Von Verbrechen und Yoga-Weisheiten

Eine fanatische Yoga-Lehrerin bekommt Multiple Sklerose. Ihr Leben gerät aus den Fugen - und auch das ihrer Schüler, die montags zum Unterricht kommen. "Montagsmenschen" erzählt leichtfüßig und mit bösartiger Komik von Schicksalschlägen und alltäglichen Verbrechen.
Montagsabends treffen sich Menschen, die alle hoffen, sich durch Yoga aus dem Wirrwarr zu lösen, in dem sie stecken. Man kann Yoga mit Heilserwartungen überfrachten oder als Gesundheit durch Akrobatik, gar Selbstkasteiung missverstehen. Nevada Marthaler, die Lehrerin, neigt zu letzterem, isst vegan, raucht und trinkt nicht, nicht mal Kaffee, macht keinen Sex, dafür zwanghaft immer mehr asanas. Bis eines Tages das ganze Gebäude zusammenkracht und sie mit ihm: "Sie stand im Hund, und sie fiel auf die Schnauze."

So beginnt Milena Mosers neuer Roman, und gäbe es einen Oscar für punktgenaue Anfänge, er hätte ihn verdient. Er enthält all seine Elemente: die Reibung von vermeintlich heilend-heiligem Yogageist und tatsächlich banal-katastrophalen Alltagswelten, Mosers verlässlich unheiligen, leichtfüßigen Erzählton und die Komik, die noch aus bösesten Hieben Lebensfunken schlägt. Nevada hat Multiple Sklerose.

Drei ihrer Schüler bleiben ihr treu. Eine Ärztin, die zwischen der Arbeit und der Ehe mit einem Fernseh-Traummann und dessen Teenie-Tochter taumelt. Ein Lehrer, der von Frauen umzingelt ist und dennoch - oder deshalb? - keine versteht. Und eine Frau, die beruflich im Keller der Lokalzeitung bei der "Online-Leserbindung" festhängt, und zwei linke Hände, hat vor lauter Versagensangst zum Trampel wird. Manche haben Kinder, alle waren Kinder, und alle funktionieren nicht richtig, sind "Montagsmenschen" - so wie manche Autos "Montagsautos" sind. Nur gibt es für Menschen keine Rückrufaktion. Sie müssen sich trotzdem durchs Leben schlagen, zwischen Tragik, Pragmatik und Slapstick.

Wie alle Vier dahinter kommen, warum sie sind, wie sie sind, und wie komplex über Generationen hinweg, innerhalb einer Generation und noch in jedem Individuum der Wirrwarr namens Leben ist - erst recht da, wo's um Liebesdinge geht -, davon erzählt "Montagsmenschen". Und betreibt selbst ein meisterliches Verwirrspiel. Wer angesichts des Covers oder der eingestreuten Patanjali-Yogasutren esoterische Kost erwartet und abwinkt, dem entgeht eine bis in feinste Fäden kunstvolle Dramaturgie. Mosers typische modern-modische Milieus und identifikationsträchtige Figuren führen ebenso wenig in Frauenroman-Kitsch wie der Klappentextwink mit einer Leiche in einen Krimi.

Zumal der kriminalistische Nebenzweig - eine Tötung, für die jemand mutwillig zu Unrecht in Haft geht - der einzig unplausible ist. Trotzdem ist der Roman auch Verbrechensliteratur in einem genresprengend weiten Sinn. Er erzählt vom Verbrechen, in das alle verstrickt sind, das mitten im Leben nistet: als Regel, nicht als Ausnahme. Von der ganz alltäglichen Gewalt, die Kinderseelen, Vatergefühle, Liebe zerstört, angesichts der eine Tötung jede sensationelle Aura verliert. Milena Moser hat einen Adlerblick und ein Katzengehör für eine Gegenwart, in der sich Vergangenheit und Zukunft verheddern und entwirren lassen. "Montagsmenschen" ist ein sehr ernster Roman, gerade weil er einen mit seiner Komik zwingt, die Dinge des Lebens gefälligst selbst in die Hand zu nehmen. Auch so eine Yoga-Weisheit.

Besprochen von Pieke Biermann

Milena Moser: Montagsmenschen
Roman
Nagel & Kimche, Zürich 2012
400 Seiten, gebunden, 19,90 EUR