Von Tobias Wenzel
Es war die Woche der Triebe. Das jeweilige Bedürfnis nach Sex, Gewalt und Geld beherrschte die Feuilletons. Die "Schoßgebete" der Charlotte Roche sorgten für denkbar heftige Ausschläge an der Literatur-Börse.
Es war die Woche der Triebe. Das jeweilige Bedürfnis nach Sex, Gewalt und Geld beherrschte die Feuilletons. Beginnen wir mit dem Geld, der Gier danach und der Angst, es zu verlieren. Weltweit purzelten die Börsenkurse. Panikverkäufe. Verunsicherung überall. Selbst bei den Profis "Eigentlich kann es mir egal sein, ob die Kurse steigen oder fallen", notierte ein selbstständiger Börsenhändler zwar noch am Montag in sein Tagebuch, das er für das Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG führte, "mein Ziel besteht darin, in jedem Fall Geld zu verdienen, so oder so." Aber im Laufe der Woche verstand der Händler, der mal auf fallende, mal auf steigende Kurse wettet, die Welt nicht mehr: "Es ist, als könne jederzeit alles passieren. Die Kurse und die Nachrichten passen nicht mehr zusammen." Der Börsenhändler vergaß in dieser turbulenten Woche sogar das Essen.
Der Dax ein Patient. "Ich sollte mich womöglich ganztags ans Krankenbett des DAX setzen und ihm mit bangem Blick auf die Fieberkurve das Händchen halten", schrieb Arno Frank am Dienstag in der TAZ, um dann böse Worte in den Mund zu nehmen: "Bullshit. Ich gestehe: Ich sorge mich nicht. […] Die gegenwärtige Finanzkrise geht mir […] schlicht meilenweit am Arsch vorbei. Ich darf das doch mal so derb sagen, oder?" Der TAZ-Autor dachte lieber an anderes als Börsenprobleme, an die Rettung von Menschenleben zum Beispiel. Ihm komme es so vor, "als würde das Haus nebenan gerade mitsamt seinen brüllenden Bewohnern in Flammen stehen, während ich mich betroffen über die verwelkenden Blumen in meinem Garten beuge und überlege, wie ich sie besser bewässern könnte. Wenn ich jetzt ausrutschte und im Gartenteich ersaufen würde, hätte ich das nicht verdient?"
In Großbritannien standen in dieser Woche in der Tat Häuser in Flammen. Und da wären wir bei Trieb Nummer zwei: dem Bedürfnis nach Gewalt. Das wohl in London untrennbar mit dem Bedürfnis nach Geld verknüpft war. "Zeitgeschichte [...] ist Geschichte, die noch raucht. In Großbritannien brennt sie gerade lichterloh", schrieb Bodo Mrozek in der WELT. Die jetzigen Unruhen in England erinnerten den Potsdamer Jugendkulturforscher an das Jahr 1981. Auch damals waren Häuser in London angezündet worden. Nur dass sich die Jugendlichen in dieser Woche durch Plünderungen bereicherten: "Man will diese Leute am liebsten packen, ihnen die Kapuzen herunterziehen und rufen: Was fällt euch ein?! Wieso seid ihr so wütend? Wieso seid ihr so hoffnungslos?", schrieb Khuê Pham in der ZEIT. "Man müsste dabei die eigene Wut gegen sie unterdrücken: Jugend ist auch ein Versprechen, aber dieses Versprechen haben die Plünderer von London weggeworfen." Insofern dürfe man diese Jugendkrawalle in England nicht mit den Jugendprotesten des Arabischen Frühlings gleichsetzen: "Die einen wollen Freiheit und Gerechtigkeit, die anderen Krieg und Flachbildschirme."
