Von Räumen und verborgenen Dimensionen

    Von Robert Brammer |
    Im Einsteinjahr hat die Verwendung des Begriffs "Raumzeit” Hochkonjunktur: ein Raum mit drei Dimensionen, die wir aus der Erfahrung kennen - Höhe, Breite, Tiefe - hinzugenommen die Zeit. Das ist kaum vorstellbar und trotzdem real - und dennoch nicht die ganze Wirklichkeit des Universums, deren Ergründung die Physiker von heute umtreibt.
    "Die Vorstellung ist dann die, das an jedem Punkt unserer vierdimensionalen Raumzeit ist noch eine kleiner sechsdimensionaler Raum angeheftet. Und wenn Sie jetzt ein sehr gutes Mikroskop hätten, könnten Sie das sehen. "

    "Das schönste und tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion, sowie allem tieferen Streben inr Kunst und Wissenschaft zu Grunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter so doch wie ein Blinder. "

    "Der normale Erwachsene", gestand Albert Einstein einmal, "denkt nicht über Raum-Zeitprobleme nach. Das erledigen Kinder.”

    "Wir könnten aus bestimmten Gründen auf einer dreidimensionalen Membrane gefesselt sein. Das heißt, die Wechselwirkungen, die wir in unserem täglichen Leben erfahren, sind auf drei Dimensionen beschränkt und es ist uns eben nur sehr schwer möglich, in die Extradimension einzutreten oder auch Signale in die die Extradimensionen, in die höheren Dimensionen zu schicken. "

    Die Physik ist heute auf der Suche nach unbekannten und verborgenen Dimensionen, nach exotischen Räumen und nach Parallelwelten. In der Physik gibt es die Vorstellung, die Welt könnte in einem höher dimensionierten Raum existieren.

    "Dazu gibt es ein schönes Beispiel, das ist das so genannte Höhlengleichnis von Plato. So ähnlich könnte es uns auch gehen. "

    Seit jeher dachten Gelehrte, Raum und Zeit seien absolute Größen, ewig und unveränderlich. Denn unsere gesamte Existenz, alles was wir tun, denken und erfahren - unsere gesamte Wahrnehmung - findet in einem Raum und innerhalb eines Zeitintervalls statt.

    Die Begriffe von Raum und Zeit, wie wir sie in unseren Alltagsvorstellungen verwenden gehen bis auf die Anfänge der Wissenschaft in der Antike zurück. Doch die Wissenschaft weiß heute noch immer nicht: Was ist Raum? Gibt es einen Unterschied zwischen Raum und Materie? Gibt es so etwas wie leeren Raum? Und gibt es Raum, ohne dass materielle Dinge in ihm sind?

    Für Newton waren Raum und Zeit noch die unveränderliche Bühne des Naturgeschehens. Der englische Physiker erklärte Raum und Zeit zu ewigen und unwandelbaren Bestandteilen des Kosmos, Urgegebenheiten, die allen Fragen und Erklärungen entzogen seien.

    Doch schon Gottfried Wilhelm Leibnitz und andere meldeten gegen diese Sichtweise lautstarken Protest an und erklärten, Raum und Zeit seien lediglich Buchhaltungsmaßnahmen - also eine bequeme Methode, um die Beziehungen zwischen Objekten und Ereignissen im Universum zusammenzufassen.

    Für neue Irritationen sorgte dann der Göttinger Mathematiker Bernhard Riemann. Im Juni 1854 hielt er seine berühmte Antrittsvorlesung über die Theorien höherer Dimensionen. Mit seinen Hypothesen brachte er die Stützpfeiler der griechischen Geometrie zum Einsturz, die zweitausend Jahre lang allen Angriffen standgehalten hatten. Der Riemannschen Geometrie gelang es erstmals, einen Raum mit mehr als drei Dimensionen zu definieren.

    Riemanns Ausführungen wirkten damals schockierend. Denn sie vermittelten, so Hermann Nicolai, Leiter des Potsdamer Albert Einstein-Instituts für Gravitationsphysik, die Erkenntnis, dass auch alternative Geometrien möglich sind.

