre stetig. Aber eigentlich zu wenig."
Der Pflegeaufwand hält sich in Grenzen
Seit Jahren präsentieren Mann und seine Kollegen Vergleichsrechnungen. Zeigen, dass sich auch die nötigen Pflegeaufwendungen in Grenzen halten. Doch viele Bauherren bleiben skeptisch. Kommunalpolitiker zeigen sich dagegen aufgeschlossener.
"Berlin ist an einer Strategie dran, Leipzig ist an einer Gründach-Strategie dran, natürlich alles so ein bisschen von Hamburg abgeguckt. Und so näher die Wahlen kommen, desto mehr werden auch die Politiker aktiv, und das Thema Gründach oder Grün insgesamt in den Städten ist ja sehr präsent. Und gerade aktuell hat die Bundesregierung ja auch das Thema Weißbuch Stadtgrün veröffentlich. Und da hat das Thema Bauwerksbegrünung ein eigenes Kapitel über zwei Seiten."
Zehn Handlungsfelder, die mehr Grün in die Stadt bringen sollen, hat Umweltministerin Barbara Hendricks Anfang Mai präsentiert. Unter Punkt 5 finden sich die Bauwerksbegrünungen. Zukünftig will der Bund die Effekte von Fassaden- und Dachbegrünungen analysieren. Und einen Leitfaden für Eigentümer und Bauherren erarbeiten. "Immerhin", sagt Gunter Mann. Und grinst. Das Thema ist jetzt endlich auch ganz oben angekommen:
"Wir reden auch schon 20, 30 Jahre über das Thema Regenwasserrückhaltung, Biodiversität und Artenschutz auch schon 20, 30 Jahre. Und alles wird jetzt wieder gerade neu erfunden. Aber ist egal, die Zeit ist vielleicht jetzt gerade reif. Und jetzt nehmen wir es einfach mit. Und dafür ist diesmal, auch parteiübergreifend dieses Weißbuch vielleicht doch richtungsweisend. Es steht die Bundesregierung auch mit dahinter und dann haben wir vielleicht die Möglichkeit, auch die Städte mit reinzukriegen in den Schwung des Weißbuches und die Städte sind für uns mit die wichtigsten Zielgruppen."
Der Städtetag unterstützt die Gebäude-Begrünung
Auch der Deutsche Städtetag propagiert mittlerweile die Gebäude-Begrünung. Vor allem aus stadtklimatischen Gründen. Und um dem zunehmenden Verdichtungs- und Versiegelungstrend etwas entgegenzusetzen.
"Dachbegrünung und Fassadenbegrünung ist eigeschränkt, weil es sich ja nur auf dünnschichtigem Terrain sich bewegt. An der Wand gibt es nicht viel und auf das Dach kann man nicht viel Erde schaffen. Aber es hat den großen Vorteil: Es nimmt Flächen nicht aus der Natur, sondern Bestehendes und Grundstücke, die ich schon einmal gekauft habe, kann ich zweimal nutzen. Aus der Not heraus ist Bauwerksbegrünung schon das Mittel der Wahl."
Gunter Mann lehnt sich auf der Bank zurück. Der Biologe sieht zufrieden aus.
"Wir sind immer noch führend, sowohl in der Forschung, als auch in der Technik, wir begrünen auch weltweit am meisten. Kein Land begrünt auch nur annähernd so viel wie wir."
Den Gefahren des Feinstaubs auf der Spur
Beim Umweltbundesamt blättert Marcel Langner durch seine Doktorarbeit. Überfliegt noch einmal die Baumbeobachtungen:
"Dem Feinstaub auf der Spur: Das bedeutet, man geht an verschiedenen Tagen des Jahres, wo die Blätter am Baum sind, in die Baumkrone, sammelt die Blätter, wir haben die dann eingefroren. Ich habe die dann mit einem Pinsel in nächtelanger Arbeit abgewaschen. Und dann gewogen, wieviel Staub ist denn eigentlich auf einem Blatt drauf. Wir haben dann auch unter dem Baum Sammler aufgestellt."
Knapp 50.000 Todesfälle pro Jahr führt das Umweltbundesamt hierzulande auf die Feinstaub-Belastung zurück. Die Kleinst-Partikel sind damit eindeutig der Luft-Schadstoff Nummer eins. Er wird aus etlichen Quellen freigesetzt wird: Der Landwirtschaft, dem Verkehr, Kamin- und Holzöfen. Wobei im Verkehr nicht nur das Abgas, sondern auch der Reifenabrieb für die Verbreitung von Kleinpartikeln sorgt. Also auch Elektro-Autos Feinstaub erzeugen.
