Von Vorurteilen und Minderwertigkeitskomplexen
Das Buch kommt passend zur Fußball-EM: Der Zürcher Journalist Bruno Ziauddin macht sich in seinem Werk "Gruezi Gummihälse" Gedanken über die wachsende Unbeliebtheit der Deutschen, die in der Schweiz leben. Und gibt Tipps, wie alles besser werden könnte zwischen den Eidgenossen und den Einwanderern.
In der Schweiz läuft seit vergangenem Jahr eine ziemlich lautstarke Debatte über die Deutschen, von denen mittlerweile 200.000 in der Schweiz leben. Die Angst geht um, das Land werde von deutschen Arbeitsmigranten überrannt. Es geht nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um kulturelle Identität: Überall höre man in den Straßen Hochdeutsch, so eine häufige Klage.
Der Zürcher Journalist Bruno Ziauddin hat nun - pünktlich zur Fußball-EM in der Schweiz - einen kleinen Wegleiter zur älteren und jüngeren Geschichte der schweizerisch-deutschen Irritationen veröffentlicht, der ungeachtet des etwas dämlichen Titels eine amüsante und informative Lektüre darstellt.
Er illustriert gleich zu Beginn die Zahl der Deutschen in der Schweiz mit einem interessanten Vergleich: Deutschland zählt mit seinen rund 80 Millionen Menschen etwa sechzehn Mal so viele Einwohner wie die deutschsprachige Schweiz mit 4,8 Millionen. Auf der anderen Seite stellen die etwa 1,3 Milliarden Einwohnern Chinas etwa sechzehn Mal so viele Menschen dar wie die 80 Millionen Deutschen.
Wenn nun in der Schweiz rund 200.000 Deutsche leben, dann fühle sich das für die Deutschschweizer relational genauso an, wie es für die Deutschen wäre, wenn in Deutschland drei Millionen Chinesen leben würden. Die Chinesisch sprächen - oder zumindest Deutsch mit chinesischem Akzent. Und die nicht etwa unter sich in Chinatown blieben, sondern überall sichtbar an Universitäten und in Krankenhäusern, in Restaurants und auf dem Bau den Alltag prägten. So etwas könne schon zu irritierten Reaktionen führen.
Man möchte dagegen natürlich gerne einwenden, dass es zwischen Deutschen und Schweizern doch wohl noch mehr Gemeinsamkeiten gebe als zwischen Deutschen und Chinesen, und damit ist Ziauddin zufolge eigentlich auch der Kern des Problems berührt: die unscharfen Abgrenzungsverhältnisse, die Dialektik von Distanz und Nähe.
Einerseits gibt es viele Gemeinsamkeiten, andererseits ist die Schweiz keine südliche Provinz von Deutschland, sondern ein eigenes Land mit einer eigenen Kultur und einer eigenen Geschichte, die ganz anders verlief als diejenige Deutschlands.
Was die Schweizer an den deutschen Immigranten Ziauddin zufolge denn auch am meisten nervt, ist, wenn diese so tun, als seien sie bei sich zu Hause, als sei die Schweiz für sie kein Ausland und als sei das keine fremde Kultur, der man mit Respekt begegnen müsse.
Auf der anderen Seite beschreibt Ziauddin ausführlich auch den geschichtlichen Kleinstaaten- sowie den sprachlichen Minderwertigkeitskomplex, den die Deutschschweizer gegenüber dem großen Nachbarn sowie - als Dialektsprecher - gegenüber dem flinkeren Hochdeutsch haben.
Solcher zweifellos treffender Überlegungen ungeachtet ist das Thema des Schweizerischen Deutschlandressentiments nicht wirklich eines, das man mit dem ganz großem Ernst behandeln sollte, und Ziauddin nimmt sich und sein Buch denn auch auf angenehme Weise unernst. Das ist erwähnenswert, ist er doch Autor der Schweizer "Weltwoche", die sich in letzter Zeit stark nach rechts bewegt hat und deren Chefredakteur Roger Köppel gerne zweifelhafte Ressentiment-Rhetoriken bedient.
Bei Ziauddin aber überwiegt die heitere Anekdote, deren Erkenntniswert auch nicht mehr als mittlerer Reichweite sein soll. Mit dieser deckt er das Thema der Schweizer Deutschlandskepsis recht umfassend ab, über historische, politische, wirtschaftliche und Sprachprobleme bis hin zu denjenigen des Fußballs. Selbst der Kuh-Problematik hat er ein eigenes Kapitel gewidmet.
Er beklagt darin, dass in deutschen Medien der starken Urbanisierung der Schweiz ungeachtet - über siebzig Prozent der Bevölkerung lebt in Städten oder urbanen Agglomerationen - noch immer jeder Bericht über das Land mit Matterhorn, Alpen oder Kühen bebildert wird. Dagegen bringt er unter Berufung auf die Fachzeitschrift "Schweizer Bauer" die Tatsache in Anschlag, dass eigentlich Deutschland das Kuhland sei: Deutsche Kühe seien schweizerischen überlegen. Bessere Milch, besseres Fleisch. Wahrscheinlich sprechen sie auch besser Hochdeutsch.