    "Für Mathematiker war das Konzept eines höherdimensionalen Raumes schon seit langem bekannt und ein Mathematiker hat auch keine Schwierigkeiten damit zu operieren. Sich das konkret vorzustellen, das ist schon ein bisschen eine anderer Frage. Wir können uns einfach bildlich nicht vorstellen, wie ein vierdimensionaler Raum aussieht, wie er wirklich aussieht. Weil wir ja leben in drei Raumdimensionen und als biologische Wesen sind wir in drei Dimensionen entstanden. Wir können nur drei Dimensionen wahrnehmen. Was aber nicht heißt, dass es darüber hinaus nicht was anderes gibt. Also wenn wir etwas mit den Sinnen nicht unmittelbar erfassen können, heißt das nicht, das wir es nicht trotzdem verstehen können. Und ähnlich verhält es sich mit den höheren Dimensionen. Die können wir uns nicht vorstellen. Aber die Regeln der Mathematik erlauben uns oder befähigen uns, sehr wohl damit zu operieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, die man dann vielleicht sogar experimentell verifizieren kann. "

    Es war 1905, als Einstein mit seinen spektakulären Entdeckungen der Relativitätstheorie eine neue Weltsicht eröffnete. Doch die meisten Menschen orientieren sich noch immer eher an den traditionellen Vorstellungen von Raum und Zeit. Bis heute haben wir die Relativitätstheorie nicht wirklich verinnerlicht - wir haben sie nicht im Gefühl und auch keine Intuition für ihre Folgen. Denn wir sind, so der Potsdamer Physiker Stefan Theissen, unfähig, uns mit unseren dreidimensionalen Gehirnen ein Bild von der vierten Dimension zu machen.

    "Man kann ja nicht vierdimensional sehen. Insofern ist das schon eine Beschränkung unseres Gehirns. "

    Der Maler Paul Klee schrieb 1905 - in dem Jahr als Einstein seine spezielle Relativitätstheorie entwickelt:

    ""Das Gesetz, welches den Raum trägt", das müsste der berechtigte Titel eines meiner Zukunftsbilder sein! "

    Einen Höhepunkt erreichte das Interesse für höhere Dimensionen zwischen 1870 und 1920, als die "vierte Dimension” - als eine rein räumliche Dimension verstanden - die Öffentlichkeit beschäftigte und allmählich auf alle Bereiche von Kunst und Wissenschaft übergriff, auf die Philosophie und die Literatur Europas abstrahlte und Künstler inspirierte, sich mit dem Raumbegriff der modernen Naturwissenschaften zu beschäftigten. Die vierte Dimension hat die Phantasie von Komponisten wie Skrjabin, Varese oder Antheil angeregt und tauchte in den literarischen Werken von Wilde, Dostojewski, Proust, Wells oder Conrad auf.

    Auch Pablo Picasso ließ sich von der Idee, der Vorstellung höher dimensionierter Räume inspirieren, so wenn er Frauengesichter gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven darstellte. Statt einen einzigen Standpunkt auszuwählen, lässt er in seinen kubistischen Gemälden mehrere Perspektiven erkennen, so als habe jemand aus der vierten Dimension gemalt, der in der Lage ist, alle Perspektiven gleichzeitig zu sehen. Er versuchte, die Wirklichkeit mit den Augen eines vierdimensionalen Geschöpfes zu betrachten. Solch ein Wesen würde beim Anblick eines menschlichen Gesichts alle Blickwinkel gleichzeitig wahrnehmen. Der Kubismus ist nicht zuletzt entstanden aus einer neuen Auffassung der Wahrnehmung von Form und Raum.

    Und Paul Klee, der sich auch in seinen Schriften mit der Relativitätstheorie befasste, setzte diese Beschäftigung in seinen Bildern um, indem er ein horizontal gegliedertes Streifensystem zeichnete, das sich wie ein elastisches Bandwerk erweitert oder verjüngt. Er konnte damit den Eindruck eines grenzenlosen Fliessens erwecken. Diese oft über das ganze Bild ausgebreiteten Parallelstrukturen scheinen nie zu beginnen und nie aufzuhören und suggerieren so die Unendlichkeit des Raumes.

