Von Tobias Wenzel

Die TAZ wirft der SZ und ihrem Autoren Hans Leyendecker Profilierungssucht vor, DER SPIEGEL rechnet mit katholischen Moralaposteln ab und die FAZ gibt Thomas Kapielski Gelegenheit, Peter Sloterdijk zu zitieren.
"Als ich am Samstag in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel von Hans Leyendecker mit der Überschrift 'Das doppelte Gesicht' las, packte mich die blanke Wut", schreibt Jürgen Roth in der TAZ. Leyendecker, einer der renommiertesten investigativ arbeitenden Journalisten des Landes, hatte kritisch über den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff berichtet, genauer: darüber, dass gegen Wallraff nun "wegen des Verdachts auf Sozialbetrug" ermittelt wird.

Ein ehemaliger Mitarbeiter Wallraffs behauptet demnach, jahrelang von seinem Chef in bar ohne Belege ausgezahlt worden zu sein, während er, der Mitarbeiter, gleichzeitig Hartz IV bezogen habe. Roth geht es in seinem Artikel für die taz nicht darum, ob die Vorwürfe gegen Wallraff stimmen oder nicht. Vielmehr ärgert ihn jene Vorverurteilung, die er aus den Worten Leyendeckers herausliest.

Leyendecker profiliere sich "auf Kosten des Kollegen" Wallraff, und zwar mit "Häme". So unterstelle Leyendecker Wallraff "eine Vorliebe fürs Bare" und frage "tückisch", ob Wallraff seine Vortragshonorare überhaupt versteuert habe. Roth zitiert eine Äußerung, die Hans Leyendecker 2011 im Deutschlandfunk tat: "Ein Ermittlungsverfahren ist erst mal nur ein Ermittlungsverfahren, das so oder so ausgehen kann, und man hat auch tatsächlich von der Unschuldsvermutung auszugehen." Warum also, fragt Roth, gilt dann die von Leyendecker selbst hochgehaltene Unschuldsvermutung nicht auch erst mal für Günter Wallraff? Roth endet mit dem Satz: "Hauptsache, Leyendecker kann sein Image als Moralapostel pflegen."

Dirk Kurbjuweit denkt gleich über einige katholische Moralapostel nach, in seinem SPIEGEL-Artikel "Friede den Wehr-Christen. Warum Religionen Spott ertragen müssen". Darf ein Satire-Magazin den Papst auf einem Titelblatt als inkontinent darstellen? Blasphemie sei das und die müsse in Deutschland schärfer verfolgt werden, so zum Beispiel der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick. Kurbjuweit zeigt sich in seinem Artikel entsetzt darüber, dass gewissen Katholiken die Distanz zur Todesstrafe fehle, die im Islam auf Gotteslästerung stehe. Der Schriftsteller und Katholik Martin Mosebach kokettiere gar mit dieser Todesstrafe. Hier handele es sich aber um eine Todesstrafe ohne Prozess. Also kokettiere Mosebach gar mit Mord.

Der SPIEGEL-Autor zählt Mosebach zu den "wehrhaften Christen", die eine Sonderrolle für das Christentum einfordern, einen besseren Schutz vor Blasphemie. So berufe sich der katholische Philosoph Robert Spaemann auf das "Heiligste", das durch Gotteslästerung angegriffen werde. Dirk Kurbjuweit, ganz der angenehm kühle Aufklärer, kommentiert das so: "Heute sind die meisten so frei, selbst zu entscheiden, was für sie das Heiligste ist. Es kann ein Gott sein, ein geliebter Mensch, ein Roman, eine Landschaft, auch ein Job, der einen erfüllt, warum nicht?"

"Aufsehenerregende Dürftigkeit", mit diesen zwei Worten watscht der Philosoph Peter Sloterdijk seinen katholischen Kollegen Spaemann ab, in "Zeilen und Tage". So heißt Sloterdijks erster Tagebuchband, der nun erschienen ist. Ein "großartiges Porträt des Denkens" seien diese Notizen aus den Jahren 2008 bis 2011, begeistert sich Dirk Pilz in der FRANKFURTER RUNDSCHAU und zitiert unter anderem folgenden Gedanken Sloterdijks: "Der Blick in den Spiegel sagt dem Betrachter, unabhängig von Aufmachung und Tageszeit: Es musste wohl jemand geben, der so aussieht."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG hat als Rezensenten den Schriftsteller Thomas Kapielski auf den 600 Seiten starken Band losgelassen und damit jemanden, der bis zum Abbruch 36 Semester studiert hat und dann trotzdem oder gerade deswegen zum Aphoristiker wurde. Aphoristiker trifft auf Aphoristiker. Eingebettet in Kapielskis altertümelnde, manierierte Sprache finden sich auch hier in Zitatform schöne Gedankensplitter Sloterdijks: "Hätte der Neoliberalismus Titten aus Zement, er sähe aus wie Heidi Klum." Oder: "Der Raum ist nur ein Mittel, zu verhindern, dass sich alles an derselben Stelle befindet."