Gina Thomas hat für die FAZ einen Erlebnisbericht aus ihrem Londoner Stadtteil Notting Hill geschrieben: "Rauchschwaden vernebelten die Luft. In der Ledbury Road, einer von Boutiquen gesäumten Straße des Viertels, hatten soeben Jugendliche mit Macheten und andere Waffen die verriegelte Tür des Michelin-besternten 'Ledbury'-Restaurants eingeschlagen." Das Küchenpersonal habe die vermummten Männer zwar schließlich "mit gewetzten Messern, Nudelhölzern und anderen Werkzeugen" vertreiben können. Da hatten sie allerdings den Gästen schon die Wertsachen und Eheringe abgenommen.
Sex weg, Liebe weg, Ehe kaputt – so könnte man die These aus Charlotte Roches autobiographischem Roman "Schoßgebete" zusammenfassen, in dem eine Frau über den Sex mit ihrem Ehemann spricht, die Wünsche und daraus resultierenden sexuellen Experimente, aber auch über den tragischen Unfalltod dreier Brüder und die Gespräche mit der Therapeutin. "Fick mich ins Leben zurück!", diesen Satz zitierte Thomas Steinfeld in seiner Rezension des Romans für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Und spätestens da wären wir bei Trieb Nummer drei: "Sexualität ist das Leben, lautet der Gedanke. Sie ist die beste, wenn nicht die einzige Überwindung des Todes." Steinfeld allerdings teilte diese Meinung nicht. Hatte er doch seinen Verriss "Verlogenheit zwischen den Beinen" genannt. Sein Fazit zum Roman, der in einer Auflage von 500.000 Exemplaren erschienen ist: "[Die Sexualität] wird absolut, sie wird zum Fetisch, zum Gegenstand eines eigenen Fundamentalismus: ‚Der Trip beginnt’, lautet der letzte Satz in diesem unerheblichen, trivialen, ja verlogenen Buch".
"Ein schreckliches Buch. Man muss es lesen", schreibt Claudius Seidl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Dieser Text klinge "so häufig läppisch, unkonzentriert, geschwätzig", offensichtlich habe die Autorin immer wieder "keine Zeit oder keine Lust" gehabt, "sich ein bisschen Mühe zu geben mit der Suche nach einem einigermaßen präzisen Begriff". Aber Seidl hat dann doch den Verdacht, "dass der Text womöglich klüger als seine Autorin ist". Im Grunde sei der Roman "Schoßgebete" ein "Werk der Stille", "ein Buch über den Tod". "Und vielleicht sind die ‚Schoßgebete’ tatsächlich ein Werk der allerschwärzesten Ironie, in welchem man kein Wort beim Nennwert nehmen kann. Und alles nur der Lärm ist, der die Stille vertreiben, die Lüge, welche die Wahrheit erträglich machen, der Text, der das Gefühl betäuben soll." Vielleicht geht mit manchem Kritiker auch einfach der Trieb der Fantasie durch.
Der Dax ein Patient. "Ich sollte mich womöglich ganztags ans Krankenbett des DAX setzen und ihm mit bangem Blick auf die Fieberkurve das Händchen halten", schrieb Arno Frank am Dienstag in der TAZ, um dann böse Worte in den Mund zu nehmen: "Bullshit. Ich gestehe: Ich sorge mich nicht. […] Die gegenwärtige Finanzkrise geht mir […] schlicht meilenweit am Arsch vorbei. Ich darf das doch mal so derb sagen, oder?" Der TAZ-Autor dachte lieber an anderes als Börsenprobleme, an die Rettung von Menschenleben zum Beispiel. Ihm komme es so vor, "als würde das Haus nebenan gerade mitsamt seinen brüllenden Bewohnern in Flammen stehen, während ich mich betroffen über die verwelkenden Blumen in meinem Garten beuge und überlege, wie ich sie besser bewässern könnte. Wenn ich jetzt ausrutschte und im Gartenteich ersaufen würde, hätte ich das nicht verdient?"