    Der rennomierte Physiker und Gravitationsforscher Jürgen Ehlers, der 1995 das Potsdamer Albert - Einstein -Institut mitbegründet hat, rätselt jedoch ob die Künstler diese hochkomplexen Theorien tatsächlich auch verstehen.


    "Mir geht es so, wenn ich Künstler reden höre über die Vierte Dimension oder Schwarze Löcher, mir kommt es so vor, dass diese Wörter in dem Künstler Assoziationen wecken, die für ihn etwas bedeuten, was er dann eventuell umsetzen kann in Bilder, ob allerdings diese Wörter, die bei ihm Vorstellungen hervorrufen, ob diese Wörter in ihrem Inhalt irgendetwas zu tun haben mit der Bedeutung dieser Wörter in der Physik, das bleibt völlig offen. Ich könnte mir sogar gut vorstellen, dass es einen Künstler gar nicht interessiert, welche Bedeutung diese Ausdrücke haben in der Physik. Für ihn ist es ausreichend und auch das Wesentliche, dass es ihm Anregungen gibt für neue darstellende Kunst - wie es ja auch Ballettkünstler gibt, die nach der Formel E=mc Quadrat tanzen. "

    Im Frühjahr 1905 fand Albert Einstein heraus, dass Newtons statische Raum und- Zeitvorstellungen - bis dahin die Hauptpfeiler der klassischen Physik - so nicht stimmen konnten. Er stellte Newtons Kosmos gleichsam auf den Kopf. Einstein erkannte, dass Raum und Zeit nicht unabhängig und absolut sind, wie Newton das angenommen hatte, sondern aufs Innigste miteinander verbunden. Er relativierte Raum und Zeit und sah sie gleichzeitig aber als Teile eines einheitlichen Ganzen.

    "Früher hat man geglaubt, wenn alle Dinge aus der Welt verschwinden, so bleiben noch Raum und Zeit übrig; nach der Relativitätstheorie verschwinden aber Zeit und Raum mit den Dingen. (Albert Einstein) "

    Einstein erkannte, dass Raum und Zeit unauflöslich miteinander verwoben sind, weil die Bewegung eines Objekts durch den Raum seine Bewegung durch die Zeit beeinflusst. Und in seiner allgemeinen Relativitätstheorie zeigte er zehn Jahre später, dass Raum und Zeit über ihre Krümmungen auch auf die kosmische Entwicklung einwirken.

    Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagte vorher, dass die Sonne Raum und Zeit in ihrer Umgebung krümmt - ähnlich dem Abdruck einer Bowlingkugel, die auf ein Gummituch gelegt wird - und dass diese Verzerrung den Weg beeinflusst, den das Sternenlicht nimmt. Der Raum also ist stetig gekrümmt und von Materie verformbar.

    Oder anders ausgedrückt: Wenn sich irgendwo im Universum große Massen bewegen oder wenn Sterne explodieren, dann wird der Raum gedehnt oder gequetscht. Jeder Körper verändert so die Raumzeit seiner Umgebung. Und jede Störung der Raumzeit äußert sich auf der Erde als ein zartes Zittern, als das winzige Rauschen einer Welle.

    Einstein revolutionierte unsere Vorstellungen von Raum und Zeit - aber die materielle Welt, sie wurde seither auch weniger anschaulich.

    Einstein beschrieb die Gravitationskraft der Materie in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie als die Krümmung der Raumzeit in einer vierten Dimension. Doch da wir uns in einer dreidimensionalen Welt befinden, sind uns vier Dimensionen, so der Gravitationsphysiker Jürgen Ehlers, immer nur als ein theoretisches, als ein mathematisches Modell vorstellbar.

