Von Ulrike Timm
Die "Zeit" beschäftigt sich mit dem symbolischen Hissen der russischen Flagge auf dem Meeresboden unter dem Nordpol, außerdem erscheinen in den Feuilletons Nachrufe auf den Holocaust-Forscher Raul Hilberg und den Schriftsteller Ulrich Plenzdorf.
Russland ist größer geworden - sagt Russland. 4000 m unter dem Nordpol hat eine Eismeerexpedition die russische Fahne gehisst - per U-Boot geht das - und damit seinen Anspruch auf 1,2 Millionen Quadratkilometer Meeresgrund und dessen Bodenschätze untermauert.
Mit dem internationalen Seerecht ist das nicht so ganz vereinbar, es erinnert eher an Jack Londons Abenteuerromane, wo die Schürfrechte hat, wer die Schubkarre als erster über der Goldader parkt. Christof Siemes nimmt in einem wundervollen kleinen ZEIT-Feuilleton die ganze Aktion zum Anlass, über Fahnen als archaisches Ritual nachzudenken, und setzt zugleich zum großen, listigen Zweifel an. Zitat:
"Wer sagt eigentlich, dass die Russen tatsächlich unter dem Eis am Nordpol eine Fahne gehisst haben? Zu sehen bekam die Weltöffentlichkeit in der vergangenen Woche dies: ein Bullauge, dahinter grün-gelbes Dämmerlicht, ein Roboterarm, der eine russische Flagge undefinierbarer Größe absetzt, Sand stiebt auf, aus. Da könnte ein talentierter Exspion wie Vladimir Putin auch seinen Schreibtisch-Wimpel in der Nilpferdbadewanne des Moskauer Zoos gefilmt haben. Damit stände er in einer großen Tradition, denn die Geschichte der wirkmächtigen Flaggenhissungen ist eine Geschichte von skrupellosen Inszenierungen."
Soweit Christof Siemes in der ZEIT.
Alle Zeitungen würdigen in Nachrufen Raul Hilberg, den Pionier der Holocaustforschung, der mit 81 Jahren gestorben ist. In seinem Standardwerk "Die Vernichtung der Europäischen Juden" untersuchte Hilberg
"konkret, detailliert und unerbittlich präszise" - so die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG - "wer und mit welchen Mitteln die industrielle Tötung von mehr als fünf Millionen Menschen organisiert hatte".
Und die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint:
"Die von ihm geschriebene Apokalypse kommt ohne Gott und Teufel aus. Es braucht nur Menschen wie du und ich ... .Raul Hilberg hat uns gelehrt, dass die Judenvernichtung nicht die Tat einiger durchgedrehter Antisemiten, sondern ein 'nationaler Akt' war, an dem die ganze Verwaltung, ja die 'gesamte organisierte Gesellschaft Deutschlands' beteiligt war."
Der Wert seiner Forschung wurde lange verkannt und wenig gewürdigt - gerade wegen Raul Hilbergs akribischer, nüchterner Herangehensweise. Die TAZ zitiert ihn so:
"Erst beachten sie mich nicht, dann machen sie mich zu einem Heiligen"
"Beide Male lesen sie meine Bücher nicht."
Dieses Schicksal, dass man seine Bücher nicht las, blieb Ulrich Plenzdorf erspart. Seine "Neuen Leiden des jungen W.", die rotzfreche Geschichte eines Aussteigers, der, fernab verordneter sozialistischer Freuden eine kurze Zeit der Freiheit in einer alten Gartenlaube genießt, wurde ein Welterfolg.
In der DDR fand eine Generation ihr Idol, in Westdeutschland wurde das Buch Schullektüre und in mehr als 30 Sprachen lernten die Leser Edgar Wibeau kennen.
"Dieser Wibeau stand für eine ganze Generation junger Leute, die ins Leben wollten - aber nicht ins vorgegebene Leben","
schreibt der TAGESSPIEGEL, und Jens Bisky meint in der SÜDEUTSCHEN ZEITUNG über Ulrich Plenzdorf und seine Figuren:
""Mit Wibeau, Paul, Paula oder dem Sonderschüler Fleischmann aus 'kein runter kein fern' gelang ihm, was selten glückt: Er verknüpfte genaueste Schilderung mit unbestimmtester Sehnsucht, vermählte Milieu und Traum, schuf in einer künstlichen Sprache voller Anleihen Figuren, von denen man glaubt, sie immer schon gekannt zu haben. Kein Mensch redet wie der Aussteiger Edgar, aber der Leser meint, eine authentische Stimme der Jugend zu hören."
Ulrich Plenzdorf wurde 72 Jahre alt.
Kommen wir noch zum Vieh der Woche, das eher ein Viehlein ist, denn auf mehr als vier Zentimetern Durchmesser bringt es die Kleine Hufeisennase nicht. Und doch hat die Fledermaus die Dresdner Waldschlösschenbrücke - nein, nicht verhindert - aber immerhin einen Baustopp erwirkt.
Sie wissen es, und können es wahrscheinlich nicht mehr hören: es geht ums Dresdner Elbtal, das - noch - UNESCO-Weltkulturerbe ist. Und, so setzten es Naturschützer im Eilverfahren durch: durch den Bau der Brücke ist möglicherweise der Lebensraum des Flattermanns bedroht, das muss also erst untersucht werden.
""Was also Heerscharen von Juristen, Kunsthistorikern, Denkmalpflegern und Dresden-Liebhabern misslang, vollbringt nun dieses flatternde Minimum: der allen Argumenten unzugänglichen Sturheit einer Landesregierung und ihres Ministerpräsidenten wird zumindest vorläufig Einhalt geboten. Mag auch hinter der kleinen Hufeisennase als eigentliche Wirkkraft die Hartnäckigkeit von bestallten und freiwilligen Umwelt- und Denkmalschützern stehen - heute sehen wir die Fledermaus als Dresdner Engel","
meint die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Und wohl nicht nur die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fragt sich, ob das nun ein Wunder ist oder ein Witz.
