Zusammenfassung der Studie der Berliner European School of Management and Technology zu Griechenland:
Die seit 2010 an Griechenland geflossenen Milliardenhilfen sind einer Studie der Berliner Privat-Hochschule ESMT zufolge nahezu ausschließlich an Kreditgeber und Banken geflossen. Von den 215,9 Milliarden Euro, mit denen Griechenland im Rahmen der ersten beiden Rettungsprogramme von den europäischen Partnern und dem Internationalen Währungsfonds unterstützt wurde, gingen nur 9,7 Milliarden Euro und damit weniger als fünf Prozent direkt an Griechenlands Staatshaushalt. Wie aus der Analyse weiter hervorgeht, wurden mit 139,2 Milliarden Euro und damit 64 Prozent der Gesamtsumme Schulden zurückgezahlt und Zinsen beglichen. Die direkten Kapitalhilfen für Banken beliefen sich auf 37,3 Milliarden Euro oder 17 Prozent. Und knapp 30 Milliarden Euro wurden als Anreiz für Investoren genutzt, damit die sich an dem Forderungsverzicht von 2012 beteiligten. (Reuters)
Hilfszahlungen an Griechenland kamen größtenteils Banken zugute
Eine neue Studie einer Berliner Privathochschule rechnet vor: Die Hilfszahlungen an Griechenland kamen größtenteils Banken zugute. Mitautor Jörg Rocholl erläutert im Interview, wo das Geld geblieben ist und erklärt, warum ein Schuldenschnitt im Jahr 2010 entsprechend marktwirtschaftlicher Regeln angemessen gewesen wäre.
Robert Brammer: Ein Generalstreik legt seit Freitag den öffentlichen Verkehr in Griechenland lahm. Die Gewerkschaften hatten zum Protest gegen die Sparpolitik von Ministerpräsident Alexis Tsipras aufgerufen. Sie machen mobil gegen die von den internationalen Geldgebern geforderte Rentenreform und die geplante Erhöhung der Einkommenssteuer.
Wie das Opferlamm auf der Schlachtbank fühlen sich viele Griechen angesichts der neuen Sparmaßnahmen, die auf sie zurollen. Eine Studie unterstützt sie in diesem Gefühl, denn die seit 2010 an Griechenland geflossenen Milliardenhilfen sind nach Untersuchungen der Berliner Privathochschule European School of Management and Technology (ESTM) zufolge nahezu ausschließlich an Kreditgeber und an Banken geflossen.
Jörg Rocholl ist Professor und Finanzmarktexperte an der ESMT und mit Autor der Studie. Woher ist das Geld gekommen? Und an wen ist das Geld genau geflossen?
Nur rund fünf Prozent der Hilfsprogramme im griechischen Haushalt angekommen
Jörg Rocholl: Wir haben dabei untersucht, welche Anteile dieser Mittel an die bisherigen Gläubiger geflossen sind, zum einen dadurch dass die bestehende Schuld beglichen wurde. Zum anderen, dass Zinsen bezahlt wurden. Zum anderen, dass Anreize für den Schuldenschnitt im Jahr 2012 gegeben wurden und dass es eine Rekapitalisierung der griechischen Banken gab, genau nach diesem Schuldenschnitt. Und was wir feststellen ist, wenn man all diese Zahlungen zusammennimmt, nur ein Bruchteil der Mittel, nämlich etwa 10 Milliarden Euro oder fünf Prozent des Gesamtvolumens des ersten und zweiten Hilfsprogramms tatsächlich im griechischen Haushalt geblieben ist.
Brammer: Wer hat denn profitiert von dieser Art der Kreditumschuldung?
Rocholl: Wir haben hier im wesentlichen eine Umschuldung vom privaten zum öffentlichen Gläubiger feststellen können. Das heißt: Die Risiken, die bisher – vor dem Jahr 2010 – bei den privaten Gläubigern lagen, sind nach und nach auf die öffentliche Hand übertragen worden. (...) Profitiert haben die, die Anleihen gehalten haben – das sind zum einen die europäischen und insbesondere griechischen Banken, zum anderen aber auch alle anderen Investoren in griechische Staatsanleihen, die keinen Schuldenschnitt in 2010 erleiden mussten.
Brammer: Wer hat profitiert? Die europäischen Banken und die griechischen Banken?
Rocholl: Genau, diejenigen, die Anleihen gehalten haben. Das sind natürlich zum einen die europäischen Banken, in Griechenland insbesondere. Zum anderen aber auch alle anderen Investoren in griechische Staatsanleihen, die diese Anleihen vorher gekauft hatten und die jetzt keinen Schuldenschnitt erleiden mussten im Jahr 2010, sondern dann erst in sehr viel milderer Form und dann auch mit der Möglichkeit zur Anpassung im Jahr 2012.
Brammer: Was wäre denn passiert , wenn man die griechischen Banken nicht rekapitalisiert hätte und sie dann bankrott gegangen wären?
Rocholl: Das wäre in der Tat mit schwerwiegendsten Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland verbunden gewesen. Die griechischen Banken, und da sind im wesentlichen vier zu nennen, diese vier griechischen Banken hätten keine weiteren Kredite an Unternehmen, an Privatpersonen vergeben können. Damit wäre die Möglichkeit zu wirtschaftlichem Wachstum in Griechenland nicht mehr gegeben gewesen, aber – und das ist der entscheidende Punkt aus Sicht der Regulierung – die Banken in Griechenland wie auch in anderen Ländern, durften und dürfen nach wie vor unbegrenzt in Staatsanleihen investieren. (…) Das führt dann dazu, dass die Banken so massiv in Staatsanleihen investiert haben, dass jeder Schuldenschnitt, der bei den Staatsanleihen stattfindet, dazu führt, dass auch die Banken in Probleme geraten.
Ein marktwirtschaftliches Prinzip wurde außer Kraft gesetzt
Brammer: Alte Kredite werden durch neue ersetzt, während es vielen Menschen nochmals schlechter geht, aber der Wirtschaft nicht besser. Was wäre denn wirksamer gewesen?
Rocholl: Wenn man im Nachhinein darauf schaut, wären eine Reihe von Dingen wichtig gewesen: Erstens dass man den Strukturreformen in Griechenland viel mehr Gewicht gegeben hätte. Griechenland hat es ja geschafft, durch Steuererhöhungen, durch Sparmaßnahmen das Haushaltsdefizit deutlich zu reduzieren. Allerdings sind viele der wichtigen Strukturreformen – wie die Änderung in Katasterämtern, eine stärkere Effizienz auf dem öffentlichen Sektor, weitere Fragen von Marktmonopolen , die sich gebildet haben – diese sind nur viel weniger umfassend angegangen worden
Zum zweiten wäre mit einem Schuldenschnitt bereits im Jahr 2010, bei all den Problemen, die dabei hätten entstehen können, wäre eine deutlich geringere Summe an Krediten notwendig gewesen. Man hätte also damals diejenigen beteiligen können – und aus meiner Sicht: müssen – die auch die Rendite für diese Anleihen vorher bekommen hatten. Man hat also damals letztlich ein grundsätzliches marktwirtschaftliches Prinzip außer Kraft gesetzt, dass nämlich derjenige, der die Rendite bekommt, auch das Risiko tragen muss.
European School of Management and Technology: Link zur Studie