    "Wirklich anschaulich vorstellen können wir uns noch nicht einmal einen gekrümmten drei dimensionalen Raum geschweige denn eine gekrümmte vierdimensionale Raumzeit. Dazu muss man Mathematik studieren. Und wenn man auf dem Gebiet arbeitet, dann macht man sich auch so etwas wie Pseudoveranschaulichungen zurecht. Ich kann das dadurch vergleichen: ein Architekt der kann sich aufgrund zweidimensionaler Darstellungen eines Hauses - nämlich indem er einen Grundriss hat und einen Aufriss dadurch kann er sich daran gewöhnen gleichsam etwas Dreidimensionales in seinem Kopf sich vorzustellen, obwohl er dann nur zweidimensionale Darstellungen vor sich hat. So ähnlich kann man sich als Relativitätstheoretiker Pseudoveranschaulichungen machen in zwei und drei Dimensionen und damit dann allmählich auch außer den Formeln sich ein gewisses Bild machen von der vierdimensionalen Raumzeit. "

    Der deutsche Physiker Theodor Kaluza brachte als erster die Existenz von zusätzlichen Dimensionen in die Diskussion. Im April 1919 erhielt Albert Einstein einen Brief des Mathematikers von der Universität in Königsberg. Darin schlug Kaluza vor, nicht von drei räumlichen Dimensionen auszugehen, sondern von vier, so dass sich zusammen mit der Zeit fünf Raumzeitdimensionen ergaben. Nur: es gab damals nicht den geringsten Hinweis auf diese zusätzlichen Raumdimensionen. Bis der schwedische Physiker Oskar Klein 1926 eine plausible und in sich schlüssige Theorie präsentierte: so wie beispielsweise ein Seil, wenn man es näher betrachtet, eine zusätzliche, kleine, aufgewickelte und kreisförmige Dimension hat, so könne doch möglicherweise auch die Raumstruktur über eine kleine, aufgewickelte und kreisförmige Dimension verfügen, die jedoch so winzig ist, dass sie von keinem Messinstrument aufgespürt werden kann und uns deshalb, so Stefan Theissen vom Potsdamer Albert-Einstein-Institut, verborgen bleibt.

    "Was Kaluza eingeführt hat, das war eine zusätzliche Dimension von der Topologie eines Kreises. Die Vorstellung von Kaluza war, dass in jedem Punkt des dreidimensionalen Raumes noch ein zusätzlicher Kreis in der vierten Dimension sozusagen angeheftet ist. Das kann man sich leicht vorstellen, wenn man den dreidimensionalen Raum erst einmal reduziert auf zwei Dimensionen, wo in jedem Punkt noch ein Kreis angeheftet ist. Das kann man sich vorstellen. "

    Trotzdem erzeugt diese Theorie Schwindelgefühle. Denn es geht hier um Extradimensionen, so Hermann Nicolai, die so klein sind, dass sie sich bis jetzt selbst mit modernsten Messgeräten nicht aufzuspüren lassen.

    "Nach Kaluza Klein sind die Extradimensionen aufgerollt, zusammengerollt, kompaktifiziert, wie man sagt. Und zwar so aufgerollt, dass man sie nicht mehr sieht. Sie können sich das so vorstellen wie ein Gartenschlauch, der aus der Ferne ausschaut wie eine eindimensionale Linie. Aber wenn Sie näher hinschauen wird klar, dass der Gartenschlauch sehr wohl Ausdehnung hat. Und so kann man sich das mit den Extradimensionen auch vorstellen. "

    Das zwanzigste Jahrhundert brachte zwei große physikalische Theorien hervor: Einsteins Relativitätstheorie für die großen Entfernungen, für Sterne und Galaxien, und die Quantenmechanik für den Nanobereich, für Moleküle, für Atome und subatomare Teile. Doch so schlüssig diese beiden Theoriegebäude auch sind, sie passen nicht zueinander, ja sie schließen sich sogar gegenseitig aus.

    Schon Albert Einstein versuchte, diesen Widerspruch aufzulösen. Heute glauben Physiker, mit der Stringtheorie endlich ein System gefunden zu haben, mit dem sie die Entdeckungen und Erkenntnisse der Relativitäts- und der Quantentheorie zu einem bruchlosen Ganzen zusammenfügen können - zu einer einzigen Theorie, die fähig sein soll, alle physikalischen Phänomene zu beschreiben.
    Die zehndimensionale Stringtheorie, so der Münchener Wissenschaftler Dieter Lüst, gilt vielen Physikern heute als die merkwürdigste - aber auch als die leistungsfähigste Theorie, die es je gegeben hat.