Zwei Jahre lang untersuchte Langner den Spitzahorn und die Grasfläche drum herum, pinselte Feinstaub von den Blättern, bestimmte Partikelgrößen. Um die Wirkung des pflanzlichen Biofilters abzuschätzen:
"Man kann das schon messen, was da gefiltert wird. Und der Feinstaub der letzten Endes da im Blattwerk aufgefangen und dann von den Blättern wieder abgewaschen wird, der bewegt sich so in einem Bereich von 200 Gramm pro Jahr, wenn man das aber auch noch mal in Beziehung zu dem setzt, was an der Straße freigesetzt wird, dann stellt man einfach fest: Diese Mengen bewegen sich im unteren einstelligen Prozentbereich."
Ein bescheidener Biofilter. Der die Stadtluft zwar leicht verbessert. Sie aber nicht säubern kann.
Grün an Gebäuden verbessert ihre Energiebilanz
In Berlin-Adlershof hallt die Stimme eines Physik-Dozenten bis ins Foyer des Lise-Meitner-Hauses. Zwei Besucher aus Brasilien fotografieren mit Smartphones das moderne Physik-Institut. Große Fensterfronten, Wände und Decken aus blankem Beton, Belüftungsrohre offen verlegt. Industrial Design für die Wissenschaft.
"I will just get the keys ..."
Marco Schmidt verschwindet in einem Nebenraum, um die Schlüssel zu holen. Für einen Rundgang durchs Gebäude. Die Gäste bewundern durch die Scheibe den Innenhof. Dichtes Grün rankt da vor der Glasfassade nach oben.
"We are now a the Humboldt University, department of physics, I follow this building for 15 years."
Seit 15 Jahren kümmert sich der Ingenieur um das futuristische Gebäude. Und die Pflanzen an der Fassade:
"Das ist jetzt die Wisteria Sinensis, der sogenannte Blauregen, sieht jetzt gerade wunderbar aus, der blüht nämlich. Der ist echt in der Lage diese 20, 25 Meter zu klettern, das geht sogar 30 Meter hoch, habe ich in Frankfurt mal gesehen. Wir haben 450 Kletterpflanzen an dem Gebäude und 20 verschiedene Arten."
Fünf Innenhöfe, neun begrünte Fassaden. Kontrolliert rankende Artenvielfalt. Stahlseile weisen die Richtung nach oben. Die Nährstoffe liefern drei unterschiedliche Substrate bzw. Erdmischungen. Verteilt auf 150 Pflanzkübel. Jeder ist an eine individuell steuerbare Wasserversorgung angeschlossen. Laufend übertragen Sensoren Daten aus dem Pflanzenreich.
"Ich habe jetzt 15 Jahre Daten und die sind auch sehr zuverlässig, ich habe jetzt ungefähr 300 Parameter, die ich hier zusätzlich erhebe, also Wasserverbräuche, Energiebilanzen auch im Gebäude."
Pflanzen ranken vor Gängen und Gemeinschaftsräumen
Mehr als 70 Prozent des Gebäudes bestehen aus Glasflächen. Wenn die Sonne scheint, müssen die Mitarbeiter geschützt werden. Darum hängt über ihren Büro-Fenstern ein konventioneller, elektrisch betriebener Sonnenschutz. Vor den gemeinschaftlichen genutzten Räumen und Gängen aber ranken Pflanzen.
"Wir haben jetzt tatsächlich rausgekriegt, die Pflanze ist viel, viel billiger und viel, viel besser für die Energiebilanz des Gebäudes. Ist schon interessant. Beispielsweise Betriebskosten. Wir haben die mal verglichen. Die Pflanzen kosten uns pro Jahr an Wasser, Dünger und Pflege 1300 Euro. Und wenn wir das mit dem konventionellen Sonnenschutz vergleichen, der kostet an Wartung und Reparatur pro Jahr der Humboldt Uni 16.500 Euro."
Erfahrungen, die sich Investoren vor allem bei Neubauten zunutze machen könnten. Allerdings werden die natürlichen Schatten- und Kältespender bisher nur sehr begrenzt am Bau eingesetzt. Sie haben es schlicht noch nicht in die virtuelle Welt der Architektur-Programme geschafft:
"Für die Pflanze gibt es bis jetzt keine Simulation, die ist in der Software nicht drin, die kann man sich auch nicht anrechnen lassen, wenn man sich ein Gebäude neu bauen lassen würde. Und da wollen wir natürlich hin."
Bis dahin aber wird es noch dauern. Und so lange bleibt Begrünung Vertrauenssache. In Architekten, Gärtner und Landschaftsplaner. Deren grüne Entwürfe sich allerdings nicht immer 1:1 an den Fassaden wiederfinden.
