Von Tempelhof bis BER
Als das Fliegen noch mondän war und Rauchen überall erlaubt: Zwei Frauen sitzen 1977 vor dem neuen Flughafengebäude in Berlin-Schönefeld. © akg-images / Picture Alliance / ZB / Wilfried Glienke
Ein Jahrhundert Berliner Flughafengeschichte
29:19 Minuten
Neun Jahre zu spät, vier Milliarden Euro zu teuer: Am 31. Oktober eröffnet BER. Es ist der vorläufige Schlusspunkt einer bewegten Berliner Flughafengeschichte. In hundert Jahren war BER nicht der einzige Flughafen, dessen Eröffnung sich verzögerte.
"Es war ein Flug von Berlin nach London, Einstieg – das stand da wirklich schwarz auf weiß gedruckt – Flughafen BER. Die Karte ist dann ersetzt worden durch eine Bordkarte mit dem altgewohnten TXL Tegel anstelle des BER."
Lang, lang ist's her, als der Passagier Hans von Trotha nicht wie geplant vom neuen Flughafen BER nach London flog, sondern kurzfristig nach Tegel umdisponiert werden musste, weil der BER-Eröffnungstermin geplatzt war.
"Er wird immer fertiger und fertiger," tönte Harald Mehdorn, damals Chef der Berliner Flughafengesellschaft, im März 2015. Nun ist er's wirklich. Der BER ist betriebsbereit, fast neun Jahre nach dem geplatzten Starttermin. Engelbert Lütke Daldrup, der Manager, dem es gelang, den verkorksten Bau doch noch erfolgreich abzuschließen, hat einen unspektakulären Start angekündigt. Der BER wird wegen seiner Bauzeit in die Geschichte eingehen, aber nicht als Flughafen der Superlative, auch nicht im deutschen Vergleich. Er kann weder Frankfurt noch München das Wasser reichen.
Berlin setzt keine neuen Maßstäbe im Luftverkehr. Das war in der Vergangenheit anders. Sir Norman Foster, der Architekt der Berliner Reichstagskuppel, hält Berlin-Tempelhof für "die Mutter aller Flughäfen". Kritiker wie der "Zeit"-Journalist Björn Maatz halten Tempelhof zwar für "ein hässliches wie entbehrliches Nazibauwerk". Der Architekturhistoriker Wolfgang Voigt hingegen pflichtet Sir Norman Foster bei. Voigt hat sich intensiv mit der Geschichte europäischer Flughäfen beschäftigt:
"Das kann man so sagen, wenn man bedenkt, dass Tempelhof tatsächlich den Übergang vom primitiven Typus des allerersten Terminals zu einem System darstellt, das den Massenflugverkehr ermöglicht. Vorher war das so: Das Flugzeug rollt vor den Ausgang, wo die Leute rauskommen, und die steigen ein, und das rollt weg und fliegt weg."
Die Anfänge: ein Feld mit einem Windsack
Volkwin Marg und sein Partner Meinhard von Gerkan haben vor über 50 Jahren den Flughafen Tegel entworfen – Gerkan, Marg und Partner haben nun auch Schönefeld entworfen. Volkwin Marg schaut auf die moderne Planung und denkt an die Anfänge des zivilen Flugverkehrs:
"Das war immer ein rundes Feld, wie ursprünglich auch in Tempelhof. Da stand ein Windsack, und man sah immer, woher der Wind kam. Man flog sowieso nur Sichtflug, und später hat man natürlich feste Pisten gebaut. Das ist die Zeit, wo man dann auch schon Bugfahrwerke hatte, und Bugfahrwerke kann man steuern, wie man früher als Kind Dreirad fuhr, und dann kriegt man Seitenwind, und das Flugzeug will wegschmieren, und dann kann man es wieder vorne richten mit dem Rad, weil das steuerbar ist, und dann kann man nur nach rechts und links mit dem Rad bremsen, wie beim Panzer."
Ursprünglich dienten Flughäfen dem Militär. Gerade auch im Raum Berlin.