    "Das Besondere, und das ergibt sich nun jetzt aus der Mathematik der Stringtheorie ist nun, dass die Stringtheorie von sich aus, ganz automatisch nicht in drei Dimensionen leben kann, sondern ganz automatisch in eine höher dimensionale Welt eingebettet sein muss. Das heißt, der String kann seine Schwingungen mathematisch konsistent nur in einer höherdimensionalen Welt ausführen. "

    Die Stringtheorie führt uns in Welten, die 10 oder sogar 26 Dimensionen kennen. Die Stringtheorie besagt, dass die Teilchen, die wir kennen, nicht der fundamentale Baustein des Universums sind und dass die aus Atomen bestehende Materie, die uns konstituiert, nicht die wesentliche Substanz unseres Universums ist.

    Die fundamentalen Bausteine - das sind die Strings - lange Fäden, die aus Energie bestehen, aus purer Energie. Und die wie die Seiten eines Cellos unterschiedlich schwingen. Und je nach der Schwingung der Saite entsteht, statt eines bestimmten Tons, zum Beispiel ein Elektron oder ein Quark. Jedes Teilchen unseres Universums ist also durch einen schwingenden, oszillierenden, tanzenden, eindimensionalen Faden charakterisiert. Winzige Energiefäden, definiert als die kleinste Einheit in unserem Kosmos - rund hundert Milliarden Milliarden mal kleiner, als ein einzelner Atomkern, gewissermaßen unendlich dünne Gummibänder, die hin und herschwingen. Je höher ihre Schwingungsfrequenz, umso größer ist ihre Energie und damit ihre Masse. Strings sind die ultramikroskopischen Bestandteile der Elementarteilchen, aus denen die Atome bestehen. Die Stringtheorie erklärt alle Materie und alle Kräfte aus diesen schwingenden Saiten.

    Und wie es eine unendliche Zahl von Klängen gibt, die sich für eine Geige komponieren lassen, so könnte es auch eine unendliche Zahl von Materieformen, geben, die sich aus schwingenden Strings konstruieren lassen. Das Universum wird auf der ultramikroskopischen Ebene so zu einem Inbegriff eines gigantischen Konzerts, einer kosmischen Symphonie. Materie, so schwärmt der Physiker und Mathematiker Brian Green, sei nichts anderes als die von diesen schwingenden Strings geschaffenen Klänge.

    Der Kosmos - also ein gigantische Konzert? Seit langem schon diente die Musik den Philosophen und Naturforschern, die über den Kosmos nachdenken, als eine Lieblingsmetapher.

    Und die mögliche Existenz von sechs oder sieben zusätzlichen Dimensionen gibt uns Anlass zu den verrücktesten Träumen. Was steckt hinter diesen Dimensionen? Und wie erforscht man die Hinterwelt, die sich hinter diesen Dimensionen verbirgt?

    Mathematisch gesehen müssen die Strings, um ihre Schwingungen durchführen zu können, in neun räumlichen Dimensionen existieren. Was aber determiniert diese neun Raum Dimensionen? Warum sind drei Dimensionen heute groß und sechs auf ein Minimum geschrumpft? Was hat diese sechs Dimensionen schrumpfen lassen? Und warum sind diese dann verschluckt worden?

    "Ja das eist eine sehr gute Frage. Das ist vermutlich ein sehr komplizierter dynamischer Prozess, den wir in der Stringtheorie zugegebenermaßen auch noch nicht vollständig verstehen. Erstmal versuchen wir beschreibend heranzugehen. Wir machen einen Ansatz, dass unserer Welt besteht aus drei großen Dimensionen und sechs kleinen Dimensionen und überprüfen ob das zumindest eine Lösung der so genannten Stringgleichung darstellt. Und das ist in der Tat der Fall. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Es könnte auch sein, dass die Welt tatsächlich höherdimensional ist. Das sich nicht nur drei Dimensionen ausgedehnt haben, sondern auch mehrere. Diese Dynamik, die haben wir noch nicht wirklich voll unter Kontrolle, obwohl es dafür auch gewisse Anzeichen in bestimmte Richtungen gibt. Aber das ist noch Gegenstand der modernen Forschung. Warum es eben drei große und sechs kleine Dimensionen gibt. "

    Dieses poetische Bild hat nur einen Schönheitsfehler: bislang beruht es auf purer Theorie. Die Experimente werden auf dem Computer durchgerechnet. Nichts davon ist experimentell bewiesen. Denn die Strings sind so winzig, dass zu ihrem Nachweis ein Teilchenbeschleuniger von der Größe der Milchstraße nötig wäre.

