Von Scheiterhaufen bis FSK
Anekdotenreich blickt der Publizist Werner Fuld mit dem "Buch der verbotenen Bücher" in die Geschichte von Zensur und Schwarzen Listen. Den Begriff "Verbot" fasst er dabei sehr weit. Im Kapitel über die Literatur der DDR verliert er völlig die Beherrschung.
In vielen Bibliotheken gibt es geheime Zonen: Schränke oder ganze Räume mit weggeräumten, als gefährlich eingestuften Büchern, die in keinem allgemein zugänglich Katalog erfasst sind. Die Klosterbibliothek in Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose" ist das klassisch gewordene Muster. Selbst die Nazis verzichteten nicht darauf, die von ihnen ausgesonderten Titel in Zentralbibliotheken zu sammeln und im Geheimen aufzubewahren. Wenn der Publizist Werner Fuld nun "Das Buch der verbotenen Bücher" vorlegt, öffnet er all diese unzugänglichen, stickigen Räume der Literaturgeschichte.
"Verbotenes" fasst er dabei sehr weit. Er schreibt über die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria ebenso wie über den Skandal um Nabokovs "Lolita", über Scheiterhaufen und Schwarze Listen ebenso wie über freiwillige Selbstkontrolle und Feigheit, über unterdrückte Ideen und inhaftierte Autoren und über Boykotte, Jugendgefährdung und trickreiche Verleger. Obwohl seine "Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten" gerade das Ausgegrenzte, Umkämpfte, Anrüchige in den Blick nimmt, liest sie sich wie ein Who is Who der Weltliteratur. Das bedeutet nicht, dass verbotene Bücher zwangsläufig die besseren Bücher sind – vielleicht aber, dass entlang der Erregungen und Tabuverletzungen der einzelnen Epochen kulturelle Entwicklungszustände sichtbar werden.
Fuld hat seine Funde vor allem thematisch geordnet. Auf Kosten der Übersichtlichkeit und eines strengeren historischen Zugriffs ergeben sich dadurch überraschende Berührungen quer durch Zeiten und Länder. So führt seine Schilderung der Bücherverbrennung durch nationalsozialistische Studenten im Mai 1933 zu Scheiterhaufen in den USA, wo zeitgleich dieselben Bücher – Hemingway, Dos Pasos und andere - von moralischen Eiferern ins Feuer geworfen wurden. Im Kapitel "Glauben und Wissen" wird der "Index librorum prohibitorum" der katholischen Kirche behandelt, der 1559 als Instrument der Inquisition eingeführt und erst 1966 wegen zunehmender Wirkungslosigkeit abgeschafft wurde.
Dass Verbote häufig das Gegenteil des Erstrebten bewirken, indem sie Neugier und Aufmerksamkeit schaffen, ist ein immer wiederkehrendes Problem aller Zensoren. Und doch sind sie nicht wirkungslos: Für die Phase der europäischen Restauration unter Metternich schildert Fuld, wie Autoren durch Verbote zuerst ihre Verdienstmöglichkeiten verloren, und dann umso leichter als politische Spitzel anzuwerben waren.
Überhaupt ist es schwer, allgemeingültige Regeln abzuleiten. Noch nicht einmal der Minimalkonsens, dass Verbote immer abzulehnen sind, ist möglich. Im Streit um Maxim Billers Roman "Esra" sympathisiert Fuld aus personenschutzrechtlichen Erwägungen mit dem Verbotsurteil. Die Bundesprüfstelle, die Gewaltverherrlichendes und Pornographisches indiziert, regt ihn erst dann auf, wenn der Gesundheitsfanatismus der Gegenwart zum Dogma erhoben wird - und Lucky Luke seine Zigarette verliert.
Fulds Buch ist anekdotisch und durch ein Stichwort- und Personenverzeichnis auch lexikalisch nutzbar. Der Mangel an theoretischer Durchdringung wäre wohl hinnehmbar, wenn der Autor nicht gelegentlich in wütendes Ressentiment verfallen würde. Im Kapitel über Zensur in der DDR verliert er völlig die Kontenance und behauptet, fast schon selbst zum Inquisitor werdend: "Was in der DDR veröffentlicht wurde, verdient den Namen Literatur nicht". Solche Ausfälle beschädigen leider den Gesamteindruck dieser verdienstvollen, materialreichen Sammlung.
