Von Petrus bis Franziskus

Die Päpste und ihre Inszenierungen

Papst Franziskus und zwei weitere Männer stehen auf dem Balkon des Petersdoms.
Papst Franziskus spendet am ersten Weihnachtstag den Segen Urbi et Orbi. © AFP / Andreas Solaro
Volker Reinhardt im Gespräch mit Anne Françoise Weber |
Eine falsche Päpstin, fiktive Geschenke: Die päpstliche Geschichtsschreibung ist voller Fälschungen. Allerdings handelten die Fälscher mit guten Absichten, meint Volker Reinhardt, Verfasser des Buchs "Pontifex". Sie wollten "die unbefriedigenden Zustände der Welt wieder zurechtrücken".
Anne Françoise Weber: Am kommenden Dienstag jährt sich dann zum vierten Mal der Schritt, der in einem der ältesten Ämter unserer Zeit einer Revolution gleichkam: Benedikt XVI. verzichtete auf sein Amt. Nur einer vor ihm hat über 700 Jahre früher den gleichen Schritt getan, Papst Coelestin V. Wer kann schon so weit zurückgehen in der Riege seiner Amtsvorgänger?
267 Bischöfe von Rom soll es seit Petrus gegeben haben, und der Historiker Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg in der Schweiz, hat jetzt ihre Geschichte geschrieben. "Pontifex. Die Geschichte der Päpste. Von Petrus bis Franziskus" heißt das Buch und ist bei C.H. Beck vor wenigen Tagen erschienen, hat stolze 928 Seiten.
Ich habe vor der Sendung mit Volker Reinhardt gesprochen und ihm zunächst eine ganz einfach klingende Frage gestellt: Herr Reinhardt, wer war der erste Papst?
Volker Reinhardt: Ja, darüber könnte man lange richten. Nach offizieller Auslegung ist es Petrus, das ist Glaubenssache, es ist nicht bewiesen, dass Petrus jemals in Rom war. Es bildet sich zwar eine Glaubenstradition dieser Art heraus, aber harte Fakten untermauern das nicht.
Also, die Antwort des Papsttums heute und auch vor 1500, 1800 Jahren würde lauten: Petrus. Eine nüchtern abwägende Antwort des Historikers würde wohl sagen: Ein Amt und ein Amtsinhaber, die ungefähr unseren Auffassungen vom Papsttum und den Kompetenzen der Machtfülle, den Rechten des Papstes entsprechen, gibt es ungefähr ab 370, 380 nach Christus.

