Als das geklonte Schaf "Dolly" geboren wurde
Zu Lebzeiten galt "Dolly" als berühmteste Bewohnerin Schottlands. Das Schaf war der erste Klon eines Säugetiers, entstanden aus einer Zelle. Die Nachricht von der Geburt Dollys am 5. Juli 1996 erzeugte Hoffnungen auf neue Heilmethoden - und Kritiker warnten.
Timothy King: "Well, they are expecting to be fed, because of the green bucket, so they are excited ...”
In Gummistiefeln betritt Timothy King den Schafstall des Roslin-Institutes - ein landwirtschaftliches Forschungszentrum in der Nähe von Edinburgh in Schottland. In der Hand hält der Tierarzt einen grünen Futtereimer.
Das Gebäude besitzt eine Alarmanlage und vor der Tür patrouilliert ein privater Wachdienst. Denn einige der Schafe, die hier leben, sind wertvolle Klone. Dolly ist als erstes geklontes Säugetier der Welt das bekannteste von allen. Das Schaf steht mit zwei kleinen Lämmern vor dem Stall und läuft freundlich blökend auf jeden Besucher zu.
Entstanden war Dolly 1996 als genetische Kopie eines bereits geschlachteten Tieres. Ihr Erbmaterial stammte aus einer Euterzelle vom Schlachthof. Den Zellkern dieser Körperzelle haben Wissenschaftler in eine Eizelle verpflanzt. Deren Erbgut hatten sie zuvor entfernt.
Bill Richie ist Dollys Vater - irgendwie
So entstand ohne biologische Befruchtung im Labor ein Embryo mit dem Erbgut des geschlachteten Tieres. Eine Schafsleihmutter trug ihn aus. Und am 5. Juli 1996 kam Klon Dolly zur Welt. Der Embryologe Bill Richie vom Roslin-Institute erinnert sich an die Aufregung, die die Geburt seinerzeit hervorrief und zeigt ein Foto:
"Dolly richtet sich an ihrem Gatter auf und betrachtet die etwa 50 Fotografen. Einer von ihnen hat die Szene von hinten aufgenommen. So war das."
Bill Richie ist gewissermaßen Dollys Vater. An die nervenaufreibende Arbeit im Labor kann er sich auch Jahre später gut erinnern.
"In diesem Labor wurde Dolly geschaffen. Mit diesem Equipment haben wir die Mikromanipulation durchgeführt."
Nachricht um geklontes Schaf ging um die Welt
Der Embryologe blickt durch ein Mikroskop. Mit kleinen Rädchen und einer Art Joystick kann er feinste Instrumente exakt bewegen. So hat er in unzähligen Versuchen Eizellen und Körperzellen zusammengebracht.
"Es ist wie ein Spiel. Man braucht jede Menge Konzentration. So viel kann schief gehen. Ich bin immer wieder überrascht, dass aus einem so winzigen Zellkern, den wir so grob behandeln, ein neues Lebewesen entstehen kann. In diesem Kern steckt die gesamte Information, um ein neues Tier aus altem Erbmaterial zu erschaffen, wenn Sie so wollen."
Einige Monate später ging die Nachricht vom geklonten Schaf um die Welt. Die Titelseiten nahezu aller Tageszeitungen zierte ein Schafskopf. Viele Kritiker äußerten die Befürchtung, dass bald auch Menschen geklont werden könnten. Selbst die Fachwelt reagierte überrascht. Denn in der Wissenschaft galt das Dogma: Eine ausgereifte Körperzelle kann nicht verjüngt werden. Aus ihr kann niemals ein neues Lebewesen entstehen.
Markstein der Wissenschaft
Die Existenz des geklonten Schafes brachte dieses Dogma zum Einsturz, erinnert sich Tierzüchter Heiner Niemann vom Institut für Tierzucht und Tierverhalten in Mariensee bei Hannover.
Heiner Niemann: "Das ist ein Markstein der Wissenschaft. Und ich denke mal, zusammen mit den wenige Jahre später beschriebenen humanen Stammzellen hat das die Biologie in dramatischer Weise verändert."
Sofort entstand die Idee, dass aus geklonten Körperzellen gesunde Gewebe oder gar Organe im Labor heranreifen könnten. Sie könnten die Transplantationsmedizin revolutionieren, hieß es. So entstand der Begriff vom "therapeutischen Klonen". Das bedeutet: Aus Körperzellen eines Patienten und gespendeten Eizellen entsteht im Labor ein Embryo als Quelle für embryonale Stammzellen. 2004 verkündete der Stammzellenforscher Hwang Woo Suk aus Südkorea einen angeblichen Durchbruch.
Vision von geklonten Organen ist ausgeträumt
Hwang Woo Suk: "Wir haben Zellen von Patienten mit unheilbaren Krankheiten entnommen und daraus durch Klonen embryonale Stammzellen gewonnen."
Die Begeisterung war groß, aber nach zwei Jahren stellte sich heraus, dass die Ergebnisse gefälscht waren. Erst zehn Jahre später gelang es tatsächlich, menschliche Zellen zu klonen. Der Traum von geklonten Organen für die Transplantationsmedizin blieb jedoch weiterhin unerfüllt.
Dolly lebte über sechs Jahre im Roslin-Institute in Schottland. Dann musste das Schaf wegen einer schweren Lungenkrankheit eingeschläfert werden. Normalerweise werden Schafe bis zu zwölf Jahre alt. Ob der frühe Tod eine Folge des Klonens war, konnte nicht geklärt werden. Dollys Körper wurde ausgestopft und ist im schottischen Nationalmuseum in Edinburgh zu besichtigen.