Von Schokolade und Selbstbestimmung

    "Unser Konsum ist Kolonialismus"

    Ein Arhuaco in den kolumbianischen Anden
    Die Arhuacos kultivieren in Kolumbien eine Kakaopflanze, die von Gourmets in Europa und Nordamerika gefeiert wird. © Foto: Łukasz Tomaszewski
    Łukasz Tomaszewski im Gespräch mit Stephanie Alvarez |
    In Kolumbien kultiviert eine indigene Community eine Kakaopflanze, die von Gourmets in Europa und Nordamerika gefeiert wird. Wie steht es dabei um die Selbstbestimmung? Łukasz Tomaszewski, Autor des Features "Schokoladenträume", über Nachhaltigkeit und journalistische Verantwortung.
    Deutschlandfunk Kultur: Seit 20 Jahren reisen Sie in verschiedene Länder Lateinamerikas und berichten darüber. Was hat Sie dazu bewegt, ein Feature über das Schokoladenprojekt einer indigenen Community zu machen?
    Łukasz Tomaszewski: Ich glaube, dass das Thema Nachhaltigkeit momentan eines der wichtigsten globalen Themen ist, und da spielt der Konsum von Lebensmitteln aus dem globalen Süden auch eine ganz große Rolle. Woher kommen unsere Bananen, unsere Südfrüchte, unser Kaffee, unser Kakao? Ich könnte endlos aufzählen. Wo kommt das her, was wir alles konsumieren? Zu welchen Bedingungen entsteht das und was haben die Produzentinnen und Produzenten davon? Dazu gibt es natürlich diesen akademischen Diskurs: Unser Konsum ist eine neue Form von Kolonialismus, also Neokolonialismus und Neo-Extraktivismus, also Ausbeutung von Bodenschätzen. Das heißt, dass wir in ein altes Muster verfallen, das wir historisch als überwunden glaubten.
    Deutschlandfunk Kultur: Die indigene Gemeinschaft der Arhuacos verkauft ihre Kakaobohnen an das niederländische Unternehmen Original Beans. Original-Beans-Schokolade wird in Europa für etwa 6 Euro pro Tafel verkauft, das Unternehmen legt gesteigerten Wert auf faire Preise für Produzenten und Produzentinnen, außerdem wird pro verkaufter Tafel Schokolade ein Baum gepflanzt. Das Kakoprojekt der Arhuacos wirkt wie ein schönes Gegenbeispiel zu herkömmlicher Schokoladenproduktion und zeigt, dass Konsum auch anders funktioniert. Oder wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt? Geschieht sie wirklich auf Augenhöhe?
    Łukasz Tomaszewski: Man muss fairerweise sagen, dass das Unternehmen Original Beans mehrere Projekte hat. Das der Arhuacos ist das, welches Jan Schubert, dem Cacao Conservation Leader, besonders am Herzen liegt. Aber es gibt natürlich auch Schattenseiten oder Zweifel an dem Konzept. Was ist denn, wenn die Arhuacos doch wachsen wollen? Was passiert, wenn sie direkt verkaufen wollen? Macht Original Beans dann noch mit?
    Deutschlandfunk Kultur: Wie gehen Sie bei der Darstellung solcher Projekte vor? Das Einfachste wäre ja, eine 'White-Saviour-Geschichte' zu erzählen, in der Jan Schubert der Arhuaco-Community zu Bildung und einem höheren Lebensstandard verhilft.
    Łukasz Tomaszewski: Wir als Medien, vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, sind ja dazu verpflichtet, auch moralisch nach einem journalistischen Kodex zu arbeiten und nichts zu empfehlen im direkten Sinne und zu sagen: "Hey, das ist jetzt das Patentrezept, um die Welt zu retten!" Menschen wie Jan Schubert, die eigentlich ein tolles Projekt machen, haben natürlich ein Interesse, dass ihr Unternehmen funktioniert. Aber das ist ja nicht mein Interesse. Mein Interesse ist zu zeigen: Da gibt es eine interessante Kooperation und es scheint hier eine Win-Win-Situation zu sein.
    Deutschlandfunk Kultur: Es gibt auch andere Gefahren bei der Darstellung des globalen Südens. Man landet sehr schnell in einem exotisierenden Diskurs. Wie haben Sie versucht, dagegen vorzugehen?
