Vor 100 Jahren

Die erste Jazzschallplatte veröffentlicht

Schallplatten
Wenige Monate nach ihrem Plattendebüt wurde die Original Dixieland Jazz Band - von unzähligen Musikern in Amerika imitiert. © dpa / picture-alliance / Karl-Josef Hildenbrand
Von Karl Lippegaus |
Der Jazz verdankt seinen Siegeszug rund um die Welt nicht zuletzt der Schallplatte. Im Februar 1917 spielte die Original Dixieland Jazz Band in New York die ersten Jazzaufnahmen ein, die am 7. März als Platte veröffentlicht wurden.
In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts führte der Trompeter Buddy Bolden in New Orleans die erste Band an, die als Jazzgruppe identifiziert wurde. Doch leider existiert keine Schallplatte von ihnen und von Mr. Bolden nur ein einzige Fotografie.
"Jazz stand von Anfang an für Freiheit des Ausdrucks. Vermischte sich mit allem, borgte sich alles Mögliche und setzte seinen Weg alleine fort."
Schreibt der Jazzchronist Gary Giddins aus New York. Die entscheidenden Dinge in seiner Frühzeit passierten zwischen 1923 und 1927 durch afroamerikanische Künstler, die heute legendären Ruf besitzen: Bessie Smith und Louis Armstrong, Jelly Roll Morton und Duke Ellington.
Nur wenige Weiße hatten anfangs einen geringen Anteil daran wie etwa Bix Beiderbecke. Und die muntere junge Truppe, die eher zufällig die erste Jazzplatte überhaupt aufnahm.

Das erste Genie des Jazz war Louis Armstrong

Die beiden ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts sind, was den Jazz betrifft, von Dunkelheit umhüllt. Die, um ihren Unterhaltungswert zu steigern, mit angebrannten Flaschenkorken geschwärzten Gesichter sogenannter Minstrel-Sänger lassen einen leicht erschaudern.
Al Jolson, später berühmt durch den ersten Tonfilm "The Jazz Singer" sowie der ungemein witzige Bert Williams - sie waren die Genies unter den Minstrels. Und diese Entertainer wurden Wegbereiter für den Jazz. Ein Jahr vor Caruso bekam Bert Williams schon einen Plattenvertrag bei Victor Records.
1914 hatte W.C. Handy den "St. Louis Blues" geschrieben, den meist aufgenommenen Song in Amerika zwischen den beiden Weltkriegen. Ein Jahr zuvor war Irving Berlin schon nach Europa gekommen und fälschlich als "König des Ragtime" angepriesen worden; dessen wahrer Pionier war ein farbiger Komponist namens Scott Joplin.
Das erste Genie des Jazz war Louis Armstrong, das Produkt einer 30-jährigen Entwicklung, die in New Orleans stattgefunden hatte. Doch erst nach Schließung des Rotlichtviertels Storyville 1917, als die Prostitution dort verboten wurde, drangen die neuen Töne Richtung Norden. Eine weiße Band der Stadt – die Original Dixieland Jazz Band, um die es hier geht – reiste nach New York, ging ins Studio und machte durch die erste Schallplatte im Jazz das bekannt, was Buddy Bolden, Louis Armstrong und einige andere entwickelt hatten. Es wurde in Chicago und New York als Sensation gefeiert; eigentlich war es ein Surrogat wie der Ersatz für den echten Zucker im Kaffee.
Den Riesenerfolg heimste die weiße Band mit ihrer Platte ein, die am 7. März 1917 auf den Markt kam. Eine Seite enthielt den "Livery Stable Blues", den wir eingangs hörten, die andere hieß "Dixie Jass Band One Step". (Das Doppel-Ess im Gruppennamen ersetzte die Band durch ein Doppel-Zz, nachdem ein Schmierfink das "J" im Namen weggekritzelt hatte – um die Anspielung auf "Ass"=Arsch zu vermeiden.)
Louis Armstrong erinnerte sich noch als alter Mann gerne daran, wie er als Teenager seinen ersten Plattenspieler gekauft hatte – eine Victrola zum Ankurbeln.

Armstrong stand auf die Band

"Die meisten meiner Platten waren von der Original Dixieland Jazz Band. Ich hatte auch was von Caruso und Galli-Curci, das waren so meine Favoriten."
Um 1912 war das Wort "Jazz" zum ersten Mal gedruckt aufgetaucht. Primitiv, aber als Jazz erkennbar, ertönt die frech-fröhliche Musik auf der hundert Jahre alten Scheibe, gespielt mit Klarinette, Kornett und Posaune. Die Schwarzweiß-Klischees treffen es nicht: Louis Armstrong stand wirklich auf diese Truppe und meinte noch Jahre später über ihren "Tiger Rag" von 1918:
"Oh, was für eine Band die hatten! Unter uns gesagt: das ist doch immer noch das Beste!"
Praktisch von Anfang an lernten Jazzmusiker wie Satchmo von Schallplatten. Wenige Monate nach ihrem Plattendebüt wurde die Original Dixieland Jazz Band - von unzähligen Musikern in Amerika imitiert, die noch nie von der Basin Street, dem Epizentrum des New Orleans-Jazz gehört hatten. 1917 nahmen sie auch den Titel "Indiana" auf, den Armstrong selbst 24 Jahre später ebenfalls einspielte. Das Genie des frühen Jazz hatte die ursprüngliche Inspiration nie vergessen.
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