Von Umsturzgeschrei keine Spur
In ihrem neuen Buch propagiert die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sahra Wagenknecht, die Zukunftsidee des "kreativen Sozialismus". Um einen heißen Wutkern - die Verachtung der Ackermänner dieser Welt – argumentiert sie politisch und analysiert wirtschaftlich. So gewinnt sie mit "Freiheit statt Kapitalismus" an Seriosität.
Es gibt da gewisse Parallelen. Der Philosoph Karl Marx schrieb 1851 an Friedrich Engels, er wolle mit "der ganzen ökonomischen Scheiße" in wenigen Wochen fertig werden, blieb dann aber bis zum letzten Atemzug beim Thema und fabrizierte "Das Kapital". Die an Marx geschulte Philosophin Wagenknecht brütet nun schon seit Längerem über einer volkswirtschaftlichen Dissertation. Und nach der Lektüre von "Freiheit statt Kapitalismus" wettet man darauf, dass die Ökonomie auch das Thema ihres Lebens ist.
Denn Wagenknecht zeigt, dass sie tiefer in der Materie steckt, als ihre bisweilen stereotypen Talkshow-Parolen vermuten lassen. Ihre Feindbilder sind bekannt. Zuallererst die Finanzindustrie und die "Zockerbanken", deren Systemrelevanz in der Krise den Markt durch Verstaatlichung der Risiken pervertiert hat. Dann die Großkonzerne, die dem Shareholder-Value untertan sind. Die oberste Managerkaste, die von Quartal zu Quartal Planwirtschaft betreibt und nach Misserfolg mit Millionen-Abfindungen geht. Die Pietschs und Porsches, Kladdens und Quants, also die paar Superreichen, die den Großteil des Profits einsacken, der durch die Leistung von Massen entsteht.
Wagenknecht argumentiert politisch, analysiert aber mit dem Begriffsbesteck der Ökonomie. Sie zeigt, dass die Macht von Finanzindustrie und Großkonzernen kein Naturgesetz des Marktes ist, sondern eher dessen Aufhebung. Sie ist genervt davon, dass die Deregulierung der Wirtschaftsgeschehens seit den 1980er-Jahren so reibungslos gelaufen ist, die Re-Regulierung aber ständig stockt. Und der Wohlstand für alle ein Traum bleibt.
Wagenknecht äußert im Rahmen ihrer Kapitalismus-Kritik fast nichts, was auf dem Höhepunkt der Finanzkrise nicht selbst bürgerliche Zeitungen publiziert haben. Nur dass sie eben unversöhnlich geblieben ist und in allem Aufschwung eine Gerechtigkeitsfanatikerin, die die "Hölle Hartz IV" stets mitdenkt. Ihre Zukunftsidee ist der "kreative Sozialismus" und ihre Idee für die nähere Zukunft: "Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft".
Eine echte Kommunistin dürfte solches natürlich nie schreiben – und tatsächlich lässt Wagenknecht ihre Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Plattform seit 2010 ruhen. Zimperlich ist sie deshalb nicht. Sie fordert weiterhin die Verstaatlichung von Großbanken, die Zerschlagung ("Enteignung") von Monopol-Industrien, die Begrenzung von privaten Gewinnabschöpfungen zugunsten betrieblicher Re-Investitionen, eine hundertprozentige Steuer auf alles, was an einer Erbschaft eine Million Euro übersteigt.
So spröde, wie Wagenknecht als Person beschrieben wird, so spröde kommt auch ihr neues Buch daher – und hat doch einen heißen Wutkern. Wagenknecht speit Verachtungsphrasen aus, die den Ackermännern dieser Welt gelten. Insgesamt aber gewinnt Wagenknecht mit "Freiheit statt Kapitalismus" an Seriosität ... an Satisfaktionsfähigkeit, hätte man zu Marx' Zeiten gesagt. Nicht mehr das Gespenst des Kommunismus soll den Raubtier-Kapitalismus zähmen. Stattdessen setzt sie auf demokratische Dompteure, deren Programm "kreativer Sozialismus" lautet. Offen bleibt, wer das notwendig internationale Projekt eigentlich in die Hand nehmen könnte.