In Großbritannien standen in dieser Woche in der Tat Häuser in Flammen. Und da wären wir bei Trieb Nummer zwei: dem Bedürfnis nach Gewalt. Das wohl in London untrennbar mit dem Bedürfnis nach Geld verknüpft war. "Zeitgeschichte [...] ist Geschichte, die noch raucht. In Großbritannien brennt sie gerade lichterloh", schrieb Bodo Mrozek in der WELT. Die jetzigen Unruhen in England erinnerten den Potsdamer Jugendkulturforscher an das Jahr 1981. Auch damals waren Häuser in London angezündet worden. Nur dass sich die Jugendlichen in dieser Woche durch Plünderungen bereicherten: "Man will diese Leute am liebsten packen, ihnen die Kapuzen herunterziehen und rufen: Was fällt euch ein?! Wieso seid ihr so wütend? Wieso seid ihr so hoffnungslos?", schrieb Khuê Pham in der ZEIT. "Man müsste dabei die eigene Wut gegen sie unterdrücken: Jugend ist auch ein Versprechen, aber dieses Versprechen haben die Plünderer von London weggeworfen." Insofern dürfe man diese Jugendkrawalle in England nicht mit den Jugendprotesten des Arabischen Frühlings gleichsetzen: "Die einen wollen Freiheit und Gerechtigkeit, die anderen Krieg und Flachbildschirme."
Gina Thomas hat für die FAZ einen Erlebnisbericht aus ihrem Londoner Stadtteil Notting Hill geschrieben: "Rauchschwaden vernebelten die Luft. In der Ledbury Road, einer von Boutiquen gesäumten Straße des Viertels, hatten soeben Jugendliche mit Macheten und andere Waffen die verriegelte Tür des Michelin-besternten 'Ledbury'-Restaurants eingeschlagen." Das Küchenpersonal habe die vermummten Männer zwar schließlich "mit gewetzten Messern, Nudelhölzern und anderen Werkzeugen" vertreiben können. Da hatten sie allerdings den Gästen schon die Wertsachen und Eheringe abgenommen.
Sex weg, Liebe weg, Ehe kaputt – so könnte man die These aus Charlotte Roches autobiographischem Roman "Schoßgebete" zusammenfassen, in dem eine Frau über den Sex mit ihrem Ehemann spricht, die Wünsche und daraus resultierenden sexuellen Experimente, aber auch über den tragischen Unfalltod dreier Brüder und die Gespräche mit der Therapeutin. "Fick mich ins Leben zurück!", diesen Satz zitierte Thomas Steinfeld in seiner Rezension des Romans für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Und spätestens da wären wir bei Trieb Nummer drei: "Sexualität ist das Leben, lautet der Gedanke. Sie ist die beste, wenn nicht die einzige Überwindung des Todes." Steinfeld allerdings teilte diese Meinung nicht. Hatte er doch seinen Verriss "Verlogenheit zwischen den Beinen" genannt. Sein Fazit zum Roman, der in einer Auflage von 500.000 Exemplaren erschienen ist: "[Die Sexualität] wird absolut, sie wird zum Fetisch, zum Gegenstand eines eigenen Fundamentalismus: ‚Der Trip beginnt’, lautet der letzte Satz in diesem unerheblichen, trivialen, ja verlogenen Buch".
"Ein schreckliches Buch. Man muss es lesen", schreibt Claudius Seidl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Dieser Text klinge "so häufig läppisch, unkonzentriert, geschwätzig", offensichtlich habe die Autorin immer wieder "keine Zeit oder keine Lust" gehabt, "sich ein bisschen Mühe zu geben mit der Suche nach einem einigermaßen präzisen Begriff". Aber Seidl hat dann doch den Verdacht, "dass der Text womöglich klüger als seine Autorin ist". Im Grunde sei der Roman "Schoßgebete" ein "Werk der Stille", "ein Buch über den Tod". "Und vielleicht sind die ‚Schoßgebete’ tatsächlich ein Werk der allerschwärzesten Ironie, in welchem man kein Wort beim Nennwert nehmen kann. Und alles nur der Lärm ist, der die Stille vertreiben, die Lüge, welche die Wahrheit erträglich machen, der Text, der das Gefühl betäuben soll." Vielleicht geht mit manchem Kritiker auch einfach der Trieb der Fantasie durch.