"Das gilt für Johannisthal ebenso wie für Tegel", sagt der Journalist Jürgen Tietz. "Es gilt aber auch im Bereich Tempelhof, selbst bis zu Gatow hin. Es gab den Luftschiffhafen in Staaken, der heute fast gar nicht mehr in der Topographie der Stadt wahrnehmbar ist. Es gab darüber hinaus Dallgow-Döberitz, das später auch in die militärische Nutzung eingeflossen ist."
Nach dem Ersten Weltkrieg durften die Deutschen fast gar nicht mehr in die Luft gehen, vor allem die Militärfliegerei verbot der Versailler Friedensvertrag. Viele Piloten wurden arbeitslos. Ein paar Jahre später änderte sich das, vor allem ab 1926: Ein neues Pariser Luftfahrtabkommen öffnete Deutschland das weite Feld der zivilen Luftfahrt. Die "Luft Hansa Aktiengesellschaft" wurde gegründet, und auf dem weitläufigen Feld eines ehemaligen Exerzierplatzes in Berlin-Tempelhof konnte man erleben, wie der Flugverkehr seinen ersten Aufschwung erlebte. Plötzlich gab es mehrere Abflüge zur gleichen Zeit.
"Irgendwann gab es dann eine Schlange von vielen Flugzeugen", sagt Wolfgang Voigt. "Die hatten die Motoren schon laufen, damit es schnell ging. Und da war auch die Gefahr, dass die Leute da reinlaufen und sich Schaden zufügen. Dem musste man begegnen. Das wurde aber interessanterweise nicht offen diskutiert, das wurde nur verborgen diskutiert und nach außen hat man geredet vom ‚dry-boarding‘, vom ‚trockenen Einsteigen‘."
Die berühmte Ju 52 war nur 18 Meter lang
Das trockene Einsteigen ist heute ein Privileg des Linienverkehrs der großen Fluggesellschaften. Die Passagiere der Billig-Airlines, die für 9,99 Euro nach Malle fliegen, werden mit Bussen zum Flugzeug gekarrt oder laufen wie einst, selbst bei Regen und Wind, über das offene Flugfeld, allerdings ohne Gefahr für Leib und Leben.
Um das "dry-boarding" zu ermöglichen, wurde Mitte der 1930er-Jahre in Tempelhof ein großes Dach gebaut. Es ist 1,2 Kilometer lang und hat eine gewaltige Auskragung von gut 50 Metern.
"Die berühmte Ju 52, mit der die Lufthansa in den 30er-Jahren geflogen ist, die war gerade mal 18 Meter lang", so Voigt.
"Die passte zwei oder drei Mal unter dieses Dach. Das heißt, dieses Dach war eine große Übertreibung, und es war natürlich auch ein bisschen protzig. Von wegen: schaut mal, so was gibt’s nur in Berlin, wie überhaupt dieser Flughafen in erster Linie Eindruck machen sollte."
Für die zivile Luftfahrt war Tempelhof ohne Vorbild. Hier wurden bleibende Standards gesetzt. Die Flugpositionen wurden in einer langen Reihe linear angeordnet, das gab es sonst nirgendwo. Der Flughafen war damals das größte Gebäude der Welt, bis die Amerikaner später das Pentagon bauten. Architekt war Ernst Sagebiel, der den Auftrag von Hermann Göring, dem nationalsozialistischen Reichsminister der Luftfahrt, erhalten hatte.
Göring wollte die Luftwaffe zum entscheidenden Instrument in der nationalsozialistischen Weltkriegsführung machen. Doch stattdessen drangen die Luftflotten der Alliierten immer tiefer in den deutschen Luftraum ein und trugen entscheidend zum Sieg über Nazideutschland bei. Und der Flughafen Tempelhof wurde nicht zum Symbol deutscher Überlegenheit, sondern westalliierter Hilfsbereitschaft im Kalten Krieg, als die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg die Zufahrtswege nach West-Berlin sperrte.
