Trommeln wie der Teufel
"Soul of Africa", also Seele Afrikas, heißt ein kleines Museum in Essen: Auf 85 Quadratmetern entführt das Museum den Besucher in die Welt des Voodoo - der Glauben ist nicht nur gruselig und schaurig.
"Voodoo ist ein sehr alter afrikanischer Glaube, mehrere tausende Jahre alt, und das Wort Voodoo kommt aus der Sprache der Fon, der Hauptethnie in Benin, und bedeutet einfach nur Gott."
Der Deutsch-Amerikaner Henning Christoph weiß, wovon er spricht. Der Fotograf und Ethnologe, der mit seiner stämmigen Figur, den lockigen grauen Haaren und seinem Vollbart für ein Zeus-Porträt Modell stehen könnte, war jahrelang in Afrika, vor allem in den westafrikanischen Staaten wie Benin. In der Voodoo-Religion gibt es einen Schöpfergott mit 401 Kindern. Deren Verehrung könne vielleicht mit den Heiligen im Katholizismus verglichen werden, meint der 69-Jährige.
"Das ist auch die Zentralphilosophie im Voodoo: Gut und Böse muss im Gleichgewicht bleiben. Wenn das kippt, haben wir Chaos."
Henning Christoph kam 1944 im sächsischen Grimma zur Welt. Sechs Jahre später wanderte seine Familie in die USA aus. Der Junge wuchs in der Nähe von Washington auf; sein Interesse am Voodoo wurde bereits in den 50er-Jahren durch Hollywood-Filme geweckt. Er studierte Ethnologie und ging 1967 nach Deutschland, weil er auf keinen Fall als Soldat nach Vietnam wollte. Er studierte an der Essener Folkwangschule Fotografie, arbeitete für Hilfswerke und dann als Fotograph für Zeitschriften wie GEO. Reale Voodoo-Kulte lernte er kennen, als er Mitte der 80er-Jahre für eine Reportage in Benin war. Henning Christoph besuchte dort einen alten Missionar.
"Eines Abends saßen wir auf seiner Veranda und ich hörte Trommeln, wie ich sie noch nie gehört hatte, und ich fragte den Priester, was das sei, er antwortet nicht, ich frag ihn noch mal, das dritte Mal, wo ich ihn fragte, guckt er mich an, ganz erschrocken und sagt: der Teufel."
Henning Christoph stand auf und ging zum Teufel, zu den ihn magisch anziehenden Trommeln und zu den Voodoo-Tänzern, die den Kriegergott Kokou verehrten.
"Dann kam ich wieder beim Priester an und er fragte mich, wo ich gewesen sei. Und ich sage: Bei Kokou. Er zog seinen Rosenkranz raus, kniete sich hin und fing an zu beten. Da habe ich gesagt: da muss ich wieder hin."
Ekstatische Trance zu Ehren des Kriegergottes
Für ein Unesco-Projekt blieb er dann in Benin und begleitete drei Monate lang einen Hohepriester des Voodoo. Er erhielt die Erlaubnis zu fotografieren und wurde so zum Chronisten dieser Religion. Er dokumentierte in einem Fotoband, wie die Menschen sich in Trance tanzten:
"Im Voodoo ist es nur das Trommeln. Eine gewisse Anzahl von Schlägen pro Minute führt zu einer Hyperventilation und dadurch geraten die Menschen in Trance. Und in der Voodoo-Trance, das sind unglaubliche Kräfte, die sich da aufbauen. Ich dokumentiere das seit über 40 Jahren, vor 15 Jahren habe ich aufgehört, Fragen zu stellen. Ich kann Ihnen mal ein Beispiel zeigen von einer ganz heftigen Trance."
Henning Christoph zeigt auf zwei Fotos in seinem Museum. Bei der Beerdigung eines mächtigen Voodoo-Priesters hätten sich die Männer des Stammes in eine ekstatische Trance zu Ehren des Kriegergottes Kokou getanzt.