    Łukasz Tomaszewski: Ich denke, wir sind nie komplett davor geschützt, in ein bestimmtes Stigma-Denken reinzufallen. Das ist mir auch aufgefallen, als ich etwa die Bezeichnung "Stamm" benutzt habe und nicht "Community". Das ist zwar ein Detail, aber es ist total wichtig. Auch dass man "Indigene" und nicht "Indianer" sagt. Als Reporter versuche ich, dem Menschen immer auf Augenhöhe zu begegnen. Egal, was ich mache, egal, wo ich bin. Das ist, glaube ich, auch das, was einen guten Reporter auszeichnet. Es war immer meine Absicht und mein Ziel, so weit vorzudringen wie Ryszard Kapuściński das in seinen Büchern und in seinen Reportagen gemacht hat. Auf Augenhöhe mit den Leuten unterwegs zu sein und zu versuchen, ihre Welt nicht nur zu ergründen, sondern auch unserer Welt zu erklären.
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    Łukasz Tomaszewski bei den Aufnahmen für das Feature "Schokoladenträume".© Foto: Łukasz Tomaszewski
    Deutschlandfunk Kultur: Trotzdem ist Augenhöhe nicht immer gewährleistet. Gerade, wenn einem etwas völlig unbekannt ist.
    Łukasz Tomaszewski: Es gibt einen Witz. Ein Detail, das im Feature leider gestrichen werden musste. Der Witz wurde mir erzählt, als ich in Bunkwimake ankam und eine kleine, grüne Tomate fälschlicherweise für eine Limette hielt und sagte: "Ach! Ich wollt’ schon sagen, was habt ihr für komische Limetten hier in der Sierra Nevada!" Und der Kakaobauer Hernán Villafaña hat dann einen Witz erzählt über einen Gringo, also einen Nordamerikaner, der in die Sierra kam und sagte: "Bei mir zu Hause ist alles größer! Dies ist größer, das ist größer, jenes ist größer." Und dann setzten ihm die Arhuacos, als er geschlafen hat, eine Schildkröte auf den Bauch und er wachte panisch auf und fragte: "Was ist das?" Und sie sagten: "Das ist eine Kakerlake." In dem Moment musste er zugeben, dass die Kakerlaken in der Sierra Nevada größer sind als in den USA. Ein Witz, der mir eigentlich so ein bisschen den Spiegel vorgehalten hat. Eine nette Art und Weise zu sagen: Ja, du bist halt der 'Bunachi', das kleine Geschwisterchen, das hier herkommt und sagt: "Es sieht hier komisch aus."
    Deutschlandfunk Kultur: Auch musikalisch kann man bei der Darstellung des globalen Südens sehr schnell in die Klischeefalle tappen.
    Łukasz Tomaszewski: Ich bin sehr froh, dass wir viel Musik gefunden haben, die gut zu der Atmosphäre passt. Wir haben unterschiedliche Musiken im Feature, die sehr authentisch sind, weil sie vom Kontinent stammen und eine moderne Interpretation sind – nicht nur der lateinamerikanischen Kultur, sondern auch der indigenen Kultur. Musiken, die viel mit Sounds aus den Tropen und aus dem Regenwald arbeiten. Wo die Produzenten wirklich mit dem Mikrophon in den Wald gehen, dort Feldaufnahmen machen und das mit elektronischen Beats verbinden.
    Deutschlandfunk Kultur: Wie kam es dazu, dass im Feature keine Frauen vorkommen?
    Łukasz Tomaszewski: Ja, das finde ich tatsächlich sehr schade. Leider ist das Kakaogeschäft der Arhuacos ein reiner Männerbetrieb. Die Frauen beschäftigen sich in der Community mit dem Haushalt und mit der Herstellung der 'mochilas', der Umhängetaschen. Aber ich kenne mich zu wenig aus, um über die Rolle der Frau wirklich glaubwürdig zu behaupten, es gebe eine Gleichstellung oder keine Gleichstellung innerhalb der Community. Ich weiß, dass es wohl Repräsentantinnen der Arhuacos gibt. Zum Beispiel ist eine Arhuaco-Frau am Verfassungsgericht in Kolumbien. Das heißt, Arhuaco-Frauen gehen zur Uni. Und sie sind auch sehr dominant in der Familienführung. Aber Landwirtschaft und das Kakaogeschäft sind Männergeschäfte. Ich hatte zwar mehrere Frauen interviewt, aber am Ende gehörten sie einfach nicht zu den Protagonisten, die die Story ausgemacht haben. Aber einfach eine Frau reinzubringen, nur um eine drin zu haben? Eine Quotenfrau hätte ich jetzt auch ein bisschen falsch gefunden.

    Das Interview für Deutschlandfunk Kultur führte Stephanie Alvarez.

    Zum Feature:
    Zwischen Kakaotradition und Gourmet Hype - Schokoladenträume
    (Deutschlandfunk Kultur, Feature, 11.05.2019, 18.05 Uhr)