"Berlins Versorgung in den Westsektoren ist gesichert. Volle Versorgung auf dem Luftwege. Luftbrücke geschlagen. Alle acht Minuten landet eine Maschine auf dem Flugfeld in Berlin-Tempelhof."
Der von den Amerikanern betriebene Flughafen Tempelhof blieb jahrzehntelang der wichtigste Flughafen für West-Berlin. Die Briten hatten ihren Flughafen am südwestlichen Stadtrand in Gatow, die Franzosen ihren zunächst wenig beachteten im Norden der Stadt, in Tegel.
Die Innenstadtlage wurde zum Problem
Aber Tempelhof lag ungünstig, mitten in der Stadt. Das war ein wachsendes Problem, als die Maschinen größer wurden. Tempelhof war Ende der 60er-Jahre, als Flugzeuge zu einem Massentransportmittel wurden, nicht mehr zeitgemäß. Als Ersatz kam Tegel ins Spiel. Am südlichen Rand des vorhandenen Rollfelds wurde ein neuer Airport geplant.
"Das entscheidende Moment ist tatsächlich die Berliner Blockade gewesen, denn auf einmal musste eine Entlastung geschaffen werden für Tempelhof, was dazu geführt hat, dass man in Tegel eine gut zwei Kilometer lange Landepiste angelegt hat", sagt Jürgen Tietz.
"Sie galt damals als eine der längsten in Europa überhaupt und qualifizierte Tegel dann auch im Nachgang dazu, als Flughafen auch für zivile Nutzung genutzt zu werden, denn für die neuen Maschinen war Tempelhof letztlich zu klein und überlastet."
1970 war die Grundsteinlegung, Tegel sollte eine neue Ära des Flugverkehrs einleiten. Das war die Ambition der Nachwuchsarchitekten Gerkan, Marg und Partner. Aber erst einmal passierte das, was wir vom BER kennen: die Eröffnung verzögerte sich. Ein Reporter des West-Berliner Radiosenders RIAS berichtete:
"Wenn Sie heute in die Morgenzeitungen und auch in die Mittagszeitungen geschaut haben, dann konnten Sie Schlagzeilen lesen wie diese: Umzug nach Tegel zum 1. September wieder fraglich. Flughafen Tegel, wer hat versagt? Umzugstermin gefährdet, Senat aber optimistisch. Kurz und gut, es gilt wieder über Tegel zu reden, man glaubte, nun sei alles vorbei, der Umzug steht vor der Tür, die Fete, die Umzugsfete, ist schon angesetzt, die Einladungen sind verschickt, die Karten sind verteilt, und dann kam die amerikanische Luftfahrtbehörde, inspizierte den Flughafen und stellte fest, die Wartungshalle entspricht nicht den amerikanischen Bestimmungen und die Pan American kann nicht umziehen."
Negativ-Nachrichten beherrschten die Schlagzeilen. 1975 war es dann doch so weit. Da waren gerade mal fünf Jahre seit der Grundsteinlegung vergangen – kein Vergleich mit dem BER. Und als Tegel eröffnet wurde, war es der modernste Airport des Kontinents. Jürgen Tietz:
"Wenn man sich dem Flughafen von der Autobahn aus annähert, dann liegt er dort ein bisschen wie ein großes Schiff, mit diesen lagernden Formaten übereinander geschichtet, mit einem Bug vorneweg, das ist tatsächlich ein typisches Moment einer vorwärtsgewandten, modernen Architektur, einem noch vorhandenen Optimismus, der aus den 60er-Jahren herübergerettet wurde, in der Zeit vor der Ölkrise, in der Zeit vor dem Bericht des Club of Rome, die in dem Gebäude spürbar wird und die es auch in eine Reihe der wichtigen Bauten einer High-Tech-Moderne stellt."