Väterlicher Schiedsrichter und Herrscher

Weber: Und wann nannten die sich, die Bischöfe von Rom, überhaupt Papst? Das war noch später, oder?
Reinhardt: Das dauert noch über 100 Jahre länger, aber das ist letztlich eine Titelfrage. Die ideologische Basis, also die Begründung des Amtes ist um die Mitte des 5. Jahrhunderts weitgehend fertig. Sie wird noch verfeinert, sie wird noch weiter ausgearbeitet, auch noch wesentlich verstärkt. Aber nach einem halben Jahrtausend, nach dem ersten halben Jahrtausend christlicher Zeitrechnung ist das Fundament für den Kampf um die Macht, um die verschiedenen Ausformungen der Macht, die mit dem Papstamt verbunden sind, geschaffen.
Weber: Diese verschiedenen Ausformungen der Macht würde ich jetzt gerne noch mal von Ihnen erklärt bekommen. Denn der Papst ist ja weit mehr als nur der Herrscher über die katholische Christenheit, oder?
Reinhardt: Das ist er zum einen, und das hat eben auch viele und lange und oft auch schwierige Machtkämpfe gekostet. Also, die alleinige Rechts- und Rechtsprechungsverfügungshoheit über die Kirche durchzusetzen, da gab es Konkurrenten im Osten, nicht zuletzt in Konstantinopel, ab 1054 sind die beiden Kirchen getrennt. Das ist der erste Primat, der erste Vorranganspruch.
Der zweite Primat, der aber auch schon früh, im 4. und 5. Jahrhundert ausgebildet wird, ist eine moralische Oberaufsicht und Oberhoheit über die weltlichen Herrscher, inklusive des Rechts, diese bei Verfehlung abzusetzen. Dann kommt der Machtanspruch, die Herrschaft über einen eigenen Staat in Mittelitalien hinzu, das lässt sich ab dem 8. Jahrhundert durchsetzen, weil zu dieser Zeit die Frankenkönige bereit sind, auf solche Forderungen, auf solche Fälschungen des Papsttums einzugehen. Dann, ja, bildet sich auch eine vierte Säule sehr früh heraus, die eigentlich nicht vorgesehen ist, das ist die Rolle des Familienchefs, also des Oberhaupts eines Clans. Die Versorgung der päpstlichen Blutsverwandten, die man etwas kurz Nepotismus nennt, gehört eben auch von Anfang an dazu. Also, vier Seelen in einer Brust gewissermaßen.
Weber: Ganz schön viel auf einmal. Dieser Kirchenstaat, wenn wir uns den noch mal angucken, das war ja wohl eine wichtige Basis, um eben auch so als weltlicher Herrscher oder als Herrscher unter den weltlichen Herrschern mitreden zu können. Der war 1870 verloren und wurde dann wirklich nur in einer Miniaturform durch die Lateranverträge noch mal wieder gesichert. Ist ein Papst ohne Vatikan und Vatikanstaat auch bis heute überhaupt denkbar?
Reinhardt: Auch das ist Auffassungssache. Der Kirchenstaat oder, im Italienischen, Stato Pontificio, der Päpstliche Staat der vorangehenden Jahrhunderte sollte eine Rechtssicherheit, sollte Autonomie, Schutz vor Abhängigkeit von weltlichen Herrschern bieten, aber er war natürlich auch ein Ballast und eine Verführung. Also, die Päpste der Renaissance etwa zwischen 1420 und 1550 etwa, waren ganz vorrangig weltliche Herrscher. Sie haben Kriege für ihre Verwandten geführt, sie haben die italienische Staatenlandschaft durcheinandergewirbelt, also, da waren die Auffassungen immer sehr geteilt.
Es gab Auffassungen vom Papst als einer rein geistlichen, spirituellen Instanz, die als eine Art väterlicher Schiedsrichter der Christenheit wirken sollte, mit dieser Auffassung war diese politische Rolle schwer vereinbar. Andere haben eben so argumentiert, dass zur Seele auch etwas Leib kommen muss und dass eben ein Minimum an Staatlichkeit notwendig ist, um die Unabhängigkeit des Amtes zu wahren, dieses Minimum an Staatlichkeit ist sicherlich ab 1929 auch echt, viel kleiner geht es ja nun wirklich nicht mehr.

Massive Fälschungen in der Geschichtsschreibung

Weber: Es ist ein kleines Territorium, aber ein wahnsinnig prunkvolles Territorium, muss man ja sagen. Da haben auch viele Päpste sehr viel reininvestiert, um ihre Macht da auch wirklich sehr anschaulich zu gestalten. Wenn Franziskus heute von einer armen Kirche spricht, wäre ja vielleicht auch die logische Konsequenz, auf all diesen Prunk zu verzichten. Aber es klang bei Ihnen jetzt schon an: Möglicherweise sind das Motive, die auch in früheren Jahrhunderten schon andere Päpste mal so hochgebracht haben und die dann wieder untergegangen sind?
Reinhardt: Man hat das auch theologisch gerechtfertigt. Die Menschen müssen zum Glauben geführt werden, der Papst ist Menschenfischer, in Anlehnung an Petrus, der Fischer vom See Genezareth. Seelen fängt man über den Augensinn, über das Anschauliche. Also muss die Kirche prunkvoll auftreten, weil sie sonst von den Menschen verachtet wird. Denn was die Menschen nicht sehen, das glauben sie nicht.
Aus diesem Grunde wurde Rom ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zu einer Art Spiegelstadt, zu einer, ja, man könnte fast sagen, zu einem Erlebnisparcours der Christenheit ausgestaltet. Das ist ein Argument, das man ernstnehmen muss. Es kommt ein weiteres hinzu: Die Macht des Papstes ist auf Bibelworte gegründet, die man auch gegen das Papsttum wenden und interpretieren kann. Gerade eine solche Macht braucht Propaganda im weitesten Sinne, muss ihre Rechtstitel, ihre Ansprüche eindrucksvoll versinnbildlichen. Und ab etwa 1480 wird das Papsttum zur innovativsten Medienmacht Europas und das bleibt es ungefähr 200 Jahre lang.
Weber: Medien sind das eine, Geschichtsschreibung ist das andere, auf das sich die Päpste immer gegründet haben und auch bisweilen nicht davor zurückgeschreckt sind, diese Geschichte so ein bisschen zu fälschen, damit das alles so richtig … zum richtigen Verständnis des Papsttums hinführt, oder?

