Von Ulrike Timm
In der "Welt" regt der Autor Karlheinz Bohrer die Medien zum kritischen Denken an, in der "FAZ“ äußern sich Jürgen Habermas, Julian Nida-Rümelin und Peter Bofinger zu Europas Krise und die "Süddeutsche" ehrt den kürzlich verstorbenen amerikanischen Schriftsteller Gore Vidal.
Die Woche fing ganz gut an: Man solle doch bitte Selberdenken nicht verwechseln mit dasselbe denken, so mahnte der Autor, Germanist und Grandseigneur der Intellektuellen, Karlheinz Bohrer, in einem ausführlichen Gespräch mit der Welt. Ein Gespräch über die "Erotik des Denkens", über Nietzsche und das Duzen, Heldenmut, Western und Rita Hayworth – all das sollte die Erotik des Denkens ja wohl auch hergeben. Journalisten bekamen eine gezielte Klatsche:
"Der Zeitungs-Essay bietet heute keine Garantie mehr, dass er wirklich originelle Gedanken hervorbringt. Warum nicht? Weil der akademisch erzogene Journalismus von heute so voller abrufbarer Ideen, so voller absehbarer Kenntnisse ist, beinahe zwanghaft."
Wir bleiben der Kritik eingedenk und reichen sie dennoch höflich weiter. An gestandene Intellektuelle nämlich, die keine Journalisten sind. Wenn sich die Philosophen Jürgen Habermas und Julian Nida-Rümelin zusammentun, um gemeinsam mit dem Ökonomen Peter Bofinger über die Krise Europas nachzudenken und
"Einspruch gegen die Fassadendemokratie" erheben, dann räumt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG zwar andächtig eine komplette Feuilletonseite frei – aber so viel steht deshalb, pardon, auch nicht automatisch drin. Das "Unwesen des gespenstischen Paralleluniversums" der Finanzwirtschaft gelte es dingend zu überwinden, lesen wir, und:
"Das weit verbreitete Gefühl verletzter Gerechtigkeit erklärt sich daraus, dass anonyme Marktprozesse in der Wahrnehmung der Bürger eine unmittelbar politische Dimension angenommen haben. Dieses Gefühl verbindet sich mit der verhaltenen oder offenen Wut über die eigene Ohnmacht."
So wahr wie oft beschrieben, und die angemahnten Auswege, eine echte europäische Einigung und die Wiedergewinnung des Politischen über das rein Fiskale nämlich, die zeigen, dass das prominente Intellektuellentriumverat auch nicht wirklich schlauer ist als die anderen, die im Krisensumpf mahnen und strampeln. Was nicht generell gegen Bofinger-Habermas-Nida-Rümeilin und die komplette Seite in der FAZ spricht. Aber vielleicht tatsächlich für die Dimension des Problems.
Selberdenken statt dasselbe denken? Das hatte Gore Vidal ganz sicher raus. Der amerikanische Schriftsteller, Linksintellektuelle, Vorzeigeschwule, kultivierte Dandy, Krawallmacher war eben vor allem einer der hellsten Köpfe seines Landes – dem er zeitweilig entfloh. 86jährig ist Gore Vidal in Los Angeles gestorben, als Nachbar alter Hollywood-Legenden, kein Feuilleton, das ihm nicht wehmütig nachrief. Am schönsten tat das wohl Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, ganz fern von Worten wie "Krawallschachtel" oder "unter Literatur-Machos die einzige Tunte".
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG war Gore Vidal ganz liebevoll "der brillanteste Freibeuter der amerikanischen Gegenwartsliteratur", wir lesen weiter:
"Es war nicht leicht mit ihm, aber immer unterhaltsam. Mit nie enden wollendem Genuss dozierte er über den bevorstehenden Untergang des amerikanischen Imperiums, (…) ein leidenschaftlicher Décadent, wie ihn nur die amerikanische, diese angeblich klassenlose Gesellschaft hervorbringen konnte. Der Klassenkämpfer von links oben gab niemals auf. Die Welt, nicht nur die amerikanische, ist mit einem Schlag dunkler und langweiliger geworden."
Soweit Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN zum Tode von Gore Vidal.