Der erste deutsche Flughafen lag in Königsberg
Volkwin Marg, einer der Tegel-Architekten, ordnet den Bau des Airports Tegel in die weitere deutsche Flughafengeschichte ein, die weit weg von Berlin begann:
"Der erste deutsche Flughafen war Königsberg. Bezeichnenderweise auch ein Luftverkehr durch den polnischen Korridor, infolge der Weimarer Republik, Versailler Vertrag. Ostpreußen war ja abgeschnitten vom Deutschen Reich, darum in Königsberg der erste Flughafen und in Berlin der zweite, zeitlich gesehen."
Schon 1921 sei das erst richtige Terminal gebaut worden, sagt Architekturhistoriker Wolfgang Voigt:
"Das Fliegen war plötzlich eine interessante Sache, dass man da – ohne kontrolliert zu werden – von Berlin hinfliegen konnte. Und in Königsberg gibt es eben zum allerersten Mal ein Gebäude, was alle Funktionen, die man im Terminal braucht, vereinigt."
Auch später in Tegel gab es keinen internationalen Flugverkehr, obwohl es eine Transit-Ebene gab. Volkwin Marg.
"Die war prophylaktisch gebaut, aber wurde nie benutzt", sagt Volkwin Marg. "Denn Tegel war kein Umsteigeflughafen. Tegel war immer ein Zielflughafen. Man flog von Tegel nicht nach Moskau, man ging nach Schönefeld in die DDR und flog von dort nach Moskau."
Die Luftbrücke machte Flüge nach Berlin zur Weltsensation
West-Berlin war inmitten der DDR eine Insel im Kalten Krieg.
"Als dann die Blockade kam, um diese Insel in die Knie zu zwingen, setzte diese Luftbrücke ein, und die machte aus den Luftverkehr nach Berlin eine Weltpolitik und eine Weltsensation. Und es glückte auch. Man transportierte nicht nur Nahrungsmittel, sondern sogar Kohle und letztlich auch dann im Anschluss, als die Blockade vorbei war, natürlich im Zivilverkehr Personen, allerdings nur die drei Besatzungsmächte, also französische, amerikanische oder englische Airlines. Die Deutschen durften da nicht hinfliegen."
Zwischen den Alliierten gab es auch Missgunst und Streitigkeiten. Tempelhof lag im amerikanischen Sektor, der neue Flughafen Tegel wurde von den Franzosen betreut.
"Natürlich spielte für Frankreich eine wichtige Rolle, eine Verbindung nach Paris herzustellen", betont Jürgen Tietz. "Das war schon vor dem Neubau möglich. Aber es war auch immer ein bisschen Symbolpolitik dabei, als die Concorde dann das erste Mal in Berlin vorbeischaute. Das passte eigentlich auch ganz gut zu dieser Architektur des Flughafens in diesem innovativen Charakter."
Geopolitische Besonderheiten, die bei der Planung des Flughafens eine zentrale Rolle spielten.
Junge Habenichtse gewinnen den Wettbewerb für Tegel
1965 haben Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und ein Partner den Wettbewerb für Tegel gewonnen. Ein Paukenschlag. Zuvor kannte kaum jemand die beiden Architekten, die frisch von der Technischen Universität Brauschweig kamen.
"Wir waren Habenichtse", erinnert sich Marg. "Wir haben beide davon gelebt, dass wir für andere Architekten Wettbewerbe zeichneten, und so haben wir schon trainiert. Und kaum waren wir fertig, im Jahr 1965, sind wir nach Hamburg gegangen, haben ein Zimmer gemietet und gesagt, wir machen weiter so. Jetzt machen wir auch Wettbewerbe für uns selbst. Und so haben wir wie ein Jäger mit unserer Wettbewerbs-Flinte auf alles geschossen, was da ausgeschrieben war, und der Flughafen Tegel war natürlich das größte Wildbret, was uns vor die Flinte kam."
Der Erfolg war kein Zufall, wie Jürgen Tietz erklärt.
"Meinhard von Gerkan hat in dezidierter Art und Weise Typen analysiert, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Er hat sich sehr stark bei der Deutschen Lufthansa darüber informiert, was die idealen Überlegungen heute sind, und da ist eben das zentrale Moment gewesen, kurze Wege zu schaffen."