"Meistens, wenn die Männer in diesem Trance sind, nehmen sie sich ein Messer und schneiden sich tiefe Wunden in den Körper. Der hat sich das Messer quer durch den Kopf gerammt. Die haben ihn auf die Schultern gehievt und ihn eine Stunde um das Grab getragen. Ich war überzeugt, dass er tot war. Nach der Stunde haben sie ihn hingelegt, das Messer rausgezogen, Pflanzensud auf die Wunden. Es dauerte eine Stunde, da kam der Mann zu sich. Er war klar, ich konnte ein Interview machen."
So etwas hatte der Ethnologe noch nie erlebt. Deshalb fragte er einen befreundeten Chirurgen vor Ort, wie so etwas möglich sei:
"Der lachte und sagte: Henning, du bist doch lange genug hier, du musst doch wissen: das war nicht der Mann, der das gemacht hat, es war der Gott, der ihn geritten hat. Und Götter können sich nicht verletzen."
Giftige Zaubertränke und skurrile Fetische
In einem der vier kleinen Räume seines Museums "Soul of Africa" hat Christoph einige kleine Puppen ausgestellt. Sie verweisen auf eine genetische Besonderheit in Westafrika. Denn dort werden so viele Zwillinge geboren wie wohl an keinem anderen Ort:
"Noch vor 100 Jahren mussten die Mütter den schwächeren Zwilling ertränken, weil sie nicht genug Milch hatten für zwei. So hat man einem Kind die Chance gegeben zu überleben. Und für das verstorbene Kind hat man dann sofort eine kleine Holzpuppe angefertigt, und man hat gesagt, die Seele von dem Kind ist übergegangen in die Puppe. Die Puppe lebte stellvertretend weiter und wurde ein Familiengott."
Heute wird das Zwillingskind nicht mehr getötet, aber dennoch überleben viele von ihnen die ersten Monate nicht. Nach wie vor werden dann die Puppen der verstorbenen Kinder beseelt: die Mütter gehen in den Busch und fangen die Seelen ihrer verstorbenen Kinder ein. Die Mütter und Geschwister tragen diese beseelten Puppen oft mit sich; in vielen Orten gibt es einen Zwillingsaltar für die toten Kinder. Bedroht wird diese religiöse Praxis – so Henning Christoph – von christlichen Missionaren wie zum Beispiel dem Deutschen Reinhard Bonnke, der vor Zigtausenden seine Predigten hält.
"Er fordert die Frauen auf, ihre Fetische loszuwerden. Da ist Feuer in der Tonne und man wirft sie darein. (...) Sie können sich vorstellen, was mit den Frauen geschieht, wenn die wieder in die Dörfer kommen. Die sind psychisch so krank, es ist so, als wenn sie ihr eigenes Kind verbrannt haben. Das ist ein ganz trauriges Kapitel. Er lässt zurück einen Riesenhaufen von psychisch kranken Menschen, Frauen. Ich habe schon erlebt Frauen, die verstoßen wurden aus ihren Dörfern, weil sie Puppe verbrannt hatten."
In dem Essener Museum kann man u.a. giftige Zaubertränke, skurrile Fetische, angsteinflößende Trachten und auch einen Altar der Göttin Mami Wata bewundern. Ein Altar, der von im Ruhrgeiet lebenden Afrikanern sogar genutzt wird:
"Einer, der auch heute Morgen hier war, ein Student aus Benin, der kommt jeden Samstagmorgen hier her und zieht seine Lottozahlen, in dieser Kalebasse, mit Kaurimuscheln drin, da sind Zahlen drauf, er bringt ein kleines Opfer, was er sich grad leisten kann, zieht die Lottozahlen, der macht das seit eineinhalb Jahren und der gewinnt fast jede Woche zwischen 30 und 50 Euro."
Nur wer an Voodoo glaubt, gewinnt. Henning Christoph hat das mit den Lottozahlen auch versucht – vergeblich.