Der König der Kaffeehausliteraten
Kaffeehausliteraten gab es viele, aber Peter Altenberg war ihr König. Umgeben von den Größen des Wiener Künstlerlebens residierte er im Café Central. Heute erinnert dort ein Pappmaschee-Denkmal an den Dichter und stadtbekannten Sonderling.
"Ohne seine Überschätzung glauben die Frauen nicht leben zu können, so weinen sie. Seine Freunde, die Männer, weinen nicht, aber sie sehen so fahl aus, als sei alle Farbe, alle Buntheit aus ihrem Leben gewichen. Wie wollen sie weiterleben ohne seine Ekstasen, seine Leidenschaften, seine Lächerlichkeiten? Sie fühlen, dass nicht nur die letzte, dass die wertvollste Spezialität Wiens weg ist."
Die berühmte Reformpädagogin Genia Schwarzwald: Nur eine Stimme im Trauerchor der vielen, deren Namen heute für das Wiener fin de siècle stehen. Der Tod von Peter Altenberg am 8. Januar 1919 schien das Ende dieser Aufbruchsepoche zu besiegeln.
Was sollte jetzt aus dem Café Central werden, das er quasi bewohnte? Und nicht nur den Kaffeehausgängern würde er fehlen, auch den Stubenmädchen im Grabenhotel, den Marktfrauen, den Kutschern. Und der Prostituierten Fini:
"Und nun werde ich die liebe gute Stimme, die doch nur so wenige gekannt nie mehr hören, ich verliere damit sehr sehr viel den ich bin arm und mit mir war noch nie jemand so lieb und gut."
Ausbruch aus der Bürgerlichkeit
Peter Altenberg, Sonderling, Frauenversteher, Diätapostel, bekennender Schnorrer, der ein Vermögen hinterließ, Vergötterer allzu junger Mädchen - was damals keinen störte -, Hypochonder, Jude und Antisemit, Ansichtskartensammler, wütender Sozialkritiker. Sein Grabredner, der Architekt Adolf Loos, konnte ihn nur als lebenden Widerspruch charakterisieren.
Schon zu Lebzeiten war Altenberg hingebungsvoll besprochen, beschrieben, interpretiert worden. Der Kabarettist Willi Schaeffers, der noch sein Zeitgenosse war, erinnerte sich später:
"Wenn der gute Friedell und Dutzende anderer Dichter und Freunde über dein Leben erzählten, das stellte dich so lebendig vor mich hin, als ob wir uns täglich im Cafe Grünsteidl oder im Hotel am Graben gesehen hätten."
"Wie schreibe ich denn? Ganz frei, ganz ohne Bedenken"
Altenberg, Sohn einer reichen Kaufmannsfamilie, hatte sämtliche Zumutungen eines bürgerlichen Lebenslaufs so erfolgreich abgewehrt, dass ein Arzt ihm in jungen Jahren offiziell Lebensunfähigkeit attestierte. Im Kreis der Bohème konnte er sich neu erfinden. Aus Richard Engländer wurde Peter Altenberg. Jeder kannte ihn; auch der Journalist Raoul Auernheimer:
"Er ging nacktfüßig auf Sandalen einher, im Winter in einem flatternden Havelock, im Sommer in einem Radfahrerdress, mit sportmäßig geknüpfter Krawatte. Die Kappe war tief in die Stirn gedrückt, der grimmige Schnauzbart hing wüst herunter. Man sah dem Manne, der sich so trug, an, dass er aus seiner Erscheinung ein Programm machte."
Diese Erscheinung verknüpfte sich mit dem Schreiben des beschäftigungslosen Flaneurs: kleine bis kleinste Prosa. Erlebtes, Beobachtetes, Gefühltes, am Nebentisch Gehörtes. So zeittypisch wie speziell.
"Mein sogenanntes Talent reicht nur für Schmucknotizen aus", erklärte Peter Altenberg einem Redakteur, der ihn als Feuilletonisten buchen wollte. Doch die geschliffene Perfektion der kleinen Form, die seine Kollegen berühmt machte, war nicht seine Sache.
"Wie schreibe ich denn? Ganz frei, ganz ohne Bedenken."
Bedenkenlos hingeworfen, mit aufgeregten Satzzeichen übersät - aber oft treffend und verzaubernd atmosphärisch.
"Grammophonplatte. Deutsche Grammophonaktiengesellschaft. CC2-42 531. Die Forelle von Schubert. In Musik umgesetztes Gebirgswässerlein, kristallklar zwischen Felsen und Fichten murmelnd. Die Forelle, ein entzückendes Raubtier, hellgrau, rot punktiert, auf Beute lauernd, stehend, fließend, vorschießend, hinab, hinauf, verschwindend. Anmutige Mordgier!"
Wer glaubt, es ginge Altenberg um eine Forelle oder Schubert, kennt ihn schlecht. So ein poetisches Vorspiel läuft sicher auf anderes hinaus, in diesem Fall auf die Begegnung mit einer Frau, die auf nichts hinausläuft. Mit solchen Erfahrungen kannte der Dichter sich aus.
Früher Tod eines Wiener Originals
"Peter Altenberg, der viele Monate mit einem schweren Nervenleiden gekämpft hat, ist jetzt wieder genesen."
Mit diesen Worten eröffneten 1910 Richard Dehmel, Ludwig Thoma, Hermann Hesse, Alfred Kerr, Max Reinhardt und andere einen Aufruf zur Unterstützung für den Dichter. Es sollte nicht der letzte Sanatoriumsaufenthalt sein, der da bezahlt werden musste. Depression, Alkohol, Wahn und unklare Nervenleiden bestimmten seine letzten Jahre. Den 60. Geburtstag erlebte er nicht mehr.