Von Pommes-Frauen und Fußball-Fans
In fünf Sektionen wie "Fakten für Verbraucher" oder "Unterhaltung am Wochenende" erklärt und beschreibt Frank Goosen das Ruhrgebiet, lädt ein zu einer Zeitreise in die 60er-, 70er- und 80er-Jahre, wo Familie und Gemeinschaft immer die Eckpfeiler der Menschen im Ruhrpott waren: Zuhause, Heimat pur, zum Beispiel bei Sigi anner Ecke, im "Sportfreund".
"Also der Tresen ist mit einem T-Träger im Boden verankert, die Barhocker sind fest montiert auf Stahlsäulen, die einen Meter ins Erdreich runterreichen. Ej, hier kann vor dem Haus 'ne Atombombe hochgehen, dann sind wir alle nicht mal mehr Asche, aber ich sage euch, der Tresen und die Hocker bleiben stehen. Wer beim Tanzen allerdings dagegen fliegt, der handelt sich 'nen Schädelbruch ein."
Fest gefügt in Gottes Erde. Was soll da noch schief gehen mit dem Kulturhauptstadtjahr Europas? Behutsam erklärt Ur-Einwohner Frank Goosen die Faszination des Ruhrgebiets, zum Beispiel dessen geradezu buddhistische Bescheidenheit: Da sagt keiner, das Ruhrgebiet sei schön, sondern "Woanders is' auch Scheiße".
Was die Menschen dieser Region auszeichnet, sind ihre Identität und ihre Sprache, das heißt, Frank Goosens Erzählband "Radio Heimat" zu lesen macht Spaß, den wahren Genuss und die sprachliche Authentizität erschließt allein das Hörbuch. Frank Goosen muss man hören.
"Wenn man jemandem etwas abkauft, hat man doch gerne das Gefühl, der Verkäufer oder die Verkäuferin vertraut diesem Produkt auch privat. Ein Mercedes-Händler, der privat Opel fährt, das weckt Misstrauen. Steht man vor einem spillerigen Männeken von knapp 1.50, ist man geneigt zu sagen, bei dir kauf ich Drogen, aber keine Pommes. Sehr viel mehr Vertrauen erweckte die Service-Kraft von Hölschers Imbiss an der Bochumer Gussstahlstraße, gleich anne Gurke, dem Rotlichtbezirk. (…) Und hier stand sie, die Pommes-Frau schlechthin. Über 1.80 groß, mit Schultern wie ein Gewichtheber, ohne Ärmel, damit man die Muskeln im Unterarm arbeiten sah, wenn sie die Currywurst mit der Papierschere zerschnitt, um sie zur Curry-Wurst werden zu lassen."
Gerade das Hörbucherlebnis vermittelt Frank Goosens lange kabarettistische Erfahrung, ein Publikum erzählerisch zu fesseln - bewundernswert Goosens Hörbuch-Sprache, gestochen präzise und nonchalant, nie platt.
In fünf Sektionen wie "Fakten für Verbraucher" oder "Unterhaltung am Wochenende" erklärt und beschreibt Frank Goosen, Jahrgang 1966, das Ruhrgebiet, lädt ein zu einer Zeitreise in die 60er-, 70er- und 80er-Jahre, wo Familie und Gemeinschaft immer die Eckpfeiler der Menschen im Ruhrpott waren: Zuhause, Heimat pur, zum Beispiel bei Sigi anner Ecke, im "Sportfreund".
"Anfang der 60er hatten Sigi und Anni die Kneipe übernommen, und Generationen von Schülern sind hier abgestürzt. Natürlich ist es schockierend, sich vorzustellen, wie 16-, 17-jährige Jungspunde sich um schon kurz nach 8 oder in der großen Pause, so um halb 10, einen halben Liter Pils einverleiben, aber wie sagte Sigi gern: 'Wat der Mensch braucht, dat muss er haben'."
Und wenigstens sind die Kinder, oder die Blagen, wie man im Pott sagt, von der Straße weg.