Architekt Volkwin Marg erklärt den Erfolg so:
"Wenn man sich fragt, warum sind wir ausgesucht worden, als der einzige erste Preis, kein zweiter, danach erst dritte und so weiter, und das unter 68 Arbeiten, dann liegt das daran, dass wir zum ersten Mal die optimale Abfertigung auf kürzestem Wege zwischen Vorfahrt, egal ob Taxi oder Wagen, und Abfertigung mit Gepäckabfertigung brachten, und da stand auch das Flugzeug. ‚Gate-Check-in‘ oder ‚Curbside-Check-in‘, wie immer man das damals nannte."
Vom Auto gleich ins Flugzeug: Gerkan, Marg und Partner entwarfen die architektonische Antwort auf die Ära der entfesselten Mobilität. Das Sechseck wurde die zentrale Idee für den Flughafen Tegel. Schon einmal hatte es ein ähnliches Konzept gegeben, ist dann aber wieder vergessen worden.
"Ich weiß nicht, ob die Architekten das gekannt haben, aber in den 1930er-Jahren hat man in England einen Flughafen gebaut, in Gatwick, das war der neue Londoner Flughafen, 1936 eröffnet, ein insulares rundes Gebäude, aus dem sechs Abfertigungspositionen rauskommen", sagt Wolfgang Voigt.
"Und die Fluggäste kamen ans Flugzeug durch teleskopartig ausfahrbare, metallene Tunnels. Und zu diesem Flughafen in London geht man von der Bahnstation wiederum durch einen Tunnel, sodass man unter den Rollbahnen dieses Gebäude erreicht."
In Tegel wurde die Idee optimiert und passte perfekt in eine neue Ära des Luftverkehrs, die damals noch den Ehrgeiz hatte, Abflug und Ankunft der Passagiere kundenfreundlich zu gestalten.
Tegel - eine Ikone der Pop-Art-Architektur
Auch architektonisch war Tegel ein besonderer Bau. Der Flughafen ist eine Ikone der Pop-Art-Architektur.
"Einerseits sehr rational und sehr klar strukturiert, und auf der anderen Seite hat sie eine hohe emotionale Qualität, also dieses umlaufende rote Band, das so ein bisschen wie dem Flugzeugbau entlehnt ausschaut, besitzt schon eine sehr kräftige Signalwirkung, damit einher gehen die gelben, grünen Farben des Leitsystems", so Jürgen Tietz.
"Und diese wunderbaren brutalistischen Treppenhaustürme, die dort heute ein bisschen vereinsamt rumstehen. Wenn man die sich noch mal anschaut, das ist Architektur vom Feinsten und hat eine sehr, sehr hohe Detailqualität."
"Der Entwurf für den Flughafen Berlin-Tegel war ein Kind seiner Zeit. Das gilt auch für das architektonische Konzept. Und dennoch: Tegel ist deshalb so ein singulärer Entwurf, weil er seiner Zeit weit voraus war."
Das schrieb der Journalist Joachim Otte 2014, zum 40-jährigen Jubiläum des Airports.
"Toi, toi, toi und viel Glück"
"Was hat das Ganze mit Berlin zu tun? Otto Lilienthal, das ist nun wirklich das Tollste, dies ist wirklich mal nicht ein politischer Name, sondern sehr ursprünglich. Das hat was mit Berlin zu tun", so Volkwin Marg. "Das Zweite, was mit Berlin zu tun hat, ist in der Tat die Farbe Rot. Das ist die kleine Referenz, ansonsten ist es eine reine Funktionsform."
Der Name und die Farbe Rot, die Berliner von der S-Bahn kennen, sind eine Referenz an die Stadt. Der Flughafen selbst ist frei komponiert und hat seine eigene Identität.
Am 1. November 1974 startete die erste Maschine von Tegel. Die Pan Am und British Airways wollten zunächst in Tempelhof bleiben, aber im Sommer 1975 sind auch sie umgezogen. Damals berichtete der RIAS.
