Von Moskau nach Berlin
Als die Journalistin Nadja Vancauwenberghe nach Berlin zog, wunderte sie sich, dass es dort noch kein englischsprachiges Stadtmagazin gab. Also gründete sie vor zehn Jahren den "Exberliner" - ein Stadtmagazin für die Berliner Expat-Community. Vorher war sie unter anderem als Undercover-Berichterstatterin im Zweiten Tschetschenienkrieg unterwegs.
Nadja Vancauwenberghe: "Ich bin Französin. Kurzzeitig habe ich in England studiert und auch in New York. Ich bin viel gereist. Meine journalistische Laufbahn habe ich in Russland begonnen. Das ist ein Land, dem ich mich sehr nahe fühle. Und irgendwann wurde ich Chefredakteurin eines englischsprachigen Magazins in Berlin. Das ist irgendwie schon verwirrend."
Nadja Vancauwenberge – struppiger Kurzhaarschnitt, roter Lippenstift, Armeeparker. Sie sitzt auf einer niedrigen Mauer in Berlin-Mitte und blinzelt in die Herbstsonne. Im Plattenbau hinter ihr ist die Redaktion des "Exberliners" untergebracht. Das Magazin richtet sich an Menschen wie sie selbst:
"Die meisten Deutschen haben, wenn sie das Wort Ausländer hören, nicht unbedingt einen weißen Amerikaner im Kopf oder eine junge Französin. Aber in der Realität gibt es jede Menge solcher Ausländer in Berlin."
Ausländer, die sich für Politik und Kultur in Berlin interessieren, auch wenn sie kaum deutsch sprechen – Luxusmigranten eben:
"Ich nenne sie G-8 Ausländer – also Ausländer, die nicht an der Ecke Gemüse verkaufen müssen...Sie sind gut ausgebildet, machen meistens irgendetwas Kreatives, können sich aussuchen, wo sie leben wollen. Jetzt bin ich eben eine Berlinerin, eine temporäre Berlinerin."
"Mein Vater kommt aus einer großbürgerlichen, flämischen Familie. Meine Mutter aus ganz einfachen Verhältnissen. Sie haben sich in Paris kennengelernt. Dort bin ich auch geboren und aufgewachsen – bis ich sieben oder acht war, glaube ich. Denn dann sind wir in ein verlassenes, ziemlich heruntergewirtschaftetes Schloss gezogen. Meine Großmutter hatte es uns das vermittelt. Es stand zum Verkauf. Bis es verkauft war, durften wir dort wohnen. Das war an der Westküste Frankreichs."
Nadja Vancauwenberghe wächst mit einer jüngeren Schwester auf. Ihre Kindheit beschreibt sie als anstrengend.
"Ich dachte nie, dass ich meinem Vater ähnlich bin. Ich wollte nicht so sein wie er, denn ich sah wie schwer dieses Über-die-Verhältnisse-leben für meine Mutter und uns als Familie war. Aber nun merke ich, dass ich einige seiner Charakterzüge in mir trage. Ich kann - wie er - wirklich nicht gut mit Geld umgehen. Nach dem Motto: Lass uns einfach alles ausgeben und uns gut fühlen."
Nach dem Abitur in Frankreich studiert Nadja Vancauwenberghe Politik an der Sorbonne in Paris. Ein Austauschprogramm mit der Universität Moskau verschlägt sie nach ihrem Abschluss nach Russland. Dort reift ihre Idee, der Wissenschaft den Rücken zu kehren und Journalistin zu werden. Das war Ende der 90er-Jahre: Sie beginnt Artikel für internationale Magazine zu schreiben, lernt Russisch und bekommt nach wenigen Monaten eine Stelle bei der französischen Nachrichtenagentur AFP in Moskau. Ein Bekannter überredet sie zur Undercoverberichterstattung in Tschetschenien und Nadja ist verrückt genug, sich darauf einzulassen.
"Tschetschenien war Journalisten zu dieser Zeit völlig verschlossen."
Verkleidet als russische Soldatin schleicht die zierliche, harmlos erscheinende Frau ins Kriegsgebiet.
"Ich lebte innerhalb zweier unterschiedlicher Divisionen in Tschetschenien. Etwa zehn, zwölf Tage lang. Wenn man erst einmal im Land war, war nicht planbar, wann wir wieder raus kommen. Ich filmte so viel mir möglich war. Denn zu dieser Zeit gab es einfach keine bewegten Bilder aus Tschetschenien. Überall lauerten Scharfschützen, viele Straßen waren vermint. Es war für jeden dort sehr gefährlich."
Ein Jahr später fliegt sie für einen kurzen Besuch zu ihrer Familie nach Frankreich, will ihr Visum verlängern. Ein Mitarbeiter der russischen Botschaft teilt ihr mit, dass sie inzwischen auf der schwarzen Liste steht und nicht mehr nach Russland einreisen darf. Grund: ihre Berichterstattung über den sogenannten Zweiten Tschetschenienkrieg.
"Das war wirklich dramatisch. Ich hatte nun schon seit drei Jahren in Moskau gewohnt. Meine Karriere hat sich gut entwickelt. Ich konnte investigativ arbeiten. Das erfüllte mich. Mein Freund war dabei, von Berlin zu mir nach Moskau zu ziehen. Alles schien perfekt. Von einem Tag auf den anderen nun war dieses Leben verschwunden."
Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Berlin war für Nadja Vancauwenberghe - anders als für viele andere Neuberliner - kein Sehnsuchtsort, sondern ein Kompromiss. Ein glücklicher Kompromiss, sagt sie heute. Hier ist ihre Tochter geboren, und hier hat auch ihr – so sagt sie selbst - zweites Baby: der "Exberliner" laufen gelernt.
Link:
Homepage des Magazins "Exberliner"
Nadja Vancauwenberge – struppiger Kurzhaarschnitt, roter Lippenstift, Armeeparker. Sie sitzt auf einer niedrigen Mauer in Berlin-Mitte und blinzelt in die Herbstsonne. Im Plattenbau hinter ihr ist die Redaktion des "Exberliners" untergebracht. Das Magazin richtet sich an Menschen wie sie selbst:
"Die meisten Deutschen haben, wenn sie das Wort Ausländer hören, nicht unbedingt einen weißen Amerikaner im Kopf oder eine junge Französin. Aber in der Realität gibt es jede Menge solcher Ausländer in Berlin."
Ausländer, die sich für Politik und Kultur in Berlin interessieren, auch wenn sie kaum deutsch sprechen – Luxusmigranten eben:
"Ich nenne sie G-8 Ausländer – also Ausländer, die nicht an der Ecke Gemüse verkaufen müssen...Sie sind gut ausgebildet, machen meistens irgendetwas Kreatives, können sich aussuchen, wo sie leben wollen. Jetzt bin ich eben eine Berlinerin, eine temporäre Berlinerin."
"Mein Vater kommt aus einer großbürgerlichen, flämischen Familie. Meine Mutter aus ganz einfachen Verhältnissen. Sie haben sich in Paris kennengelernt. Dort bin ich auch geboren und aufgewachsen – bis ich sieben oder acht war, glaube ich. Denn dann sind wir in ein verlassenes, ziemlich heruntergewirtschaftetes Schloss gezogen. Meine Großmutter hatte es uns das vermittelt. Es stand zum Verkauf. Bis es verkauft war, durften wir dort wohnen. Das war an der Westküste Frankreichs."
Nadja Vancauwenberghe wächst mit einer jüngeren Schwester auf. Ihre Kindheit beschreibt sie als anstrengend.
"Ich dachte nie, dass ich meinem Vater ähnlich bin. Ich wollte nicht so sein wie er, denn ich sah wie schwer dieses Über-die-Verhältnisse-leben für meine Mutter und uns als Familie war. Aber nun merke ich, dass ich einige seiner Charakterzüge in mir trage. Ich kann - wie er - wirklich nicht gut mit Geld umgehen. Nach dem Motto: Lass uns einfach alles ausgeben und uns gut fühlen."
Nach dem Abitur in Frankreich studiert Nadja Vancauwenberghe Politik an der Sorbonne in Paris. Ein Austauschprogramm mit der Universität Moskau verschlägt sie nach ihrem Abschluss nach Russland. Dort reift ihre Idee, der Wissenschaft den Rücken zu kehren und Journalistin zu werden. Das war Ende der 90er-Jahre: Sie beginnt Artikel für internationale Magazine zu schreiben, lernt Russisch und bekommt nach wenigen Monaten eine Stelle bei der französischen Nachrichtenagentur AFP in Moskau. Ein Bekannter überredet sie zur Undercoverberichterstattung in Tschetschenien und Nadja ist verrückt genug, sich darauf einzulassen.
"Tschetschenien war Journalisten zu dieser Zeit völlig verschlossen."
Verkleidet als russische Soldatin schleicht die zierliche, harmlos erscheinende Frau ins Kriegsgebiet.
"Ich lebte innerhalb zweier unterschiedlicher Divisionen in Tschetschenien. Etwa zehn, zwölf Tage lang. Wenn man erst einmal im Land war, war nicht planbar, wann wir wieder raus kommen. Ich filmte so viel mir möglich war. Denn zu dieser Zeit gab es einfach keine bewegten Bilder aus Tschetschenien. Überall lauerten Scharfschützen, viele Straßen waren vermint. Es war für jeden dort sehr gefährlich."
Ein Jahr später fliegt sie für einen kurzen Besuch zu ihrer Familie nach Frankreich, will ihr Visum verlängern. Ein Mitarbeiter der russischen Botschaft teilt ihr mit, dass sie inzwischen auf der schwarzen Liste steht und nicht mehr nach Russland einreisen darf. Grund: ihre Berichterstattung über den sogenannten Zweiten Tschetschenienkrieg.
"Das war wirklich dramatisch. Ich hatte nun schon seit drei Jahren in Moskau gewohnt. Meine Karriere hat sich gut entwickelt. Ich konnte investigativ arbeiten. Das erfüllte mich. Mein Freund war dabei, von Berlin zu mir nach Moskau zu ziehen. Alles schien perfekt. Von einem Tag auf den anderen nun war dieses Leben verschwunden."
Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Berlin war für Nadja Vancauwenberghe - anders als für viele andere Neuberliner - kein Sehnsuchtsort, sondern ein Kompromiss. Ein glücklicher Kompromiss, sagt sie heute. Hier ist ihre Tochter geboren, und hier hat auch ihr – so sagt sie selbst - zweites Baby: der "Exberliner" laufen gelernt.
Link:
Homepage des Magazins "Exberliner"