"Wir sind nichts; was wir suchen ist alles"
Ob Friedrich Hölderlin am Ende seine Lebens wirklich "geistig umnachtet“ war, ist bis heute nicht geklärt. "Wohin denn ich?" lautete die ständige Frage seiner Literatur mit dem Hinweis: "Was mir nicht alles und ewig alles ist, ist mir nichts".
Das Werk eines ihrer berühmtesten und bedeutendsten Schriftsteller "zu bestehen" hätten die Deutschen erst noch vor sich, befand Martin Heidegger und trug gern Gedichte Friedrich Hölderlins vor:
"Heimat An deinen Pfaden, o Erd‘// Hier wo Rosendornen / Und süß Linden duften neben / den Buchen, des Mittags"
Dieser immer besonders klingende Friedrich Hölderlin-Sound war geprägt durch die Weigerung des Autors, in herkömmlicher Weise seiner Mitwelt Nachrichten zukommen zu lassen. Er wollte stattdessen in eruptiven Sätzen mit überraschenden Perspektiven-Wechseln, harten Zeilenbrüchen und gewagten Gedanken-Sprüngen seine von ihm selbst als Explosionen erlebten Blicke auf seine Umgebung unmittelbar ausdrücken. Solche offene Schreibweise hat viel Bewunderung gefunden; zugleich stieß sie immer auch auf großes Unverständnis. Fast als wolle er sich entschuldigen, gab Hölderlin selbst einmal folgende Erklärung:
"Sollten … einige eine solche Sprache zu wenig konventionell finden, so muss ich ihnen gestehen: ich kann nicht anders. An einem schönen Tage lässt sich ja fast jede Sangart hören, und die Natur, wovon es her ist, nimmts auch wieder."
Ein unruhiges Wanderleben
Geboren als Zeitgenosse Goethes, Schillers, Hegels und Schellings 1770 in Lauffen am Neckar und aufgewachsen in Nürtingen, nahm Hölderlin während eines Theologiestudiums am Tübinger Stift sein Lebensthema in den Blick, das Martin Heidegger später in die Worte fasste:
"Was sagt Hölderlins Dichtung? Es sagt von der Flucht der Götter."
Bevor sich Hölderlin mit Eifer auf die Suche begab nach dem geheimnisvollen Ursprung dessen, was man Heimat nennen könnte in einer Welt, aus der sich die Götter verabschiedet haben, wurde er Hauslehrer im thüringischen Waltershausen, später in Frankfurt, wo er 1799 die verheiratete Susette Gontard kennenlernte, und sie der Verführung seiner ungewöhnlichen Person nachgab. Als die Affäre bekannt wurde, hatte Hölderlin zwar längst in seinem Briefroman "Hyperion" Susette als Diotima in eine literarische Figur verwandelt, aber er musste sein unruhiges Wanderleben wieder aufnehmen, von einer Hauslehrer-Stelle zur nächsten. Kurz darauf war die Zeit gekommen, um eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Sein 1804 erstmals gedrucktes Gedicht "Hälfte des Lebens" – eine der schönsten Lesungen stammt von Bruno Ganz – beginnt so:
"Mit gelben Birnen hänget / Und voll mit wilden Rosen / Das Land in den See, / Ihr holden Schwäne, / Und trunken von Küssen / Tunkt ihr das Haupt / Ins heilignüchterne Wasser."
"Mit gelben Birnen hänget / Und voll mit wilden Rosen / Das Land in den See, / Ihr holden Schwäne, / Und trunken von Küssen / Tunkt ihr das Haupt / Ins heilignüchterne Wasser."
Sympathisant der französischen Revolution
Zwar immer auch ein aufmerksamer Beobachter der politischen Zeitläufte, der mit den Zielen der französischen Revolution sympathisierte, fand Hölderlin sich bei seiner poetische Suche nach Heimat, hellem Licht und klarer Gegenwart am Ende allerdings immer nur in dem kleinen Zimmer wieder, das er früh einem Freund beschrieben hatte:
"So sitze ich zwischen meinen dunklen Wänden, und berechne, wie bettelarm ich bin an Herzensfreude, und bewundere meine Resignation."
Nicht nur die großen Projekte wie das Drama "Der Tod des Empedokles" blieben Fragment. Ein Blick auf seine handschriftlichen Manuskriptseiten offenbart seinen Kampf mit der Form selbst bei kleinen Gedichten, als handele es sich um einen nicht beendbaren Arbeitsprozess:
"Ein Zeichen sind wir, deutungslos … Wir sind nichts; was wir suchen ist alles."
"Geistig umnachtet" und "unheilbar"
1806, nach einem psychischen Zusammenbruch, wurde Hölderlin in das Autenriethsche Klinikum in Tübingen eingewiesen und 1807 als "geistig umnachtet" und "unheilbar" entlassen. Die folgenden gut 36 Jahre bis zu seinem Tod am 7. Juni 1843 lebte er im Haus der Tübinger Schreiner-Familie Zimmer und wurde in einem Turmzimmer vor allem von deren Tochter Lotte versorgt. Manchmal schrieb er noch und unterzeichnete mit "Scardanelli". Ob er wirklich an Schizophrenie erkrankt war oder nur ein Masken- und Rollenspiel aufführte, ist bis heute ungeklärt. In seinem Gedicht "Hälfte des Lebens" lautet der Schluss:
"Weh mir, wo nehm’ ich, wenn / Es Winter ist, die Blumen, und wo / Den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde? / Die Mauern stehn / Sprachlos und kalt, im Winde / Klirren die Fahnen.