Von Mätressen und einer falschen Päpstin

Reinhardt: Nicht nur ein bisschen. Es gibt einige sehr massive Fälschungen, bei denen die heutigen Historiker allerdings ein bisschen guten Willen zugrunde legen. Sie gehen davon aus, dass die Fälscher der Meinung waren, die Welt müsste so sein, wenn sie Gottes Willen folgt. Also, die Fälschung sollte eigentlich die unbefriedigenden Zustände der Welt wieder zurechtrücken.
Die berühmteste Fälschung ist die sogenannte Konstantinische Schenkung, eine Legende, wonach also Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert dem Papst aus Dank für seine Heilung von der Lepra die Oberhoheit über das gesamte Weltreich geschenkt habe. Also kein kleines Präsent für einen Arzt. Diese Fälschung wurde allerdings schon von einem großen Philologen, Lorenzo Valla, im 15. Jahrhundert widerlegt.
Weber: Sie haben schon gleich auf meine erste Frage gesagt: Das ist eine Glaubensfrage. Und in Ihrer Einleitung schreiben Sie: Eine Geschichte der Päpste lässt sich also als eine Geschichte des Glaubens und als eine Geschichte des Wissens schreiben. Doch sollte man diese grundverschiedenen Gattungen tunlichst nicht miteinander vermengen. Aber kann man die den überhaupt trennen? Ich meine, die Quellen, die Ihnen vorliegen, sind doch zum allergrößten Teil von einem sehr starken Glauben gefärbt, oder?
Reinhardt: Selbstverständlich, den muss der Historiker auch in Rechnung stellen. Natürlich haben die Päpste an den Glauben, der ihre Macht begründet hat, selber geglaubt. Selbst ein Papst wie Alexander VI., der zumindest einen Kardinal vergiften ließ, hat sicher geglaubt, Stellvertreter Christi auf Erden zu sein.
Diesen Glauben müssen wir als geschichtsmächtige Kraft in Rechnung stellen, aber nicht mehr. Wir können auf diese Weise zeigen, wie eben durch ein System des Glaubens, das von sehr vielen Menschen so akzeptiert wird, Macht aufgebaut wird, eine Institution groß wird, die mit dem Anspruch auftritt, über der Geschichte zu stehen. Also, ich glaube, die Historiker sollten immer eine heilsame Distanz zum Gegenstand ihrer Untersuchung haben, eine Instanz, die lebhaftes Interesse einschließt, aber sie daran hindert, sagen wir einmal, ihrem Thema zu verfallen.
Weber: Und was macht man dann mit solchen Legenden, die ja großes Aufsehen erregen immer wieder, über Päpstinnen, natürlich über Mätressen, uneheliche Kinder und so weiter? Wie können Sie entscheiden, was ist Legende und was ist historisch gesichert?
Reinhardt: Da ist gute Quellenkritik gefragt. Also, wir müssen fragen: Von wem kommen diese Berichte, sind sie glaubwürdig, lassen sie sich durch andere objektive Quellen, etwa durch Rechnungsbucheinträge oder so etwas bestätigen? Oder steht dahinter eine ganz klare Stoßrichtung? Also, es gibt Methoden zu unterscheiden. Es bleiben sicherlich gewisse Grauzonen, aber wir können zum Beispiel mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass es die Päpstin Johanna nicht gegeben hat. Sie taucht erst Jahrhunderte später auf und hat, um einen sehr geschätzten Kollegen, Horst Fuhrmann, zu zitieren, ungefähr denselben historischen Wert wie Asterix oder Obelix.
Mit den Mätressen und den natürlichen Kindern von Päpsten sieht das anders aus. Papst Alexander VI., Borgia, hatte nachweislich eine ganze Reihe von Kindern, und seine vier Lieblinge, von denen wiederum Cesare und Lucrezia seine ganz besonderen Lieblinge waren, die sind als seine Sprösslinge bewiesen.

