Von Tobias Wenzel

Anlässlich des 25. Jahrestages des Super-GAUs in Tschernobyl spricht der "Tagesspiegel" mit der weißrussischen Autorin Swetlana Alexijewitsch. Über einen Literaturkrieg in Dänemark berichtet die "NZZ". Der "Spiegel" befragt den französischen Philosophen Michel Onfray zu seinem neuen Werk "Anti Freud. Die Psychoanalyse wird entzaubert".
"Wie spricht man über Strahlung?", fragt Swetlana Alexijewitsch im Gespräch mit Jens Mühling vom TAGESSPIEGEL. Die weißrussische Schriftstellerin hat einst ein Buch über Tschernobyl geschrieben, das nun zum 25. Jahrestag des Super-GAUs in einer Neuauflage erschienen ist. Die Bauern in der verstrahlten Zone um Tschernobyl hätten damals Märchen erfunden, um das todbringende Unsichtbare begreifen zu können:

"Sie sagten: Ich habe die Strahlung gesehen, sie lag auf den Feldern wie ein weißes Tuch. Ein anderer sagte: Nein, die Strahlung ist grün, im Dorf habe ich grüne Pfützen gesehen."

Swetlana Alexijewitsch erzählt, wie sie sich vor einigen Jahren ein japanisches Atomkraftwerk vor Ort ansah und an Tschernobyl denken musste. Die Mitarbeiter des japanischen Kernkraftwerks hätten ihr damals gesagt:

"Sehr berührend, was Sie da alles erzählen – aber Tschernobyl, das war in der Sowjetunion, ein totalitäres System, das ist alles nicht vergleichbar, bei uns wäre ein derartiges Unglück nicht möglich."

Atomunfälle haben nichts mit politischen Systemen zu tun. Der unverzeihliche Fehler nach Tschernobyl und vor Fukushima für Alexijewitsch:

"Wir haben uns in einer Kultur des Weinens erschöpft, ohne uns die wirklich ernsten Fragen zu stellen."

Immerhin würden die Menschen in Japan die Gefahr von Strahlung besser verstehen als einst die Menschen von Tschernobyl.

"Ist denn das etwa ein Krieg?"

fragte eine alte Frau die weißrussische Autorin, als ein Dorf nach dem Unglück von Tschernobyl evakuiert werden musste.

"Ich weiß, wie Krieg aussieht: fremde Soldaten, Schüsse, Feuer – aber hier scheint die Sonne, die Vögel singen, was ist denn das für ein Krieg?"

"In Dänemark tobt ein Literaturkrieg", "

berichtet Peter Urban-Halle in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.

" "Über vierzig Jahre ist es her, dass der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann ein Maschinengewehr herbeiwünschte, um Harald Hartung und Marcel Reich-Ranicki niederzumähen. Aber heute?"

Ist so etwas noch möglich? Offensichtlich in Dänemark.

"Ich verspreche dir eine Tracht Prügel, wenn ich nach Hause komme, und das meine ich so konkret, dass du mich anzeigen solltest."

So drohte der dänische Autor Ib Michael in seinem Blog dem bekanntesten und zugleich umstrittensten dänischen Literaturkritiker Lars Bukdahl. Der ist, so Peter Urban-Halle weiter in der NZZ, dafür bekannt, leidenschaftliche Rezensionen zu schreiben, entweder jubelnde oder aber vernichtende. Der dänische Lyriker Janus Kodal wurde gar handgreiflich und schüttete Kritiker Bukdahl eine Karaffe Wasser über den Kopf. Und die dänische Krimiautorin Susanne Staun trug zur Diskussion folgenden Satz bei:

"Wenn wir auf Rezensenten sauer sind, machen wir sie besoffen und vergewaltigen sie."

Gut für Susanne Staun, dass Sigmund Freud sie nicht mehr einer Analyse unterziehen kann. "Anti Freud. Die Psychoanalyse wird entzaubert" heißt das aktuelle Buch des französischen Philosophen Michel Onfray. Ein Bestseller in Frankreich, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Susanne Beyer und Nicolaus von Festenberg haben den Autor und Freud-Hasser für den SPIEGEL interviewt. Was ihn an Freud am meisten enttäuscht habe? Antwort:

"Sein Desinteresse für die Menschen, die bei ihm Heilung suchten. Seine Fälle hätten ihn nie interessiert, hat Freud seinem Weggefährten Sándor Ferenczi anvertraut. Die Patienten seien Gesindel, sie hätten ihm nur zu einer Theorie der Heilung gedient."

Michel Onfray wehrt sich gegen die Heldenverehrung. Freud sei gerade kein Held gewesen, vielmehr seien seine vermeintlich großen Theorien

" "nichts anderes als Gedanken über sein eigenes Leben", "

über die enge Bindung zur Mutter und die Verachtung für seinen Vater. Für Michel Onfray war Freud ein größenwahnsinniger Scharlatan, der Onanierlust mit "Kokain, Handauflegen oder Harnröhrensonden" behandelte und der "alles Mögliche, von Darmproblemen bis zum Schwindel, auf Ödipus" zurückführte.