Lausitztower - dürftiges Fassadengrün statt vertikaler Garten
Hoyerswerda, in Sachsen. Mit einem Stoffbeutel in der Hand kommt ein Rentner aus dem Lausitztower. Einem Elfgeschosser, dem höchsten Gebäude der 30.000- Einwohnerstadt. Der alte Mieter geht einige Schritte, auf den Parkplatz des Lausitz-Centers. So hat er zwei Fassaden-Seiten seines Hauses gut im Blick:
"Gucken sie sich das von der an: Da haben sie nicht eine Pflanze."
Spärlich wächst es. Wenn überhaupt. Und dann nur auf den Balkonen der Mieter. Aus Blumenkästen. Schon mehr Grün findet sich auf der Fassade zur Straßenseite:
"Und hier, wenn man von hier guckt, hier sieht es schon gut aus, an der Ecke auch."
Wein rankt, an Stahlseilen entlang, vom Boden nach oben. Bis zum ersten von elf Stockwerken. Die Seile aber ziehen sich bis ganz nach oben, 38 Meter hoch. Aus Pflanzkübeln in den höheren Stockwerken recken sich zaghaft einige Pflanzen nach oben. Von unten sehen sie aus wie Miniaturen an der riesigen Fassade. "Ein dichtes Grün" hatten der Münchener Architekt und seine Landschaftsplaner hier ursprünglich versprochen.
"Deshalb sage ich, die Ost- und die Südseite, das ist schon ok, aber die andere Seite, da finden sie nicht eine Pflanze. (lacht) Es ist noch Luft nach oben, auf jeden Fall."
Auf der Balkonseite ist die Fassadenbegrünung Geschichte. Zur Pflege mussten die Gärtner durch die Wohnungen. Davon waren die meisten Mieter nicht begeistert und ließen die Tür zu. Nun gärtnert jeder für sich. Auf dem Balkon. Und an den anderen Hauswänden kämpft sich das Grün aus kleinen Kästen mühsam nach oben.
Oben auf dem Dachgarten lässt Steffen Markgraf seinen Blick über die Lausitz schweifen. Seit einigen Monaten ist er Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft. 6000 Wohneinheiten hat er im Bestand. Und eine begrünte Fassade:
"Es hat sich vieles Neues hier entwickelt. Und da gehört auch dieses Hochhaus dazu, mit dieser Dachterrasse, mit der Begrünung an der Front und da ist man schon ein Stückchen stolz drauf, dass man Hoyerswerda quasi in der Außenwirkung sehr, sehr positiv sieht."
Das Grün an der Fassade sorgte vor zehn Jahren für Schlagzeilen. Es gab sogar den Bauherrenpreis 2007. Der Architekt sprach von einer – Zitat - "Vermählung von Stadt und Landschaft" und von einem "wachsenden Haus in einer schrumpfenden Stadt". Vorschusslorbeeren. Auf den Entwürfen rankte es üppig. In der Realität eher dürftig. Einige sagen, es liegt an zu kleinen Pflanzkübeln, andere glauben, es ist die Wasserversorgung. Es war ein Versuch, sagt der neue Geschäftsführer. Und stellt dann auch klar, dass die grüne Fassade in Hoyerswerda erstmal die Ausnahme bleiben wird:
"Das heißt also Begrünung hier am Objekt ist schön, daran werden wir auch festhalten dran in den nächsten Jahren, aber es sind keine weiteren Objekte in der Planung drin."
Zweifel an der reinigenden Wirkung von Moosmauern
Beim Umweltbundesamt legt Marcel Langner seine Doktorarbeit beiseite. Das Thema Feinstaub ist nach wie vor aktuell. Ebenso wie die Hoffnung auf eine pflanzliche Filter-Funktion. Bundesweit Schlagzeilen machte kürzlich eine Mooswand, die am Stuttgarter Neckartor, Deutschlands dreckigster Kreuzung, aufgestellt wurde. Purpurstieliges Hornzahnmoos und graues Zackenmützenmoos soll dort die Straßenluft von Stickstoff und Feinstaub reinigen. Eine grüne Leitplanke für den Verkehr schaffen. Langner ist da skeptisch:
"Allerdings habe ich bislang noch keine überzeugenden Ergebnisse gesehen, dass eine Mooswand die Partikelkonzentration wirklich signifikant senkt."
Mooswände gegen Feinstaub, bewachsene Schallschutzwände als Biofilter gegen Abgase. Langner schüttelt den Kopf. Luftschadstoffe lassen sich am besten an der Quelle mindern: Verkehr, Landwirtschaft, Holzheizungen. Viele Quellen – viele Verantwortlichkeiten. Das macht die Luftreinhaltung schwierig. Für die Umweltbehörden. Und die Kommunalpolitiker.
