Der Widerstandskämpfer Willi Graf
Tief verwurzelt im katholischen Glauben, angewidert vom mörderischen Vernichtungswillen Hitlers und seiner Anhänger und schockiert durch die Verbrechen, die er als Sanitätssoldat an der Ostfront miterleben musste, entschloss sich Willi Graf zum aktiven Widerstand im Kreis der „Weißen Rose“.
"Du weißt, dass ich nicht leichtsinnig gehandelt, sondern aus tiefster Sorge und in dem Bewusstsein der ernsten Lage gehandelt habe. Du mögest dafür sorgen, dass dieses Andenken in der Familie, den Verwandten und bei den Freunden lebendig und bewusst bleibt. Für uns ist der Tod nicht das Ende, sondern der Anfang wahren Lebens, und ich sterbe im Vertrauen auf Gottes Willen und Fürsorge. Vieles möchte ich Dir noch sagen, aber es ist ja so schwer, in letzter Minute davon zu sprechen."
Willi Graf diktierte diese letzten, an seine Schwester Anneliese gerichteten Sätze dem Gefängnisgeistlichen am 12. Oktober 1943. Entstanden war eine Art Vermächtnis kurz vor der Ermordung Willi Grafs durch das Fallbeil im Gefängnis München-Stadelheim.
Noch neun Monate zuvor, kurz nach seinem 25. Geburtstag am 2. Januar 1943, hatte Graf in seinem Tagebuch vermerkt:
Der "richtige Weg"
"Ob es der richtige Weg ist? Manchmal glaube ich es sicher, manchmal zweifle ich daran, aber trotzdem nehme ich es auf mich, wenn es auch noch so beschwerlich ist."
Der "richtige Weg" – das war für Graf der Weg des entschlossenen Widerstandes. Ihn charakterisierte der Schriftsteller Ludwig Harig in seinem Erinnerungsbuch "Und wenn sie nicht gestorben sind" ganz treffsicher so, wie er es bei einer Lesung im Dezember 1997 vortrug:
"Er, Willi Graf, 25-jährig, abgestoßen vom Vernichtungswahn des Antichristen, ernüchtert vom Grauen des Feldzugs in Russland, entschloss sich zum Widerstand und tat seine Arbeit. Diese Arbeit war ein Widerstand besonderer Art. Aus Willi Grafs Briefen und Tagebüchern geht hervor, dass es kein parteipolitischer, kein analytisch vorbereiteter, kein rational geplanter, strategisch durchgeführter Widerstand war, sondern ein Widerstand aus dem Herzen heraus. Seine Frömmigkeit als praktizierender Katholik gab ihm die Kraft."
Die tiefe Frömmigkeit war schon dem jugendlichen Willi Graf eigen. Am 2. Januar 1918 wurde er in eine katholisch-gläubige Familie hineingeboren. Gemeinsam mit seinen beiden Schwestern wuchs Graf in Saarbrücken auf. Als Gymnasiast schloss er sich dem katholischen "Bund Neudeutschland" an und trat bald auch dem katholischen "Jugendbund des Grauen Ordens" bei. Der gehörte der bündischen Jugendbewegung an, durchaus nationalkonservativ, aber auch, jedenfalls zu Teilen, resistent gegen alle nationalsozialistischen Verlockungen.
Nach dem Abitur, dem Reichsarbeitsdienst und der Aufnahme des Medizinstudiums erfolgte 1940 seine Einberufung als Sanitäter. Vor allem an der Ostfront wurde er Zeuge von Geschehnissen, die seinen Entschluss zum Widerstand beförderten. In einem Brief vom 1. Februar 1942 heißt es:
"Ich wünschte, ich hätte das nicht sehen müssen, was sich in meiner Umgebung zugetragen hat und mich aufs tiefste trifft. Ich kann Dir das alles gar nicht im Einzelnen schildern. Der Krieg, gerade hier im Osten, führt mich an Dinge, die so schrecklich sind, dass ich sie nie für möglich gehalten hätte."
Freundschaften mit Hans Scholl und Alexander Schmorell
Kurz darauf, im April 1942, war für Graf die so genannte "Front-Famulatur" als angehender Mediziner beendet, und er wurde nach München versetzt, um sein Studium fortzuführen. Seine Freundschaften mit Hans Scholl und Alexander Schmorell halfen, ihn an die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" heranzuführen. Unmittelbar nach der Verhaftung von Hans und Sophie Scholl erschien am 18. Februar 1943 die Gestapo auch bei Willi Graf und seiner jüngeren Schwester Anneliese. Am 19. April schon verurteilte der so genannte Volksgerichtshof ihn zum Tode. Nun begann das eigentliche Widerstands-Martyrium des Willi Graf. Um weitere Namen aus ihm herauszupressen, wurde die Hinrichtung immer wieder verschoben. Seine Schwester Mathilde erinnerte sich Anfang 1981:
"Er hat doch sehr lange mit dem Gedanken, dass er sterben muss doch leben müssen, und nie in seinen Briefen oder auch in seinen Gesprächen, wenn wir ihn besuchten, da irgendwie darüber verzweifelt war. Ganz im Gegenteil – und das bewundere ich. Diese Stärke an ihm bewundere ich."
Acht lange, zermürbende Monate musste Willi Graf in Isolationshaft aushalten, unterbrochen von wenigen Besuchen, zermürbt von seiner Angst, gequält durch penetrante Verhöre und Folter, aber beseelt von nicht erlahmendem Widerstandsgeist. Er hat am Ende niemanden verraten. Erst nach dem Krieg gelang es Verwandten, die sterblichen Überreste Willi Grafs nach Saarbrücken zu überführen und auf dem Alten Friedhof St. Johann zu bestatten.