    Die Stringtheorie ist vor allem eine Theorie des Winzigen. Würde man ein Atom auf die Größe unseres Sonnensystems aufblasen, dann hätte ein String die Größe eines Baumes.

    Die Tatsache, dass wir nicht in der Lage sind, Abstände zu erfassen, die kleiner als ein milliardstel milliardstel Meter sind, schließt auch die Möglichkeit winziger Zusatzdimensionen ein.

    "Wir sollten uns nicht vorstellen, dass dieser Mikrokosmos jetzt auch wieder von Mikrozivilisationen oder Mikromenschen bewohnt ist. Wir haben diese Distanzen bis zu einem bestimmten Bereich erforscht, aber nicht weiter bis ungefähr 10 hoch minus 15 oder 10 hoch minus 16 Zentimeter. Und wenn wir noch tiefer in die Struktur der Materie eindringen möchten, dann benötigen wir dazu noch bessere, noch stärkere Beschleunigeranlagen, und das sind gewissermaßen unsere experimentellen Werkzeuge, um noch weiter in die Struktur des Raumes einzudringen. Und eventuell werden wir dann eben feststellen, dass es eben noch sehr, sehr kleine Extradimensionen gibt. Aber ich würde jetzt nicht so weit gehen, dass man auch noch von sehr extra kleinen Zivilisationen sprechen sollte. "

    Erstmals in der Geschichte der Physik existiert heute ein System, mit dessen Hilfe sich jede fundamentale Eigenschaft des Universums erklären lässt. Und vielleicht kann die Stringtheorie auch eine plausible Schöpfungstheorie liefern.

    So entstand der Urknall möglicherweise beim Zerfall des ursprünglich zehndimensionalen Kosmos in ein vier- und ein sechsdimensionales Universum.

    Denn nach der Stringtheorie war unser Kosmos vor dem Urknall ein vollkommenes zehndimensionales Universum. Doch die zehndimensionale Welt war instabil und "zersprang” schließlich in eine vier- und in eine sechsdimensionale Welt. Durch diese kosmische Katastrophe entstand das Universum, in dem wir leben. Unser vierdimensionales Universum dehnte sich explosionsartig aus, während sich das sechsdimensionale Zwillingsuniversum heftig zusammenzog, bis es auf eine unendliche Winzigkeit zusammengeschrumpft war. Somit sind vom einst zehndimensionalen String nur noch ihre vierdimensionalen Abbilder übrig geblieben. Dieser Theorie zufolge, so Hermann Theissen, hat unser Kosmos also noch immer ein Begleituniversum, das sich zu einer kleinen sechsdimensionalen Kugel aufgewickelt hat - so winzig, dass sie sich nicht beobachten lässt.

    "Man geht in der Kosmologie davon aus, dass das Universum sehr klein war und das das Universum sich ausgedehnt hat. Und dann könnte man fragen: vielleicht war ja das Universum sehr klein in allen zehn Richtungen: warum haben sich nur vier Richtungen ausgedehnt. Ja das ist eine gute Frage, auf die es keine gute Antwort gibt. Also warum das Universum vier große Raumzeit Dimensionen hat und in diesem geometrischen Bild sechs kleine, das ist unverstanden. Das ist eine große, eine wichtige, eine offene Frage. "

    Es ist aber auch denkbar, so der Münchener Stringtheoretiker Dieter Lüst, dass in anderen Universen auch eine andere Zahl von ausgedehnten Universen vorliegt, enge Universen zum Beispiel mit gar keiner oder nur einer großen Raumdimension und andere, weit ausufernde Universen mit acht, neun oder zehn ausgedehnten Dimensionen. Da ist Vieles auch auf den zweiten Gedanken kaum zu begreifen.