Und damit über den großen Teich und ab nach London – und erstmal nicht zu Olympia. Die taz nämlich feiert aus gegebenem Anlass "abseitigen Inselsport", Cricket, das nobelste aller Spiele. Gut, das Prinzip ist nicht so kompliziert, "werfen, schlagen, punkten", aber das Brimborium drumrum ist schier unvergleichlich. Und:
"Cricket ist die wohl einzige Sportart mit vorgesehener Teepause","
freut sich die taz. So eine gemütliche, gelassene Teepause zum Nachdenken hätte man dem einen oder anderen Sportkommentatoren ja durchaus gewünscht, bevor er wieder einen atemlosen Schwimmathleten mit einem betrübten
""und? wieso seid ihr so schlecht?"
in Empfang nahm. Man könnte sich Cricket glatt als olympische Disziplin für Reporter wünschen, werfen, schlagen, punkten – und zur rechten Zeit mal Tee trinken und den Mund halten. Aber wir wollen nicht mäkeln – wir Zuschauer sind ja fein raus! Wir haben ja den Livestream, sechs- bis sogar achtfach, werbe- und vielfach kommentarfrei.
"Glücklich ohne Béla Rethy"
jubelt die Frankfurter Rundschau,
"Das strapazierte Schlagwort vom Zuschauer als Programmdirektor wird während dieser Spiele erstmals wirklich Realität."
Im Livestream kann man die Tischtennisspieler Tischtennisspielen lassen, bis sie mit Tischtennisspielen fertig sind – ohne zwischendurch mal schnell mit den Schwimmern baden zu gehen, weil das offizielle Fernsehprogramm da schnell hinschaltet. Und wer beim Tischtennis Kopfweh kriegt, wegen des blitzschnellen links-rechts-links-rechts-ping-pong-schmetter-schmetter, der kann ja mit einem Mausklick zum Gewichtheben gehen. Oder ausmachen und Selberdenken. Obwohl auch Radiomenschen verführt sein könnten, sich eventuell wieder einen Fernseher zuzulegen. Zumindest diejenigen, die sich einen guten Schuss Kindlichkeit bewahrt haben - was ja viel zu tun hat mit Selberdenken. Die gute Nachricht nämlich zum guten Schluss: Vielleicht kommt die Augsburger Puppenkiste wieder. Das lesen wir in der Sonntagsausgabe des TAGESSPIEGELs. Die Augsburger Puppenkiste samt Jim Knopf, Alfons dem Viertelvorzwölften und Urmel aus dem Eis sollen in Deutschland noch mehr Menschen kennen als Facebook, und da freut sich Leiter Klaus Marschall natürlich:
"Ich weiß jedenfalls, dass wir einen Bekanntheitsgrad von etwa 90 Prozent haben",
sagt er. Und kann sich auch Puppenspiel für Erwachsene vorstellen, womöglich als politisches Kabarett. Holla! Trotzdem hoffen wir, dass Jim Knopf niemals die Finanzkrise wuppen muss – aber wenn die Augsburger Puppenkiste wiederkommt, lohnt sich womöglich wieder ein Fernseher. Zumindest aber eine Fahrt bis Lummerland!
"Der Zeitungs-Essay bietet heute keine Garantie mehr, dass er wirklich originelle Gedanken hervorbringt. Warum nicht? Weil der akademisch erzogene Journalismus von heute so voller abrufbarer Ideen, so voller absehbarer Kenntnisse ist, beinahe zwanghaft."
Wir bleiben der Kritik eingedenk und reichen sie dennoch höflich weiter. An gestandene Intellektuelle nämlich, die keine Journalisten sind. Wenn sich die Philosophen Jürgen Habermas und Julian Nida-Rümelin zusammentun, um gemeinsam mit dem Ökonomen Peter Bofinger über die Krise Europas nachzudenken und
"Einspruch gegen die Fassadendemokratie" erheben, dann räumt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG zwar andächtig eine komplette Feuilletonseite frei – aber so viel steht deshalb, pardon, auch nicht automatisch drin. Das "Unwesen des gespenstischen Paralleluniversums" der Finanzwirtschaft gelte es dingend zu überwinden, lesen wir, und:
"Das weit verbreitete Gefühl verletzter Gerechtigkeit erklärt sich daraus, dass anonyme Marktprozesse in der Wahrnehmung der Bürger eine unmittelbar politische Dimension angenommen haben. Dieses Gefühl verbindet sich mit der verhaltenen oder offenen Wut über die eigene Ohnmacht."
So wahr wie oft beschrieben, und die angemahnten Auswege, eine echte europäische Einigung und die Wiedergewinnung des Politischen über das rein Fiskale nämlich, die zeigen, dass das prominente Intellektuellentriumverat auch nicht wirklich schlauer ist als die anderen, die im Krisensumpf mahnen und strampeln. Was nicht generell gegen Bofinger-Habermas-Nida-Rümeilin und die komplette Seite in der FAZ spricht. Aber vielleicht tatsächlich für die Dimension des Problems.
