Hören Sie hier auch das "Studio 9"-Gespräch mit dem Mobilitätsforscher Andreas Knie, der davon ausgeht, dass wir zukünftig Fahrräder leihen, statt sie zu besitzen.
"Auch eine sinnvolle Nutzung des Rades wäre von Vorteil. Und da ist das Leihrad natürlich ideal, weil es genutzt werden kann, wann immer man es braucht, und wenn man zum Beispiel mal umsteigen will in die Bahnen, U-Bahnen oder S-Bahnen, dann ist es von Vorteil, nicht das Rad mitnehmen zu müssen, sondern dort, wo man dann aussteigt, einfach wieder ein nächstes Rad nimmt. Dann hätten alle mehr Platz."
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Als Herr von Drais das Rad neu erfand
Zwei gleich große Räder hintereinander, ein Lenkhebel, ein Sattel: Am 12. Juni 1817 präsentierte Karl von Drais der Öffentlichkeit seine erste Laufmaschine und damit den Vorläufer des Fahrrads. Die Erfindung eroberte die Welt - ihr Erfinder starb trotzdem arm.
Hans-Erhard Lessing: "Drais hat bei der ersten in der Presse beschriebenen Fahrt von Mannheim zu dem Relaishaus auf der halben Strecke nach Schwetzingen und zurück, hat er einen Schnitt von 14 km/h erreicht, das ist für einen Hollandradfahrer mit Luftreifen und Kugellagern heute auch noch ein sehr ansehnlicher Schnitt; also es muss ein rasantes Vorwärtsgrätschen gewesen sein."
Zwei gleich große Räder hintereinander, ein Lenkhebel, ein Sattel, der wie ein Kutschbock aussieht. Die Laufmaschine, auf der Karl von Drais am 12. Juni 1817 den ersten Ausflug unternahm, war wirklich eine Laufmaschine. Die Bewegung erfolgte ohne Pedale, durch Abstoßen mit den Füßen. Kann man da nicht gleich zu Fuß gehen?
"Wir können der von Draisischen Fahrmaschine gar keinen wesentlichen Zweck beilegen, weil jedermann, der Füße hat, dieselben für seine Ortsveränderung weit besser auf eine natürliche Art gebrauchen kann."
Diesen zeitgenössischen Gutachter kann der Mannheimer Physiker Hans-Erhard Lessing heute leicht widerlegen:
"Er sagte natürlich, das ist ja Quatsch, da kommt ja noch zum Körpergewicht das Gewicht der Fahrmaschine dazu, aber wenn man erst mal seine Reisegeschwindigkeit erreicht hat, spielt dann das Gewicht der Laufmaschine bis auf einen winzigen Prozentsatz keine Rolle mehr."
Umtriebiger und bastelfreudiger Charakter
Ein Tretroller mit Sitz - das skurrile Bild, das die Laufmaschine für die Nachwelt abgab, war immer auch auf ihren Erfinder gemünzt. Denn Karl von Drais zu Sauerbronn lebte das Musterbeispiel eines unglücklichen Erfinderschicksals.
Der 1785 geborene Freiherr war einer der umtriebigen, bastelfreudigen Charaktere, wie sie der Fortschritt besonders gern im Badischen, im Schwarzwald hervorbrachte. In seinem Beruf fiel er nicht weiter auf, schon deshalb, weil er ihn nicht ausübte. Vom Großherzogtum Baden bekam er ein Forstmeister-Gehalt, allerdings ohne Forstmeisterei dazu, so hatte er viel Zeit.
Drais' nie rastender Erfindergeist versuchte sich an Schnellschreibmethoden, Schießmaschinen, holzsparenden Öfen, mathematischen Problemlösungen - was alles gerade so in der bewegten Luft des technischen Zeitalters lag. Erfolg brachte ihm erst die Laufmaschine - die funktionierte. Wenn auch manchmal zu gut.
Die Restauratorin Zita Breu, die eine Fahrrad-Ausstellung am Wiener Technischen Museum kuratierte:
"Also, bei der englischen Post hat man dann auch bald schon solche Laufmaschinen, Laufräder angeschafft, wurde aber dann bald wieder abgesetzt, wegen zu exorbitanten Verschleißes von Schuhwerk!"
Patentrechte wurden nicht immer beachtet
Mit Schaufahrten im In- und Ausland, sogar in Paris, warb Drais für seine Draisine, wie das Gerät jetzt hieß. Überall begannen Tüftler, an schnelleren, praktischeren, schnittigeren Versionen zu basteln - aber nicht überall wurden da Patentrechte beachtet.
"In verschiedensten Ländern, wo er eben nicht patentieren konnte, haben immer wieder irgendwelche Bauern das nachgebaut, deswegen ist er ja dann auch arm gestorben."
"Jeden, der ihm Gehör schenkt, belästigt er mit seinem langweiligen und einfältigen Geschwätze, verfaßt in diesem Sinne Zeitungsartikel, wird von den Gassenjungen verspottet und ist männiglich durch sein häufiges Erscheinen auf den Straßen in auffallendem, verwahrlosten Aufzuge wohlbekannt."
So erlebte ihn ein Karlsruher Bürger. Ja, Karl von Drais beendete sein Leben als stadtbekannter Sonderling. Man verzieh ihm womöglich seine Sympathie, vielleicht nur Marotte, für die demokratischen Bestrebungen der 48er-Revolution nicht, weder im Adel noch beim Bürgertum war er zuhause.
Aber war er nicht tatsächlich eines von den Halbgenies, die ihre zündenden Ideen nicht zuende denken können? Warum denn erfand er nur die Laufmaschine und nicht - das Fahrrad?
"Auf zwei Rädern zu balancieren mit den Füßen, vom Boden weg, konnte sich damals niemand auf der ganzen Welt vorstellen, und es hat 50 Jahre gedauert, und zwischendurch musste der Rollschuh erfunden werden, um den Leuten das Gefühl zu geben, hei, wir könnten eigentlich auch die Füße auf Kurbeln setzen und da weitertreten."
Von der vierrädrigen Konkurrenz überrundet
Zweifellos ermöglichte erst Karl von Drais' großer Gedankenschritt die Fortentwicklung zum Fahrrad, das Ende des 19. Jahrhunderts immer populärer wurde. Aber schon wuchs die vierrädrige Konkurrenz heran, die ein paar Jahrzehnte später das umweltfreundlichste und gesündeste Verkehrsmittel glatt überrundete.
Im Dauerstau des späten 20. Jahrhunderts widerlegte sich allerdings das Ideal der verkehrsgerechten, also: autogerechten Stadt selbst. Seither muss mit viel Mühe wieder Platz erobert werden für die, die auf zwei Rädern oder zwei Beinen unterwegs sind.
Tipp: In Karl von Drais' Heimatstadt Mannheim präsentiert das dortige Technoseum eine Ausstellung zum Thema 200 Jahre Fahrrad.