Von Surfern und Indianern

Rezensiert von Lutz Bunk |
In den USA wird der Amerikaner Kem Nunn als Kultautor verehrt und als Geheimtipp gehandelt. Sein vierter Roman - ein Thriller mit Fantasy-Elementen - spielt in der Welt der Surfer: Vier Surfer prallen an der Küste Kaliforniens mit der Kultur dort lebender Indianer zusammen.
Nunn wurde 1984 für seinen ersten Roman "Tapping the source", deutsch "Wellenjagd", für den "American Book Award‘s Best First Fiction" nominiert. Es folgten weitere Romane und Film-Drehbücher, wie das Drehbuch zu "Wild Things" (1998 verfilmt mit Kevin Bacon und Matt Dillon). Von Kritikern wurde er mit Nathanael West und mit den legendären Krimi-Autoren Raymond Chandler und Dashiell Hammett verglichen. In den USA wird er als Kultautor verehrt, gilt aber auch dort als eine Art ewiger Geheimtipp, in Deutschland ist er praktisch vollkommen unbekannt.

Schon 2001 erschien Nunns vierter Roman "Giganten - Wo Legenden sterben" als Hardcover beim Dumont-Verlag, jetzt endlich aber, dem Genre sicherlich angemessener, auch als Taschenbuch beim Heyne-Verlag.

Und wieder, wie auch in seinen anderen Romanen, entführt Nunn die Leser nach Kalifornien: Dort machen sich vier Surfer auf die Gralssuche nach den letzten unbekannten Riesen-Wellen dieser Welt. Jener unbekannte Küstenabschnitt aber liegt nicht nur im so genannten "Roten Dreieck", dem Brutgebiet der weißen Haie, sondern auch verborgen in einem Indianerreservat. Und was passiert: Es stoßen zwei Kulturen aufs Heftigste zusammen.

Für die Surfer beginnt eine Art Apokalypse, und der "amerikanische Traum" entwickelt sich zu einem "amerikanischen Alptraum". Und neben der Welt der Surfer und der Indianer gibt es da noch eine dritte Ebene: Eine weibliche, in Gestalt einer jungen weißen Frau, die sich im Laufe des Romans zu einer Art Schamanin und Hexe entwickelt - ein Thriller mit Fantasy-Elementen, ein Paradebeispiel für das wohl signifikanteste Element amerikanischer Literatur schlechthin, für den "Magischen Realismus".

Die amerikanischen Kritiker haben Nunn darüber hinaus auch noch zum Schöpfer eines neuen, eigenen Genres erklärt: des "Surf noir" - natürlich eine Anspielung auf den "Film noir" - dessen vielleicht berühmtestes Beispiel Hitchcocks Film "Die Vögel" ist. Horror und Poesie reichen sich die Hand. Und Nunns Roman explodiert geradezu vor Poesie. Akribische Naturbeschreibungen, große Bilder und expressionistische Metapher wechseln sich ab: "Das Blut ist die Sonne, um die die Erde kreist", oder: "Die Blumen waren aus dem Beutel gerutscht und lagen auf der Erde wie die farbenfrohen Innereien eines kleinen, in der Nacht erlegten Tieres". Oder da "schlagen die Windböen Funken von den Wellenkämmen".

Aber souverän wechselt Nunn die Stilmittel, das Poetische weicht moderner Umgangssprache mit realistischen wie flapsigen Dialogen der Surfer und der Indianer. Nunn legt verschiedenste sprachliche Schichten wie Blaupausen übereinander, deren Konturen ab und zu verschwimmen.

Nunns Roman "Giganten" ist ein ultimativer Lesetipp. Es ist ein Rätsel, warum der Kalifornier kein Bestseller-Autor geworden ist - erinnert "Giganten" doch stark an das Buch oder den Film "The Beach" von Alex Garland. Und es ist ein Roman, der durchaus auch aus der Feder von Steven King oder T.C. Boyle stammen könnte: Ein Gänsehaut-Buch, das wie aus einer anderen Wirklichkeit spricht, wie ein permanenter Strom aus dem Unterbewusstsein. Ein Buch, das die Seele erschüttert.

Kem Nunn: Giganten - Wo Legenden sterben
Übersetzt von Bernd W. Holzrichter.
Heyne Verlag 2006. Taschenbuch.
416 Seiten. 8,95 Euro.
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