"Die Flugkapitäne Lessley Brissett von der Pan American und Roy Lever von der British Airways waren die beiden Piloten, die die zwanzig Minuten dauernden historischen letzten Abflüge von Tempelhof nach Tegel vornahmen."
Anschließend gab es im Flughafenrestaurant einen Empfang, bei dem der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz das Ereignis so frei von jedem Pathos kommentierte, dass der heute Regierende Michael Müller zur BER-Eröffnung das fast wörtlich wiederholen könnte:
"Es war ja nicht leicht, diesen Flugplatz hier wirklich in Betrieb zu bringen, aber er ist wohl notwendig. Wir sind alle, ich jedenfalls, wehmütig, dass wir aus Tempelhof wegmussten, aber alles zusammen kann man sagen, wirklich toi, toi, toi und viel, viel Glück."
Anfangs war Tegel viel zu groß
Tempelhof hatte ausgedient, Tegel war jetzt der neue Zentralflughafen. Und wie heute beim BER Schönefeld, wo Corona die Passagierzahlen zunächst dezimieren wird, hatte man sich damals bei Tegel mit der Auslastung verrechnet. 2,5 Millionen Fluggäste sollten jährlich kommen, doch erst mal war der Flughafen viel zu groß. So hieß es damals im RIAS:
"Wir haben, meine Damen und Herren, einen neuen schönen Flughafen, der das Reisen von und nach Berlin schöner und leichter macht, so hofften wir. Wir brauchten ihn nicht, wie wir heute wissen, denn das 1972 in Kraft getretene Transitabkommen brachte eine Verlagerung der Reiseströme vom Flugzeug auf die nun problemärmere Autobahn. Als der Flughafen Tegel geplant wurde, war von politischer Entspannung gegenüber dem Osten noch keine Rede."
Tegel war noch vor dem Durchbruch der neuen Ostpolitik von Willy Brandt geplant worden, als der Transitverkehr zwischen West-Berlin und Westdeutschland nicht geregelt war. Mit dem Transitabkommen 1971 war das Flugzeug nicht mehr der einzige sichere Weg nach Westen. Und dann verstärkte auch noch die Ölkrise 1973 die Flaute im Luftverkehr. Doch die Delle beim Passagieraufkommen war bald vergessen. Immer mehr Fluggäste kamen. 2,5 Millionen hatte man anfangs geplant. Weit über 20 Millionen zählte Tegel 2019.
Ein Zeitungskiosk, ein Souvenirladen und Telefonzellen
Mitte der 70er-Jahre war Tegel der modernste Flughafen des Kontinents und wurde zum Vorbild für neue Flughafenprojekte.
"Das war noch die Zeit, wo Flughäfen sich aus den Landegebühren finanzierten, die waren noch nicht weltweit freigegeben", sagt Architekt Marg.
"Es war die Zeit, wo auch Tankstellen vom Benzinverkauf lebten und nicht davon, dass sie andere Sachen leisteten, und dasselbe galt auch für die Eisenbahn. In der Eisenbahn bekam man bestenfalls Reiseproviant und Zeitungen, aber nicht viel mehr. Es waren damals noch keine Shoppingcenter."
In Tegel gab es einen Zeitungskiosk, einen Souvenirladen und ein paar Telefonzellen. Zigaretten konnte man am Automaten ziehen. Gastronomie und Konferenzräume befanden sich im Obergeschoss.
Das hat sich grundlegend geändert. Fluggäste sollen heute nicht nur fliegen, sondern auch möglichst viel kaufen. Heute ist es manchmal leichter, einen Koffer zu kaufen als einen Info-Stand zu finden. Immer größere Bereiche werden zu ‚Non-Aviation-Flächen‘, also Flächen, die nicht dem Fliegen gewidmet sind. Der Airport als Shopping Mall: Im neuen Flughafen in Schönefeld sind nach der Sicherheitskontrolle 1.800 Quadratmeter für einen ‚Walk-through-Shop‘ vorgesehen.