Sprachwissenschaftlich behutsam führt Goosen in die kreative und metaphernreiche Bilderwelt des Ruhrgebiets ein, wo Raufasertapete Pickelpapier genannt wird und eine feste Freundin: Alte, Olle oder Torte beziehungsweise Trümmertorte.
Wie ein Anthropologe arbeitet sich Chronist Goosen mit spitzer Feder durch die Welt des Ruhrgebiets, wo bei allem Humor irgendwann auch Schluss mit lustig ist. Dat kann ich Dich flüstern.
"Fußball ist bei uns im Ruhrgebiet nicht nur unsere liebste Wochenendbeschäftigung, sondern vor allem das Feld, auf dem wir unsere Rivalitäten auszuleben."
Frank Goosen weiß, wovon er spricht. Als erfolgreicher Sport-Journalist und als Fan des VfL Bochum, bei Heim- und - wenn es geht - auch bei Auswärtsspielen. Wenn Gott ein Fußballfan ist, Papst Johannes Paul II. war ja immerhin Mitglied bei Schalke, dann muss ein Spezialist und Feingeist wie Frank Goosen, also in Gottes Ohr, eine eigene Fernsehsendung zur Fußballweltmeisterschaft bekommen. Zu Fußball:
"Als Außenstehender kann man sich das nicht vorstellen, was das heißt und zu welchen Konflikten das führen kann. Da gönnen die Blau-Weißen den Schwarz-Gelben nicht den Kohlenstaub in der Arschritze, bisweilen geht der Riss mitten durch die Familie."
Eins hat das Kulturhauptstadtjahr 2010 jetzt schon erreicht, es hat aus dem Ruhrpott-Geheimtipp Frank Goosen einen deutschen Bestellerautor à la Nick Hornby und herrlich unauffälligen Medienstar gemacht. Er hat's verdient. Das Hörbucherlebnis, Goosen sprachlich bravourös, ist atmosphärisch pure Magie. Also endlich mal im Westen was Neues.
"Heute lebe ich natürlich viel gesünder. Manchmal aber muss es sein: Curry-Wurst, Pommes, Majo, ganz schnell und im Stehen, gehört schließlich zur kulturellen Identität."
"Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde, schenk noch mal ein."
Besprochen von Lutz Bunk
Frank Goosen: Radio Heimat: Geschichten von zuhause
Tacheles!-Roof Music Verlag, Bochum 2010
151 Minuten, 2 CDs, 14,95 Euro
Fest gefügt in Gottes Erde. Was soll da noch schief gehen mit dem Kulturhauptstadtjahr Europas? Behutsam erklärt Ur-Einwohner Frank Goosen die Faszination des Ruhrgebiets, zum Beispiel dessen geradezu buddhistische Bescheidenheit: Da sagt keiner, das Ruhrgebiet sei schön, sondern "Woanders is' auch Scheiße".
Was die Menschen dieser Region auszeichnet, sind ihre Identität und ihre Sprache, das heißt, Frank Goosens Erzählband "Radio Heimat" zu lesen macht Spaß, den wahren Genuss und die sprachliche Authentizität erschließt allein das Hörbuch. Frank Goosen muss man hören.
"Wenn man jemandem etwas abkauft, hat man doch gerne das Gefühl, der Verkäufer oder die Verkäuferin vertraut diesem Produkt auch privat. Ein Mercedes-Händler, der privat Opel fährt, das weckt Misstrauen. Steht man vor einem spillerigen Männeken von knapp 1.50, ist man geneigt zu sagen, bei dir kauf ich Drogen, aber keine Pommes. Sehr viel mehr Vertrauen erweckte die Service-Kraft von Hölschers Imbiss an der Bochumer Gussstahlstraße, gleich anne Gurke, dem Rotlichtbezirk. (…) Und hier stand sie, die Pommes-Frau schlechthin. Über 1.80 groß, mit Schultern wie ein Gewichtheber, ohne Ärmel, damit man die Muskeln im Unterarm arbeiten sah, wenn sie die Currywurst mit der Papierschere zerschnitt, um sie zur Curry-Wurst werden zu lassen."