Selberdenken statt dasselbe denken? Das hatte Gore Vidal ganz sicher raus. Der amerikanische Schriftsteller, Linksintellektuelle, Vorzeigeschwule, kultivierte Dandy, Krawallmacher war eben vor allem einer der hellsten Köpfe seines Landes – dem er zeitweilig entfloh. 86jährig ist Gore Vidal in Los Angeles gestorben, als Nachbar alter Hollywood-Legenden, kein Feuilleton, das ihm nicht wehmütig nachrief. Am schönsten tat das wohl Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, ganz fern von Worten wie "Krawallschachtel" oder "unter Literatur-Machos die einzige Tunte".
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG war Gore Vidal ganz liebevoll "der brillanteste Freibeuter der amerikanischen Gegenwartsliteratur", wir lesen weiter:
"Es war nicht leicht mit ihm, aber immer unterhaltsam. Mit nie enden wollendem Genuss dozierte er über den bevorstehenden Untergang des amerikanischen Imperiums, (…) ein leidenschaftlicher Décadent, wie ihn nur die amerikanische, diese angeblich klassenlose Gesellschaft hervorbringen konnte. Der Klassenkämpfer von links oben gab niemals auf. Die Welt, nicht nur die amerikanische, ist mit einem Schlag dunkler und langweiliger geworden."
Soweit Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN zum Tode von Gore Vidal.
Und damit über den großen Teich und ab nach London – und erstmal nicht zu Olympia. Die taz nämlich feiert aus gegebenem Anlass "abseitigen Inselsport", Cricket, das nobelste aller Spiele. Gut, das Prinzip ist nicht so kompliziert, "werfen, schlagen, punkten", aber das Brimborium drumrum ist schier unvergleichlich. Und:
"Cricket ist die wohl einzige Sportart mit vorgesehener Teepause","
freut sich die taz. So eine gemütliche, gelassene Teepause zum Nachdenken hätte man dem einen oder anderen Sportkommentatoren ja durchaus gewünscht, bevor er wieder einen atemlosen Schwimmathleten mit einem betrübten
""und? wieso seid ihr so schlecht?"
in Empfang nahm. Man könnte sich Cricket glatt als olympische Disziplin für Reporter wünschen, werfen, schlagen, punkten – und zur rechten Zeit mal Tee trinken und den Mund halten. Aber wir wollen nicht mäkeln – wir Zuschauer sind ja fein raus! Wir haben ja den Livestream, sechs- bis sogar achtfach, werbe- und vielfach kommentarfrei.
"Glücklich ohne Béla Rethy"
jubelt die Frankfurter Rundschau,
"Das strapazierte Schlagwort vom Zuschauer als Programmdirektor wird während dieser Spiele erstmals wirklich Realität."
Im Livestream kann man die Tischtennisspieler Tischtennisspielen lassen, bis sie mit Tischtennisspielen fertig sind – ohne zwischendurch mal schnell mit den Schwimmern baden zu gehen, weil das offizielle Fernsehprogramm da schnell hinschaltet. Und wer beim Tischtennis Kopfweh kriegt, wegen des blitzschnellen links-rechts-links-rechts-ping-pong-schmetter-schmetter, der kann ja mit einem Mausklick zum Gewichtheben gehen. Oder ausmachen und Selberdenken. Obwohl auch Radiomenschen verführt sein könnten, sich eventuell wieder einen Fernseher zuzulegen. Zumindest diejenigen, die sich einen guten Schuss Kindlichkeit bewahrt haben - was ja viel zu tun hat mit Selberdenken. Die gute Nachricht nämlich zum guten Schluss: Vielleicht kommt die Augsburger Puppenkiste wieder. Das lesen wir in der Sonntagsausgabe des TAGESSPIEGELs. Die Augsburger Puppenkiste samt Jim Knopf, Alfons dem Viertelvorzwölften und Urmel aus dem Eis sollen in Deutschland noch mehr Menschen kennen als Facebook, und da freut sich Leiter Klaus Marschall natürlich:
"Ich weiß jedenfalls, dass wir einen Bekanntheitsgrad von etwa 90 Prozent haben",
sagt er. Und kann sich auch Puppenspiel für Erwachsene vorstellen, womöglich als politisches Kabarett. Holla! Trotzdem hoffen wir, dass Jim Knopf niemals die Finanzkrise wuppen muss – aber wenn die Augsburger Puppenkiste wiederkommt, lohnt sich womöglich wieder ein Fernseher. Zumindest aber eine Fahrt bis Lummerland!