Das Grün in der Stadt ist dann oft der kleinste gemeinsame Nenner. Gut fürs Klima, für den Wasserhaushalt, die Artenvielfalt und das soziale Wohlbefinden, sagt Marcel Langner, aber mit Sicherheit keine Lösung für die Luftreinhaltung:
"Das führt zu einer gewissen Reduktion. Aber letzten Endes immer noch nicht so, dass man sagen kann, deswegen kommen wir in einen Bereich, wo wir einfach so mit dem Auto fahren können wie bisher. Einfach weiter so unsere Holzheizung benutzen können wie bisher. Also, dass wir sagen können, wir pflanzen viele Bäume und dann müssen wir ansonsten nichts mehr tun, also dieser Ansatz, den halte ich für grundfalsch. Und der wird nicht dazu führen, dass es uns insgesamt bessergehen wird."
Pflanzenkiller Mecoprop in Dachbahnen
In Adlershof blickt Marco Schmidt die Fassade empor. Sein Blick folgt dem Blauregen, der am Stahlseil nach oben rankt. Das war nicht immer so:
"Wir haben am Anfang ein ziemlich großes Problem gehabt, dass viele Pflanzen eingegangen sind und kamen erst nicht darauf, was das denn jetzt eigentlich war. Und das ist echt ein ernstes Problem und das betrifft nicht nur dieses Projekt, sondern eigentlich ziemlich viele Gebäude in Berlin."
Die Pflanzen verkümmerten. Und keiner wusste, warum. Die Wissenschaftler tauschten Erde und Substrat aus, änderten die Düngung. Ohne Erfolg.
Das Vorzeigeprojekt drohte zu scheitern. Das Regenwasser wurde wie geplant gesammelt. Die Pflanzen aber verkümmerten. Technik funktionierte, Natur kollabierte. Am Ende sah Schmidt nur noch eine Möglichkeit:
"Dann bin ich zum Umweltbundesamt mal mit einer Probe, da hat eine Freundin von mir gearbeitet und sozusagen die Probe mal zwischengeschoben mit einer Praktikantin, die macht da so einen Algenwachstumshemmtest, und da war das eindeutig, es war das Wasser. Da, wo man jetzt fast 100 Prozent Regenwasser drin hat, da wächst fast gar keine Alge mehr drin. Also war klar, es war das Wasser, dann mussten wir noch finden, welches Mittel da drin ist. Und dann war es auch schon klar, es ist ein Herbizid, was aus den Bitumenabdichtungen kommt."
Und sich im Regenwasser sammelte. Die ökologisch sinnvolle Bewässerung mit Regenwasser wurde so zum Pflanzenkiller. Die Chemikalie Mecoprop, eingesetzt in den Dachbahnen, um Durchwurzelungen zu verhindern, findet sich auch heute noch in hohen Konzentrationen.
Seit Schmidt und seine Kollegen ihre Pflanzen mit Leitungswasser päppeln, wachsen diese, wie geplant. Die Bitumen-Dachbahnen mit Durchwurzelungsschutz aber sind immer noch im Handel. Ohne Hinweis darauf, dass sie Herbizide enthalten:
"Der Fehler wird immer noch gemacht. Und wir bauen ja auch wie irre im Moment, das ist halt die billigste Art der Abdichtung. Es hilft nur, bei jeder Konferenz das zu erzählen."
Damit das Grün an der Fassade nicht grau wird.
Stolzer Blick auf das prächtige Gebäudegrün
In Berlin-Mitte, unweit des Alexanderplatzes, macht Ines Fischer noch einige Fotos von der Pflanzenpracht im Innenhof. Martina Kubisch von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte steht daneben:
"Das ist hier Veranstaltungs- und Pausenraum für die Kollegen, wir werden tatsächlich inzwischen von fremden Firmen, vom Senat zum Beispiel gebucht, weil es hier Tatsache toll ist."
Vom Parkplatz im Hinterhof zur Stadtoase. Mit Außenwirkung. Und Besuchern.
Martina Kubisch: "Unsere Mieter, die wir einladen, da waren einige, die haben gesagt: Das hätten wir auch gerne. Und seitdem machen wir fleißig mit der Grünen Liga Mietergärten, inzwischen schon fünf, glaube ich."
Ines Fischer nickt. Das grüne Wachstum beginnt oft ganz unten. Erst ein Garten, dann die Fassade. Martina Kubisch blickt auf den wild wuchernden Wein, der wird demnächst verschwinden müssen. Unkontrolliertes Wachstum gefährdet die Substanz. Eine neue Erfahrung. Auf dem Weg zu mehr Grün am Gebäude:
"Man geht Tatsache immer mehr weg von diesem 'nur, wir erzählen mal schön'. Sondern man präsentiert Projekte, wo man es angewandt hat. Und das ist schon ein Qualitätssprung für mich. Ich sage ja immer, dieses Labern können viele. Aber machen. Und die Leute machen."