Gerade das Hörbucherlebnis vermittelt Frank Goosens lange kabarettistische Erfahrung, ein Publikum erzählerisch zu fesseln - bewundernswert Goosens Hörbuch-Sprache, gestochen präzise und nonchalant, nie platt.
In fünf Sektionen wie "Fakten für Verbraucher" oder "Unterhaltung am Wochenende" erklärt und beschreibt Frank Goosen, Jahrgang 1966, das Ruhrgebiet, lädt ein zu einer Zeitreise in die 60er-, 70er- und 80er-Jahre, wo Familie und Gemeinschaft immer die Eckpfeiler der Menschen im Ruhrpott waren: Zuhause, Heimat pur, zum Beispiel bei Sigi anner Ecke, im "Sportfreund".
"Anfang der 60er hatten Sigi und Anni die Kneipe übernommen, und Generationen von Schülern sind hier abgestürzt. Natürlich ist es schockierend, sich vorzustellen, wie 16-, 17-jährige Jungspunde sich um schon kurz nach 8 oder in der großen Pause, so um halb 10, einen halben Liter Pils einverleiben, aber wie sagte Sigi gern: 'Wat der Mensch braucht, dat muss er haben'."
Und wenigstens sind die Kinder, oder die Blagen, wie man im Pott sagt, von der Straße weg.
Sprachwissenschaftlich behutsam führt Goosen in die kreative und metaphernreiche Bilderwelt des Ruhrgebiets ein, wo Raufasertapete Pickelpapier genannt wird und eine feste Freundin: Alte, Olle oder Torte beziehungsweise Trümmertorte.
Wie ein Anthropologe arbeitet sich Chronist Goosen mit spitzer Feder durch die Welt des Ruhrgebiets, wo bei allem Humor irgendwann auch Schluss mit lustig ist. Dat kann ich Dich flüstern.
"Fußball ist bei uns im Ruhrgebiet nicht nur unsere liebste Wochenendbeschäftigung, sondern vor allem das Feld, auf dem wir unsere Rivalitäten auszuleben."
Frank Goosen weiß, wovon er spricht. Als erfolgreicher Sport-Journalist und als Fan des VfL Bochum, bei Heim- und - wenn es geht - auch bei Auswärtsspielen. Wenn Gott ein Fußballfan ist, Papst Johannes Paul II. war ja immerhin Mitglied bei Schalke, dann muss ein Spezialist und Feingeist wie Frank Goosen, also in Gottes Ohr, eine eigene Fernsehsendung zur Fußballweltmeisterschaft bekommen. Zu Fußball:
"Als Außenstehender kann man sich das nicht vorstellen, was das heißt und zu welchen Konflikten das führen kann. Da gönnen die Blau-Weißen den Schwarz-Gelben nicht den Kohlenstaub in der Arschritze, bisweilen geht der Riss mitten durch die Familie."
Eins hat das Kulturhauptstadtjahr 2010 jetzt schon erreicht, es hat aus dem Ruhrpott-Geheimtipp Frank Goosen einen deutschen Bestellerautor à la Nick Hornby und herrlich unauffälligen Medienstar gemacht. Er hat's verdient. Das Hörbucherlebnis, Goosen sprachlich bravourös, ist atmosphärisch pure Magie. Also endlich mal im Westen was Neues.
"Heute lebe ich natürlich viel gesünder. Manchmal aber muss es sein: Curry-Wurst, Pommes, Majo, ganz schnell und im Stehen, gehört schließlich zur kulturellen Identität."
"Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde, schenk noch mal ein."
Besprochen von Lutz Bunk
Frank Goosen: Radio Heimat: Geschichten von zuhause
Tacheles!-Roof Music Verlag, Bochum 2010
151 Minuten, 2 CDs, 14,95 Euro