Mit dem internationalen Seerecht ist das nicht so ganz vereinbar, es erinnert eher an Jack Londons Abenteuerromane, wo die Schürfrechte hat, wer die Schubkarre als erster über der Goldader parkt. Christof Siemes nimmt in einem wundervollen kleinen ZEIT-Feuilleton die ganze Aktion zum Anlass, über Fahnen als archaisches Ritual nachzudenken, und setzt zugleich zum großen, listigen Zweifel an. Zitat:
"Wer sagt eigentlich, dass die Russen tatsächlich unter dem Eis am Nordpol eine Fahne gehisst haben? Zu sehen bekam die Weltöffentlichkeit in der vergangenen Woche dies: ein Bullauge, dahinter grün-gelbes Dämmerlicht, ein Roboterarm, der eine russische Flagge undefinierbarer Größe absetzt, Sand stiebt auf, aus. Da könnte ein talentierter Exspion wie Vladimir Putin auch seinen Schreibtisch-Wimpel in der Nilpferdbadewanne des Moskauer Zoos gefilmt haben. Damit stände er in einer großen Tradition, denn die Geschichte der wirkmächtigen Flaggenhissungen ist eine Geschichte von skrupellosen Inszenierungen."
Soweit Christof Siemes in der ZEIT.
Alle Zeitungen würdigen in Nachrufen Raul Hilberg, den Pionier der Holocaustforschung, der mit 81 Jahren gestorben ist. In seinem Standardwerk "Die Vernichtung der Europäischen Juden" untersuchte Hilberg
"konkret, detailliert und unerbittlich präszise" - so die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG - "wer und mit welchen Mitteln die industrielle Tötung von mehr als fünf Millionen Menschen organisiert hatte".
Und die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint:
"Die von ihm geschriebene Apokalypse kommt ohne Gott und Teufel aus. Es braucht nur Menschen wie du und ich ... .Raul Hilberg hat uns gelehrt, dass die Judenvernichtung nicht die Tat einiger durchgedrehter Antisemiten, sondern ein 'nationaler Akt' war, an dem die ganze Verwaltung, ja die 'gesamte organisierte Gesellschaft Deutschlands' beteiligt war."
Der Wert seiner Forschung wurde lange verkannt und wenig gewürdigt - gerade wegen Raul Hilbergs akribischer, nüchterner Herangehensweise. Die TAZ zitiert ihn so:
"Erst beachten sie mich nicht, dann machen sie mich zu einem Heiligen"
"Beide Male lesen sie meine Bücher nicht."
Dieses Schicksal, dass man seine Bücher nicht las, blieb Ulrich Plenzdorf erspart. Seine "Neuen Leiden des jungen W.", die rotzfreche Geschichte eines Aussteigers, der, fernab verordneter sozialistischer Freuden eine kurze Zeit der Freiheit in einer alten Gartenlaube genießt, wurde ein Welterfolg.
In der DDR fand eine Generation ihr Idol, in Westdeutschland wurde das Buch Schullektüre und in mehr als 30 Sprachen lernten die Leser Edgar Wibeau kennen.
"Dieser Wibeau stand für eine ganze Generation junger Leute, die ins Leben wollten - aber nicht ins vorgegebene Leben","
schreibt der TAGESSPIEGEL, und Jens Bisky meint in der SÜDEUTSCHEN ZEITUNG über Ulrich Plenzdorf und seine Figuren:
""Mit Wibeau, Paul, Paula oder dem Sonderschüler Fleischmann aus 'kein runter kein fern' gelang ihm, was selten glückt: Er verknüpfte genaueste Schilderung mit unbestimmtester Sehnsucht, vermählte Milieu und Traum, schuf in einer künstlichen Sprache voller Anleihen Figuren, von denen man glaubt, sie immer schon gekannt zu haben. Kein Mensch redet wie der Aussteiger Edgar, aber der Leser meint, eine authentische Stimme der Jugend zu hören."
Ulrich Plenzdorf wurde 72 Jahre alt.
Kommen wir noch zum Vieh der Woche, das eher ein Viehlein ist, denn auf mehr als vier Zentimetern Durchmesser bringt es die Kleine Hufeisennase nicht. Und doch hat die Fledermaus die Dresdner Waldschlösschenbrücke - nein, nicht verhindert - aber immerhin einen Baustopp erwirkt.
Sie wissen es, und können es wahrscheinlich nicht mehr hören: es geht ums Dresdner Elbtal, das - noch - UNESCO-Weltkulturerbe ist. Und, so setzten es Naturschützer im Eilverfahren durch: durch den Bau der Brücke ist möglicherweise der Lebensraum des Flattermanns bedroht, das muss also erst untersucht werden.
""Was also Heerscharen von Juristen, Kunsthistorikern, Denkmalpflegern und Dresden-Liebhabern misslang, vollbringt nun dieses flatternde Minimum: der allen Argumenten unzugänglichen Sturheit einer Landesregierung und ihres Ministerpräsidenten wird zumindest vorläufig Einhalt geboten. Mag auch hinter der kleinen Hufeisennase als eigentliche Wirkkraft die Hartnäckigkeit von bestallten und freiwilligen Umwelt- und Denkmalschützern stehen - heute sehen wir die Fledermaus als Dresdner Engel","
meint die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Und wohl nicht nur die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fragt sich, ob das nun ein Wunder ist oder ein Witz.