Attentat auf EU-Vermittler
Ein neutraler Ausländer sollte das geteilte Mostar wieder zusammenführen und die Kriegsparteien versöhnen: Hans Koschnick, vormals Bürgermeister von Bremen. Doch am 11. September 1994 schlug neben seinem Hotelzimmer eine Bombe ein.
Man kennt die Szenerie aus Kriegsreportagen: Mitternacht ist schon vorbei, und im Restaurant des heruntergekommenen Hotels an der Frontlinie sitzen noch immer ein paar Ausländer herum - internationale Verwalter, UNO-Beamte, Security-Leute.
"Gegen null Uhr fünfzehn gab es dann eine Explosion, begleitet von einem klirrenden Geräusch, das am Anfang nicht zuordenbar war, aber nur wenige Sekunden danach haben wir dann Informationen bekommen, dass auf der Westseite des Hotels Ero eine Granate eingeschlagen hat."
Günther Bergmann hat die Details noch alle im Kopf: Der frühere Beamte der Anti-Terror-Einheit GSG 9 war an jenem 11. September 1994 als Personenschützer im Einsatz. Der Anschlag galt seinem Schützling: Dem deutschen SPD-Politiker Hans Koschnick, der von der Europäischen Union zum Administrator der Stadt Mostar berufen worden war. In Bosnien herrschte noch Krieg; nur in der Herzegowina mit ihrer Hauptstadt Mostar war seit einem halben Jahr ein Separatfrieden in Kraft.
Seine Umgänglichkeit und Kompromissfähigkeit wurde geschätzt
Zuvor war die Stadt mit der berühmten Brücke Schauplatz eines grausamen Stellungskriegs zwischen katholischen Kroaten und muslimischen Bosniaken gewesen. Von allen Städten in Bosnien-Herzegowina wurde sie am schlimmsten zerstört. Ausgerechnet hier nun wurde ein Muster erprobt, das später auf das ganze Land Anwendung finden würde: Ein neutraler Ausländer sollte die geteilte Stadt wieder zusammenführen und die Kriegsparteien versöhnen.
Hans Koschnick, damals schon 65 Jahre alt, verfügte als langjähriger Bürgermeister von Bremen über maximale Erfahrung in der Verwaltung einer Stadt, war für seine Umgänglichkeit und Kompromissfähigkeit bei allen Parteien geschätzt und - er war ein Deutscher: Damit durfte der fremde Administrator vor allem bei den Kroaten auf einen gewissen Sympathievorschuss rechnen.
Nach dem Attentat, das Koschnick persönlich galt und das Hotelzimmer neben seinem zerstörte, brach sofort eine Debatte über die Sicherheit der Ausländer aus.
"Fakt ist aber, dass Herr Koschnick keine Minute überlegt hat, seine Mission abzubrechen und zurückzureisen, sondern er hat sofort gesagt, er macht weiter.
Auch für die Personenschützer war das eine Herausforderung."
Auch für die Personenschützer war das eine Herausforderung."
"Das hat uns in einem Gespräch Herr Koschnick unmissverständlich gesagt: Ich kann mich nicht verstecken, ich muss raus, und es wird vermutlich Situationen geben, die durchaus die Gefahr beinhalten, dass unsere Gesundheit Schaden nimmt."
Granate kam aus dem kroatischen Teil der Stadt
Bei allem Mut scheiterte Koschnick schließlich an einem Dilemma, an dem auch alle internationalen Verwalter in Bosnien nach ihm verzweifelten: Eine neutrale Vermittlerposition ist unmöglich, wenn von drei Kriegsparteien zwei, Serben und Kroaten nämlich, aus dem gemeinsamen Staat ausbrechen und nur die dritte, die zahlenmäßig größte bosniakische, ihn erhalten will. Wer in dieser Lage für Versöhnung eintrat, stand automatisch auf der Seite der Bosniaken. Koschnicks Mission, die auf die Zusammenführung der geteilten Stadt ausgelegt war, hatte die kroatische Seite von Anfang an zum Gegner. Die Granate, die Koschnick hätte treffen sollen, kam tatsächlich aus dem kroatischen Teil der Stadt.
Es gab auch einen Anlass. Für den übernächsten Tag nach dem Attentat hatte Koschnick die feierliche Einweihung einer neuen Behelfsbrücke angesetzt, der ersten Straßenverbindung zwischen dem kroatischen Westen und dem bosniakischen Osten. Die Einweihung fand trotz des Attentats statt: Ein Band wurde zerschnitten, Reden wurden gehalten. Günther Bergmann erinnert sich:
"Nach diesem Einweihungsgespräch haben wir dann noch die Brücke überfahren und dann in Ost-Mostar eine Kleinigkeit gegessen, sind dann wieder zurückgefahren, und in diesem Moment habe ich gemerkt, dass von Herrn Koschnick auch einmal die Anspannung abfallen konnte. Also, dann war er wirklich gelöst und hat gesagt: Jungs, das haben wir gut gemacht! Wir haben's überstanden."
Anderthalb Jahre später kam Koschnick in Mostar wieder in eine bedrohliche Situation: Eine aufgebrachte Menschenmenge blockierte sein Auto und drohte, ihn aus dem Wagen zu zerren. Nun entschied der damalige deutsche Außenminister Klaus Kinkel, Koschnicks Mission zu beenden. Erst ein volles Jahrzehnt später bekam Mostar endlich ein von allen Seiten respektiertes gemeinsames Statut, das die getrennten Stadtverwaltungen oberflächlich wieder zusammenführte. Politisch und gesellschaftlich ist Mostar bis auf den heutigen Tag eine geteilte Stadt.