"Die Frage der Kommerzialisierung begann mit der Übernahme des ‚American Way of Life‘, und es forcierte sich mit dem Thatcherismus, der nun aus England kam, nämlich Aufhebung aller Regularien. Das übernahm man aus dem Wilden Westen, obwohl es ja bei uns die europäische Stadt gab, die alles bot. In Europa nahm man das auf, weil die Amerikaner darauf verzichteten, dass ein Flughafen eine öffentliche Dienstleistung sei. Und durch diese Veränderung hat man dann in Europa die Landegebühren dem offenen Angebot überlassen. Und gleichzeitig hat man gesagt, Sie können Geld verdienen, womit Sie wollen. Das heißt, ein Flughafen hat sehr schnell aufgehört, sich selbst zu finanzieren."
Schönefeld - der Flaschenhals-Flughafen
Die Vorzüge Tegels – kurze Wege und schnelle Abfertigung – sind in Schönefeld passé. Schönefeld ist wieder ein ‚Flaschenhals-Flughafen‘, wo alle Passagiere gebündelt durch einen engen Sicherheitsbereich geschleust werden.
"Es ist ein Unterschied, ob man die Bedienung laufen lässt oder den Kunden. In Tegel sind die Polizei und der Zoll, nicht nur das Abfertigungspersonal, immer zu der Position gelaufen, wo gerade abgefertigt wurde. Und genauso könnte man natürlich einen Flughafen bauen, wo die Sicherheitskontrolle immer dort ist, wo abgefertigt wird. Wenn aber ein Flughafen mit diesen Kosten belastet wird, dann ist es viel billiger, das Personal zu bündeln und die Passagiere laufen zu lassen."
Und auch technisch hat sich enorm viel verändert, sagt Jürgen Tietz:
"Die Maschinen sind anders geworden, sie sind glücklicherweise zumeist leiser geworden. Aber auch die Art und Weise, wie wir in unser Flugzeug kommen, hat sich grundsätzlich verändert. Wir haben selber schon am Computer eingecheckt, gehen mit unserem Handy papierlos durch die Abfertigung, all das ist völlig anders als in Tegel. Wenn man Tegel mit dem BER vergleicht, dann überwiegen eigentlich, bis auf die Tatsache, dass an beiden Orten Flugzeuge landen, die Unterschiede."
Flughäfen werden zu Shoppingmalls
Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg haben die Veränderungen im Airport-Business schon bei den Flughafen-Erweiterungen in Stuttgart und Hamburg erfahren.
"In Hamburg war das eine bausteinmäßige Erweiterung, und wir bauten den ersten Terminal, dann baute man den zweiten Terminal, und als wir den dritten Terminal bauen wollten, da sagte man, nein, nicht nur für die Abfertigung von Passagieren, da kommt das Shopping rein", so Marg. "Und plötzlich mussten wir einen Umweg von dem einen Terminal über den Shopping-Terminal nehmen, um dann auf langen Umwegen wieder in den Finger zu kommen, praktisch in die Abfertigung."
Um die Flughäfen entstehen Stadt-Metastasen, die mit der historisch gewachsenen Stadt konkurrieren. Weltweit entstehen urbane Strukturen, wo sich Menschen zum Fliegen versammeln, aber das tun, was sie sonst in der Innenstadt erledigen würden: einkaufen, ausgehen.
"Da muss man davon ausgehen, dass mit Sicherheit die Hälfte oder vielmehr Zweidrittel an Einnahmen generiert wird aus nicht verkehrsaffinen Nutzungen. Und das ist eben alles, was mit Shopping zu tun hat. Das Ganze natürlich mit dem Schwindel von Duty-Free, das in aller Regel teurer ist, als wenn man das normal gekauft hätte. Aber auch alles, was mit Hotellerie zu tun hat. Letzten Endes mit der sogenannten Flughafen-City, was dann praktisch als Flughafen-Stadt entsteht. Darum hat also auch der neue Flughafen in Berlin, genauso wie der Münchner Flughafen, dieses große Vorfeld für Immobilien, die darauf stehen und dann eine ganze Flughafenstadt entstehen lassen."
