Vor 100 Jahren geboren

Geiger Yehudi Menuhin rührte Einstein zu Tränen

Yehudi Menuhin spielt Violine.
Eine alte Foto-Aufnahme von Yehudi Menuhin. © Imago / United Archives International
Von Wolfgang Schreiber |
Schon als Kind galt er als Sensation: der Geiger Yehudi Menuhin. Später wurde er auch als Kammermusiker und Dirigent gefeiert sowie als Schriftsteller und Humanist. Vor 100 Jahren wurde Yehudi Menuhin in New York geboren.
Das Wunderkind spielt Paganini - aufgenommen 1930 in London. Yehudi Menuhin, ein etwas pummeliger Knabe, wird als Sensation gefeiert. Gottlob war das Marketing in den Goldenen 20ern noch wenig aggressiv. Kurz vor dieser Aufnahme debütierte der 13-Jährige in der Berliner Philharmonie mit Bach, Beethoven und Brahms. Albert Einstein umarmte ihn mit Tränen in den Augen, die Welt staunte. Gut, dass Menuhins Familie den Jungen behütete.
Was sind die Antriebskräfte von Yehudi Menuhins so frühem Künstlertum? Erst der reif Gewordene kennt später die Antwort:
"Erstens ein sehr tiefes Empfinden von all dem, was Freude und Leid und tiefes, erschütterndes Lebensgefühl ist, das überhaupt. Und zweitens, ich glaube eine Aufrichtigkeit im Gefühl und im Denken. Es waren keine zwei Seiten zum Leben, es war nur ein Leben. Es war ganz natürlich, dass ich das sage, was ich denke, und dass ich das denke, was ich sage."

Schon mit vier spielte Yehudi Menuhin auf der Kindergeige

Menuhin wurde am 22. April 1916 in New York geboren, als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer. Die glückliche Kindheit verbrachte er in Kalifornien. Schon mit vier spielte er auf der Kindergeige. Mit sieben debütierte der Junge in San Francisco, mit seinem Lehrer Louis Persinger am Klavier. Einschneidend wurden die Lehrjahre bei dem rumänischen Geiger und Komponisten George Enescu, davor bei dem großen deutschen Geiger Adolf Busch in Basel. Es folgten schrittweise die Konzertauftritte in allen fünf Erdteilen – leider unter wachsendem Leistungsdruck. Menuhin war, nach heutigem Sprachgebrauch, der "Star-Geiger" der ersten Jahrhunderthälfte. In seinem Buch "Große Geiger" hat Harald Eggebrecht Yehudi Menuhin eine schwierige Sonderrolle zugedacht.
"Unter den Violinriesen des 20. Jahrhunderts ist er der Verletzliche, Empfindliche, Erregbare, Seismographische, sogar Hysterische. In seinen großen Augenblicken vermochte er zu erschüttern, weil er selbst so erschütterbar war."

Yehudi Menuhin wurde "ein Menschheitslehrer" genannt

"Eine humanistische Instanz", wird Menuhin genannt, "ein Menschheitslehrer". Nach den Wunderkindjahren hatte Menuhin die intuitive Macht des Musizierens allerdings eingebüßt. Nun trat er ans Dirigentenpult, spielte aber weiter Geige in Konzertsälen – und zeigte sich großherzig. Er musizierte für die Schwarzafrikaner während der Apartheid in Südafrika, in der Sowjetunion für den verfolgten Dichter Solschenizyn. Vor allem: nach dem Weltkrieg trat Menuhin als erster jüdischer Musiker wieder in Deutschland auf. Er gründete Schulen, Festivals, Wettbewerbe, Stiftungen für Nachwuchsmusiker. Er schrieb Bücher, wurde Yoga-Schüler. Und ging nach Indien, um mit dem Sitar-Virtuosen Ravi Shankar die Klangstrukturen der Ragas zu erforschen. "West meets East"- so hieß Menuhins kosmopolitisches Credo.
Yehudi Menuhin hat in seinem Leben zahllose Preise und Ehrungen erhalten. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels war wohl die schönste aller Auszeichnungen. Sein Leitmotiv: Versöhnung durch die Musik von Bach und Mozart, Beethoven und Brahms.
"Was mich betrifft, so war mir das ungeheuere Glück zuteil geworden, mit ihr, der deutschen Musik, mein ganzes Leben lang zu leben. Deshalb war das entwürdigende Geschehen des Nationalsozialismus für mich totaler Verrat."
Yehudi Menuhin starb in Berlin während einer Deutschlandtournee am 12. März 1999.
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