Das Dogma der Unfehlbarkeit

Weber: Volker Reinhardt, Historiker an der Universität Freiburg, in Ihrem Buch "Pontifex. Die Geschichte der Päpste" beschreiben Sie ja auch diese Episode, am Anfang des Beitrags vorkam, dass Stephan VI. den Leichnam seines Vorvorgängers Formosus ausgegraben hat, um ihm noch ein Tribunal zu verpassen. Sie schreiben dazu, dass im Grunde sich an dieser Geschichte zeigt, dass sich doch aus der Kette der Päpste kein Glied herauslösen lässt. Warum, wieso kommen Sie zu diesem Schluss?
Reinhardt: Es sollte sich kein Glied herauslösen lassen, weil dann die Kontinuität des Amtes in Frage gestellt ist. Insofern ist dieser Akt der Delegitimation, also einen vorangehenden Papst für illegitim zu erklären, gefährlich, eigentlich tödlich für die Institution des Papsttums, das darf es eigentlich nicht geben. Im Nachhinein ist der Papst, der da auf magisch-abergläubische Weise aus der Welt geschafft werden soll, ja auch nicht als unrechtmäßig angesehen worden. Dann gäbe es wie gesagt sehr große Probleme, weil die nachfolgenden Päpste in der Regel ihrem Vorgänger ihre Würde verdanken und dann ins Nichts stürzen. Also, Päpste sind wohl die Amtsinhaber, die ihre Vorgänger am wenigsten kritisieren können. Sie können das allenfalls indirekt tun. Und diese Kritik muss jederzeit rücknehmbar, entschärfbar sein.
Weber: Aber es gab immerhin auch einen Papst, Honorius, dessen Lehre im Nachhinein zu Ketzerei erklärt wurde, oder?
Reinhardt: Eine Zeit lang wurde das sogar öffentlich vorgelesen. Das spielte auch eine große Rolle 1870 bei den Debatten des Konzils über die Unfehlbarkeit. Aber es gibt Mittel und Wege, so etwas eben auszuräumen. Man kann dann sagen, dass gewisse Entscheidungen eben nicht ex cathedra, nicht lehramtlich getroffen worden sind, und außerhalb solcher lehramtlichen Entscheidungen kann auch ein Papst irren. Also, Honorius ist nicht herausgebrochen worden aus der Kette der Päpste und es hat auch immer wieder Versuche gegeben, ihn zu rehabilitieren, offiziell zählt er weiterhin als Papst.
Weber: Dieses Dogma der Unfehlbarkeit, das gehört ja so in der allgemeinen Vorstellung vom Papsttum wirklich wesenshaft dazu. Dabei ist es eine neue Sache, die auch sehr selten im Grunde eingesetzt wurde. War das so ein letztes Aufbäumen vor einer weiteren Säkularisierung der Welt, wo man noch mal sagen musste, also, dieser Papst hat einen ganz besonderen Auftrag, oder was war das?
Reinhardt: Es erklärt sicher die Konfliktsituation des Papsttums im 19. Jahrhundert. Seit der Aufklärung sehen sich die Päpste in Fundamentalopposition zu allem, was modern, zeitgemäß ist. Die Aufklärung verkündet, dass die Vernunft des Menschen alleine in der Lage ist, ein humaneres, ein werthaltigeres Leben zu garantieren, die Aufklärung will die Vormundschaft der Kirche nicht mehr, sie will die Religion privatisieren. Das ist vielen Päpsten nicht annehmbar. Im 19. Jahrhundert kommen die politischen Strömungen und Herrschaftsformen von Liberalismus und Demokratie dazu, die dieses Joch auch abschütteln wollen.
Also, der Papst, der die Unfehlbarkeit zum Dogma erhoben hat, sieht sich in einem Fundamentalkonflikt, in einem Krieg gegen die Zeit. Also, dieses Dogma der Unfehlbarkeit ist tatsächlich ein Versuch, Zeitströmungen zurückzudrängen, die aus römischer Sicht verhängnisvoll sind. Man konnte sich dabei darauf berufen, dass in römischer Auffassung, römischer Sicht diese Idee der Unfehlbarkeit bei zentralen Entscheidungen über die Lehre und über die Moral schon vorher verbreitet gewesen sei. Sie wurde aber nie allgemein als ein Glaubensinhalt verkündet.
Weber: Sie sagten, Zeitströmungen zurückdrängen. Das ist ja vielleicht auch was, was man für das 16. Jahrhundert und den Umgang mit der Reformation sagen kann. Sie haben im letzten Jahr ein Buch über Luther aus römischer Sicht vorgelegt. Wenn Sie jetzt diese Papstgeschichte zusammengestellt haben, natürlich auch noch aus anderen Forschungen, hat sich aber da für Sie noch mal der Blick auf diese Päpste, die Luther begegnet sind – also Leo X. und Clemens VII. wohl vor allem –, hat sich das geändert, weil Sie das jetzt so noch mal in der Kontinuität der Vorgänger gesehen haben?
Reinhardt: Nicht geändert, aber angereichert und um viele Faktoren und Facetten erweitert. Es ist ein faszinierendes Unterfangen, die großen Entwicklungsbögen, die langen Entwicklungslinien einer Institution über mehr als anderthalb Jahrtausende zu verfolgen. Und man sieht dann, dass viele Motive, die man einer bestimmten Zeit zuordnen würde, eigentlich schon viel älter und viel traditioneller angelegt sind. Wie gesagt, der Nepotismus als eine Hauptachse des Papsttums, die Machtansprüche, auch die Ritualisierungen, mit denen diese Ansprüche vorgebracht werden. Also, das ist, glaube ich, für alle Historiker aller Epochen eine sehr heilsame Lektion und – ich hoffe es zumindest – für den Leser faszinierend zu sehen, wie lang diese Entwicklungsbögen sind und wie sich eine Idee, eine Substanz, ein Anspruch von Jahrhundert zu Jahrhundert ganz neu einkleiden, neu präsentieren kann und im Kern doch unverändert bleibt.