Besprochen von Jörg Magenau
Werner Fuld: Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte der Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute
Galiani Verlag, Berlin 2012
352 Seiten, 22,99 Euro
Mehr zum Thema auf dradio.de:
Fuld: DDR-Literatur war nur "Lebenshilfe" - Literaturkritiker provoziert mit abwertenden Äußerungen zu den Werken von Christa Wolf und Heiner Müller - (DKultur, Thema vom 19.4.2012)
"Verbotenes" fasst er dabei sehr weit. Er schreibt über die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria ebenso wie über den Skandal um Nabokovs "Lolita", über Scheiterhaufen und Schwarze Listen ebenso wie über freiwillige Selbstkontrolle und Feigheit, über unterdrückte Ideen und inhaftierte Autoren und über Boykotte, Jugendgefährdung und trickreiche Verleger. Obwohl seine "Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten" gerade das Ausgegrenzte, Umkämpfte, Anrüchige in den Blick nimmt, liest sie sich wie ein Who is Who der Weltliteratur. Das bedeutet nicht, dass verbotene Bücher zwangsläufig die besseren Bücher sind – vielleicht aber, dass entlang der Erregungen und Tabuverletzungen der einzelnen Epochen kulturelle Entwicklungszustände sichtbar werden.
Fuld hat seine Funde vor allem thematisch geordnet. Auf Kosten der Übersichtlichkeit und eines strengeren historischen Zugriffs ergeben sich dadurch überraschende Berührungen quer durch Zeiten und Länder. So führt seine Schilderung der Bücherverbrennung durch nationalsozialistische Studenten im Mai 1933 zu Scheiterhaufen in den USA, wo zeitgleich dieselben Bücher – Hemingway, Dos Pasos und andere - von moralischen Eiferern ins Feuer geworfen wurden. Im Kapitel "Glauben und Wissen" wird der "Index librorum prohibitorum" der katholischen Kirche behandelt, der 1559 als Instrument der Inquisition eingeführt und erst 1966 wegen zunehmender Wirkungslosigkeit abgeschafft wurde.
Dass Verbote häufig das Gegenteil des Erstrebten bewirken, indem sie Neugier und Aufmerksamkeit schaffen, ist ein immer wiederkehrendes Problem aller Zensoren. Und doch sind sie nicht wirkungslos: Für die Phase der europäischen Restauration unter Metternich schildert Fuld, wie Autoren durch Verbote zuerst ihre Verdienstmöglichkeiten verloren, und dann umso leichter als politische Spitzel anzuwerben waren.
Überhaupt ist es schwer, allgemeingültige Regeln abzuleiten. Noch nicht einmal der Minimalkonsens, dass Verbote immer abzulehnen sind, ist möglich. Im Streit um Maxim Billers Roman "Esra" sympathisiert Fuld aus personenschutzrechtlichen Erwägungen mit dem Verbotsurteil. Die Bundesprüfstelle, die Gewaltverherrlichendes und Pornographisches indiziert, regt ihn erst dann auf, wenn der Gesundheitsfanatismus der Gegenwart zum Dogma erhoben wird - und Lucky Luke seine Zigarette verliert.
Fulds Buch ist anekdotisch und durch ein Stichwort- und Personenverzeichnis auch lexikalisch nutzbar. Der Mangel an theoretischer Durchdringung wäre wohl hinnehmbar, wenn der Autor nicht gelegentlich in wütendes Ressentiment verfallen würde. Im Kapitel über Zensur in der DDR verliert er völlig die Kontenance und behauptet, fast schon selbst zum Inquisitor werdend: "Was in der DDR veröffentlicht wurde, verdient den Namen Literatur nicht". Solche Ausfälle beschädigen leider den Gesamteindruck dieser verdienstvollen, materialreichen Sammlung.
Besprochen von Jörg Magenau
Werner Fuld: Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte der Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute
Galiani Verlag, Berlin 2012
352 Seiten, 22,99 Euro
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