Die üblichen Verdächtigen werden gegen Wagenknechts Werk polemisieren. Und in der nächsten großen Krise werden sie wieder fast genauso schreiben wie sie. Insofern formuliert "Freiheit statt Kapitalismus" den Zweifel, den viele mit sich herumtragen. Ein Merkmal des Buches wird man schätzen: Von heiserem Umsturzgeschrei keine Spur. Wagenknecht will den Markt ja von innen her aufräumen.
Besprochen von Arno Orzessek
Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus
Eichborn AG, Frankfurt am Main 2011
365 Seiten, 19,95 Euro
Denn Wagenknecht zeigt, dass sie tiefer in der Materie steckt, als ihre bisweilen stereotypen Talkshow-Parolen vermuten lassen. Ihre Feindbilder sind bekannt. Zuallererst die Finanzindustrie und die "Zockerbanken", deren Systemrelevanz in der Krise den Markt durch Verstaatlichung der Risiken pervertiert hat. Dann die Großkonzerne, die dem Shareholder-Value untertan sind. Die oberste Managerkaste, die von Quartal zu Quartal Planwirtschaft betreibt und nach Misserfolg mit Millionen-Abfindungen geht. Die Pietschs und Porsches, Kladdens und Quants, also die paar Superreichen, die den Großteil des Profits einsacken, der durch die Leistung von Massen entsteht.
Wagenknecht argumentiert politisch, analysiert aber mit dem Begriffsbesteck der Ökonomie. Sie zeigt, dass die Macht von Finanzindustrie und Großkonzernen kein Naturgesetz des Marktes ist, sondern eher dessen Aufhebung. Sie ist genervt davon, dass die Deregulierung der Wirtschaftsgeschehens seit den 1980er-Jahren so reibungslos gelaufen ist, die Re-Regulierung aber ständig stockt. Und der Wohlstand für alle ein Traum bleibt.
Wagenknecht äußert im Rahmen ihrer Kapitalismus-Kritik fast nichts, was auf dem Höhepunkt der Finanzkrise nicht selbst bürgerliche Zeitungen publiziert haben. Nur dass sie eben unversöhnlich geblieben ist und in allem Aufschwung eine Gerechtigkeitsfanatikerin, die die "Hölle Hartz IV" stets mitdenkt. Ihre Zukunftsidee ist der "kreative Sozialismus" und ihre Idee für die nähere Zukunft: "Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft".
Eine echte Kommunistin dürfte solches natürlich nie schreiben – und tatsächlich lässt Wagenknecht ihre Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Plattform seit 2010 ruhen. Zimperlich ist sie deshalb nicht. Sie fordert weiterhin die Verstaatlichung von Großbanken, die Zerschlagung ("Enteignung") von Monopol-Industrien, die Begrenzung von privaten Gewinnabschöpfungen zugunsten betrieblicher Re-Investitionen, eine hundertprozentige Steuer auf alles, was an einer Erbschaft eine Million Euro übersteigt.
So spröde, wie Wagenknecht als Person beschrieben wird, so spröde kommt auch ihr neues Buch daher – und hat doch einen heißen Wutkern. Wagenknecht speit Verachtungsphrasen aus, die den Ackermännern dieser Welt gelten. Insgesamt aber gewinnt Wagenknecht mit "Freiheit statt Kapitalismus" an Seriosität ... an Satisfaktionsfähigkeit, hätte man zu Marx' Zeiten gesagt. Nicht mehr das Gespenst des Kommunismus soll den Raubtier-Kapitalismus zähmen. Stattdessen setzt sie auf demokratische Dompteure, deren Programm "kreativer Sozialismus" lautet. Offen bleibt, wer das notwendig internationale Projekt eigentlich in die Hand nehmen könnte.
Die üblichen Verdächtigen werden gegen Wagenknechts Werk polemisieren. Und in der nächsten großen Krise werden sie wieder fast genauso schreiben wie sie. Insofern formuliert "Freiheit statt Kapitalismus" den Zweifel, den viele mit sich herumtragen. Ein Merkmal des Buches wird man schätzen: Von heiserem Umsturzgeschrei keine Spur. Wagenknecht will den Markt ja von innen her aufräumen.
Besprochen von Arno Orzessek
Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus
Eichborn AG, Frankfurt am Main 2011
365 Seiten, 19,95 Euro