Rezensiert von Catherine Newmark
Bruno Ziauddin: Grüezi Gummihälse.
Warum uns die Deutschen manchmal auf die Nerven gehen
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008
224 Seiten, 8,95 Euro
Der Zürcher Journalist Bruno Ziauddin hat nun - pünktlich zur Fußball-EM in der Schweiz - einen kleinen Wegleiter zur älteren und jüngeren Geschichte der schweizerisch-deutschen Irritationen veröffentlicht, der ungeachtet des etwas dämlichen Titels eine amüsante und informative Lektüre darstellt.
Er illustriert gleich zu Beginn die Zahl der Deutschen in der Schweiz mit einem interessanten Vergleich: Deutschland zählt mit seinen rund 80 Millionen Menschen etwa sechzehn Mal so viele Einwohner wie die deutschsprachige Schweiz mit 4,8 Millionen. Auf der anderen Seite stellen die etwa 1,3 Milliarden Einwohnern Chinas etwa sechzehn Mal so viele Menschen dar wie die 80 Millionen Deutschen.
Wenn nun in der Schweiz rund 200.000 Deutsche leben, dann fühle sich das für die Deutschschweizer relational genauso an, wie es für die Deutschen wäre, wenn in Deutschland drei Millionen Chinesen leben würden. Die Chinesisch sprächen - oder zumindest Deutsch mit chinesischem Akzent. Und die nicht etwa unter sich in Chinatown blieben, sondern überall sichtbar an Universitäten und in Krankenhäusern, in Restaurants und auf dem Bau den Alltag prägten. So etwas könne schon zu irritierten Reaktionen führen.
Man möchte dagegen natürlich gerne einwenden, dass es zwischen Deutschen und Schweizern doch wohl noch mehr Gemeinsamkeiten gebe als zwischen Deutschen und Chinesen, und damit ist Ziauddin zufolge eigentlich auch der Kern des Problems berührt: die unscharfen Abgrenzungsverhältnisse, die Dialektik von Distanz und Nähe.
Einerseits gibt es viele Gemeinsamkeiten, andererseits ist die Schweiz keine südliche Provinz von Deutschland, sondern ein eigenes Land mit einer eigenen Kultur und einer eigenen Geschichte, die ganz anders verlief als diejenige Deutschlands.
Was die Schweizer an den deutschen Immigranten Ziauddin zufolge denn auch am meisten nervt, ist, wenn diese so tun, als seien sie bei sich zu Hause, als sei die Schweiz für sie kein Ausland und als sei das keine fremde Kultur, der man mit Respekt begegnen müsse.
Auf der anderen Seite beschreibt Ziauddin ausführlich auch den geschichtlichen Kleinstaaten- sowie den sprachlichen Minderwertigkeitskomplex, den die Deutschschweizer gegenüber dem großen Nachbarn sowie - als Dialektsprecher - gegenüber dem flinkeren Hochdeutsch haben.
Solcher zweifellos treffender Überlegungen ungeachtet ist das Thema des Schweizerischen Deutschlandressentiments nicht wirklich eines, das man mit dem ganz großem Ernst behandeln sollte, und Ziauddin nimmt sich und sein Buch denn auch auf angenehme Weise unernst. Das ist erwähnenswert, ist er doch Autor der Schweizer "Weltwoche", die sich in letzter Zeit stark nach rechts bewegt hat und deren Chefredakteur Roger Köppel gerne zweifelhafte Ressentiment-Rhetoriken bedient.
Bei Ziauddin aber überwiegt die heitere Anekdote, deren Erkenntniswert auch nicht mehr als mittlerer Reichweite sein soll. Mit dieser deckt er das Thema der Schweizer Deutschlandskepsis recht umfassend ab, über historische, politische, wirtschaftliche und Sprachprobleme bis hin zu denjenigen des Fußballs. Selbst der Kuh-Problematik hat er ein eigenes Kapitel gewidmet.
Er beklagt darin, dass in deutschen Medien der starken Urbanisierung der Schweiz ungeachtet - über siebzig Prozent der Bevölkerung lebt in Städten oder urbanen Agglomerationen - noch immer jeder Bericht über das Land mit Matterhorn, Alpen oder Kühen bebildert wird. Dagegen bringt er unter Berufung auf die Fachzeitschrift "Schweizer Bauer" die Tatsache in Anschlag, dass eigentlich Deutschland das Kuhland sei: Deutsche Kühe seien schweizerischen überlegen. Bessere Milch, besseres Fleisch. Wahrscheinlich sprechen sie auch besser Hochdeutsch.
Rezensiert von Catherine Newmark
Bruno Ziauddin: Grüezi Gummihälse.
Warum uns die Deutschen manchmal auf die Nerven gehen
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008
224 Seiten, 8,95 Euro