Lange Standortsuche für den neuen Flughafen
Nach 1989 war der Flughafen Tegel zu klein. Das vereinte Berlin brauchte einen neuen internationalen Airport.
"Tegel war erschöpft, und das mit lauter angeklebten Provisorien. Das war unhaltbar, die Abfertigung in Tegel war am Schluss im Grunde genommen Fleischtransport, ein Tiergatter ist nicht viel anders."
Verschiedene Standorte für einen neuen Flughafen wurden geprüft. Einer lag in Parchim in der Mitte zwischen Hamburg und Berlin:
"Weil man sagte, da fährt von Hamburg der Transrapid 20 Minuten und von Berlin 20 Minuten, dann machen wir doch einen norddeutschen Zentralflughafen. Die paar Dörfer, die halten das schon aus. Das hat man nicht gemacht, und hier im Umkreis von Berlin hat man sich am Schluss zwischen mehreren Varianten auf Schönefeld geeinigt."
Mit BER wurde keine Vision verwirklicht
Nicht weit vom alten Terminal wurde ein neuer Terminal gebaut. Der alte Flughafen Schönefeld war Heimat der DDR-Fluggesellschaft Interflug. Er steht auf dem alten Firmengelände der Henschel-Werke, die in den 1930er-Jahren im Berliner Südosten Flugzeuge bauten.
BER – Flughafen Berlin-Brandenburg "Willy Brandt" – so heißt der neue Airport, mit dem Gerkan und Marg keine Vision verwirklicht haben wie in den 70er-Jahren in Tegel – aber sie berufen sich auf zwei Architekten, die für Berlin bedeutsam sind: Karl-Friedrich Schinkel, Baumeister von Spree-Athen, und Mies van der Rohe, der in der Nachfolge Schinkels für die klassische Moderne steht.
"Das architektonische Zeichen ist eine klassizistisch strenge, große, quadratische Halle mit einem schwebenden Dach auf eingespannten hohen Stützen, unter der alles passiert. Eine riesige Halle, und das ist schon, ich würde nicht sagen unbedingt eine Referenz an Schinkel, der konnte sich ja das Fliegen noch nicht vorstellen, aber es ist eine Referenz, wenn ich an die Galerie des 20. Jahrhunderts von Mies denke."
Es ist der Rekurs auf eine bestimmte Klischeevorstellung. Eine preußisch strenge Moderne, in Form einer großen, disziplinierten Halle. Darunter vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen die Vorfahrt, die Ankunft und die Kontrolle, das Shopping und die Verteilung der Fluggäste.
"Es wurden viele Fehler gemacht. Der erste Komplex betrifft die Fülle von Planänderungen mitten im Bau. Nachdem dieses mittlere Chaos angerichtet war, folgte nach Absage der Eröffnung 2012 der zentrale Fehler, den Generalplaner zu entlassen. Dadurch verzögerte sich alles weiter."
So fasste Anton Hofreiter von den Grünen 2017 im Tagesspiegel die Kardinalfehler am BER zusammen. Jetzt geht Schönefeld an den Start, trotz langer Katastrophen-Chronik und Finanzierungsfragen, die einstweilen ungelöst sind.
Wegen Corona wird Terminal T2 zunächst nicht eröffnet. Die Kapazität des Hauptterminals reicht für den Moment völlig aus. Und wie schon in Tegel werden all die Skandale und Verzögerungen bald vergessen sein und auf Dauer in der Geschichte Stadt nur eine Randnotiz bleiben.
Das geeinte Berlin sucht eine neue Identität. Berlin, drittgrößte Stadt der Welt, Tempelhof, das größte Gebäude der Welt, das sind Schlagzeilen aus dem letzten Jahrhundert. Die Zukunft hat keinen Superlativ.
Im internationalen Vergleich ist Schönefeld eher bescheiden. Das muss kein Nachteil sein. Ein gut gestalteter Airport, funktional und nachhaltig, das muss und sollte genügen.