    "Es gibt in der Stringtheorie in der Tat sehr, sehr viele Möglichkeiten. Und da gibt es sehr, sehr viele Möglichkeiten, eine Zahl von ungefähr zehn hoch hundert oder sogar zehn hoch tausend Möglichkeiten. Das ist praktisch unvorstellbar. Und so gesehen kann es schon sein, dass es in anderen Universen, die es geben kann, es nicht nur drei, sondern vier, fünf, sechs, sieben oder acht große Dimensionen gibt - oder gar keine. "

    Vielleicht ist unser Universum auch eine so genannte Hyperfläche, ein flaches Universum, ein 'Bran' in einem höherdimensionalen Universum. Denn String - Theoretiker haben mit Hilfe komplizierter mathematischer Modelle errechnet, dass sich die String-Fäden zu zwei oder mehrdimensionalen Körpern ausdehnen - und diese "Membranen” können dann die Größe eines Universums erreichen. Es könnte also sein, so der amerikanische Stringforscher Brian Green, dass wir auf einem dreidimensionalem Membran leben, der in einem höherdimensionalen Raum schwebe. Der Raum, in dem wir existieren, sei vielleicht nur ein Splitter, der in einem größeren Kosmos schwebe. Diese Membrantheorie, so Hermann Nicolai, spielt in der Stringtheorie heute eine wichtige Rolle.

    "Neuerdings hat man auch noch andere Szenarien, wo die Extradimensionen groß bleiben. Und dann ist die Idee eher die, dass unser Universum, unser vierdimensionales Universum eine Art Hyperfläche ist in einem noch höherdimensionalem Hyperuniversum und dass nur die Materie auf dieser Hyperfläche gefangen ist. Also man muss sich das so vorstellen wie diese alten Fliegenfänger, die es früher gab. Die man in die Küche gehängt hat und dann wenn die Fliege drauf kam, blieb sie fest drauf kleben und die Fliege kann dann nur noch auf diesem Band herumkrabbeln. Und so muss man sich das vorstellen bei diesen Branweltszenarien. Also unser Universum ist so eine Art Fliegenfänger. Wir sind die Fliegen, die darauf herumkrabbeln. Aber es gibt noch weitere Dimensionen, in die wir nicht hineinkönnen. "

    Das Büro von Hermann Nicolai wird dominiert von einer mit Formeln voll geschriebenen Tafel. Aber die Formel, nach der am Potsdamer Albert Einstein Institut für Gravitationsphysik gesucht wird, sie soll einfacher sein, vielleicht sogar auf ein einziges Blatt Papier passen. Man ist auf der Suche nach einem einheitlichen Bild, so wie das Universum am Anfang in einer symmetrischen Phase war. Aber es wäre, so Hermann Nicolai schon eine enorme Leistung, wenn es gerade unserer Menschheit gelingen sollte, die Gesetze, auf denen das gesamte Universum basiert, herauszubekommen.

    "Wir sind keineswegs sicher, dass wir die richtige Theorie haben. Wir haben einige Hinweise, dass wir in die richtige Richtung gehen. Und zum anderen ist ja auch damit zu rechen, dass es im Verlauf der nächsten zehn, zwanzig Jahre zu spektakulären neuen Daten aus der Astrophysik kommen wird. Hier zum Beispiel hoffen wir sehr darauf, dass man nicht nur Gravitationswellen wird nachweisen können, sondern dass man Gravitationswellen vielleicht sogar benutzen kann, um in das Weltall zu schauen, um fast bis zum Anfang zurückzuschauen. "

    Die Forschungsergebnisse der Stringtheoretiker sind spektakulär, sie verlangen unserem Verstand viel ab und übertreffen oft die abenteuerlichsten Science-Fiction - Phantasien.

    Sollte die zehndimensionale Theorie stimmen, dann wäre das gleichbedeutend mit der Erkenntnis, dass die traditionelle "dreidimensionale Welt” zu klein ist um, so Hermann Nicolai, alle bekannten Kräfte unserer Welt in ihr unterzubringen.

    "Das wäre meiner Meinung nach schon eine spektakuläre Einsicht, wenn wir herausfinden würden, dass das Universum nicht vierdimensional ist, sondern in Wirklichkeit weitere Dimensionen hat. Das wäre eine Einsicht, die sicher so gewichtig wäre, wie die Einsicht von Kopernikus zum Beispiel, die kopernikanische Revolution. "