Neuer Papst, altes Rollenbild

Weber: Wenn wir jetzt noch mal auf den aktuellen Papst schauen, Franziskus, der hat ja ein neues Beratergremium geschaffen, auch K9-Rat genannt, weil da gerade neun Kardinäle drin sitzen, die dem Papst bei der Regierung der Weltkirche behilflich sein sollen.
Ist auch das so eine Sache, wo Sie sagen, das ist im Grunde nur eine alte Idee in neuem Gewand, oder ist das tatsächlich eine wirkliche Neuerung und eine langsame oder ein leichtes Abschwächen vielleicht des absolutistischen Regierens?
Reinhardt: Ganz sicher nicht. In früheren Jahrhunderten sind Päpste viel enger an die Meinung der Kardinäle gebunden gewesen. Es gehörte eigentlich zum guten Ton, dass ein Papst nur das politisch und auch innerkirchlich durchsetzt, was das "placet", also die Zustimmung der Kardinäle gefunden hat. Beratende Gremien der verschiedensten Form, sehr enge, meistens aus Servanten des Papstes bestehende oder auch größere, hat es zu allen Zeiten gegeben. Das ist ganz sicher nichts Neues.
Auch die Rolle, mit der der Papst momentan an die Öffentlichkeit tritt, die man vielleicht etwas salopp so zusammenfassen könnte: der Pontifex Maximus gegen seinen eigenen Apparat, gegen … also ein empathischer, mitfühlender Papst gegen die seelenlose Bürokratie seiner eigenen Institution, auch das ist eine Rolle, die es schon sehr oft und sehr lange in der Geschichte gegeben hat.
Damit will ich nicht sagen, dass das bei Papst Franziskus eine Inszenierung ist. Er verkörpert ganz sicher diese Ideale und verkörpert sie auch überzeugend, aber diese Rolle ist alt. Und jeder Papst muss sich in dieser Kontinuität des Amtes ein Rollenmodell aussuchen, Benedikt XVI. hatte ein anderes, auch in der Vergangenheit angelegtes gewählt, das des gelehrten Papstes, der größere Distanz zu den Medien hält. Das hat ihm die Öffentlichkeit nicht gedankt. Aber auch dieses Modell können wir in den vergangenen Jahrhunderten vielfach nachweisen.
Weber: Vielen Dank, Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Volker Reinhardt: "Pontifex. Die Geschichte der Päpste. Von Petrus bis Franziskus"
C.H.-Beck-Verlag, 928 Seiten, 38 Euro

Mehr zum Thema