Vor 200 Jahren kam er und ist noch immer da

Von Adama Ulrich |
Im September 1808 kam der Dichter, Musiker und Maler E.T.A. Hoffmann nach Süddeutschland. In Bamberg sollte er als Kappellmeister arbeiten, wurde jedoch schon nach sechs Wochen degradiert. In den folgenden "Lehr- und Marterjahren", wie Hoffmann sie bezeichnete, flüchtete er sich in eine Fantasiewelt, der seine berühmten Erzählungen entsprangen.
Schühlein: "Bamberg ist ja eine sehr romantische Stadt, im doppelten Sinne, Stadt der Romantiker."

Schemmel: "Hoffmann kam nach Bamberg, hat sich hierher ans Theater als Musikdirektor beworben und hat hier drüben gearbeitet."

Siebenhaar: "E.T.A. Hoffmann ist schon immer eine ganz wichtige künstlerische Persönlichkeit für die Stadt Bamberg gewesen. Es gibt das E.T.A. Hoffmann-Theater, den E.T.A. Hoffmann-Platz, das E.T.A. Hoffmann-Haus, es gibt unendlich viele Hinterlassenschaften literarischer Art auch, die er hier geschrieben hat, die einen Bezug zu Bamberg haben."

Am 1. September 1808 zieht E.T.A. Hoffmann von Berlin nach Bamberg. Drei Monate nach seiner Ankunft schreibt er an seinen Freund aus Kindheitstagen, Theodor Gottlieb von Hippel, einen Brief:

"Komm in das herrliche südliche Deutschland, und du wirst bald die Wunden, die der verderbliche Krieg auch dir geschlagen hat, vergessen. Nur ein fixiertes Unterkommen bei irgendeiner fürstlichen Capelle in hiesiger Gegend kann mich von Bamberg, wo es mir so wohl geht, entfernen!"

Schemmel: "Am Anfang hat er sich sicherlich wohl gefühlt. Das wissen wir aus seinem Tagebuch. Er kam ja hier etwas näher in den Süden, er war ja nie in Italien, und es hat ihm hier - das ganze Leben - sehr behagt."

Bernhard Schemmel ist Vorsitzender der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft. Sie wurde 1938 in Bamberg gegründet. Heute hat sie 435 Mitglieder. Die wollen das künstlerische Erbe ihres Namensträgers wissenschaftlich betreuen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und den Kontakt mit allen Hoffmann-Forschern und -Freunden pflegen. Dazu gehört auch die Herausgabe des E.T.A. Hoffmann Jahrbuchs und die Gestaltung des E.T.A. Hoffmann Hauses, in dem ein kleines Museum untergebracht ist.

Schemmel: "Die Hoffmanns, also er und seine Frau, haben hier in diesem Stockwerk und in dem darüber liegenden gewohnt. Das war wohl mal die Küche. Beim letzten Umbau haben wir das als Undinenraum, als Theaterloge eingerichtet. Seine berühmteste Oper war die Undine."

Schemmel: "Auch hier ist der Raum wieder abgedunkelt, wie unten im Spiegelkabinett. Er ist blau. Blau, die Farbe der Romantik. Die Ausstattung ist nur scheinbar original. Das sind alles Leihgaben auch aus späterer Zeit. Von Hoffmanns Ausstattung ist nichts erhalten."

Hoffmann wird am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren. Seine Eltern taufen ihn auf den Namen Ernst Theodor Wilhelm – ab 1804 nennt er sich in Verehrung Mozarts Amadeus statt Wilhelm – E.T.A. Hoffmann. Schon früh erhält er Musikunterricht. Nach dem Gymnasium studiert er Rechtswissenschaften und arbeitet später in Glogau und Berlin. Ab 1800 geht er als Assessor nach Posen. Hier lernt Hoffmann seine Frau Michalina, genannt Mischa, kennen. Wegen verunglimpfender Karikaturen höherer Persönlichkeiten, wird er in die polnische Provinz strafversetzt. Nach zwei bitteren Jahren der Tristesse und Armut erhält er eine Stelle als Regierungsrat in Warschau. Hoffmann wird hier zum Mitbegründer einer musikalischen Gesellschaft, entwirft Bühnendekorationen und führt zum ersten Mal den Dirigentenstab. 1806 besetzen die Franzosen die Stadt, von den preußischen Beamten fordern sie im Jahr darauf einen Ergebenheitseid, den Hoffmann verweigert. Er muss die Stadt verlassen und zieht nach Berlin. Er versucht Zeichnungen zu verkaufen, bietet Musikverlagen seine Kompositionen an, bewirbt sich an Theatern - alles ohne Erfolg. 1808 dann ein Hoffnungsschimmer. Am Bamberger Theater wird ihm die Stelle eines Kapellmeisters angeboten. Er nimmt sie an.

Lewandowski: "Aber er hatte schlechte Bedingungen vorgefunden. Er wurde als Musikdirektor engagiert aber sechs Wochen später war er das schon nicht mehr, weil der ehemalige Musikdirektor war natürlich degradiert worden und dass passte ihm gar nicht, weil er nicht mehr die erste Geige spielte, sondern einfach nur die Geige."

Rainer Lewandowski ist Intendant des E.T.A. Hoffmann Theaters in Bamberg und bekennender Hoffmannianer.

Lewandowski: "Ich bin sehr froh, dass dieses Theater E.T.A. Hoffmann Theater heißt und nicht einfach Stadttheater Bamberg. Es gibt dadurch eine Verbindung an eine künstlerische Person, die leider kein eigenes Theaterstück geschrieben hat, sondern Erzählungen. Der Vortrag, den ich über Hoffman gerne halte, heißt "Die Fantasie kommt Hoffmann zum Trost". Das ist etwas, dass eben die Kunst für Hoffmann ein existentielles Bedürfnis war. Er ist aus der Realität heraus geflohen und in seine eigene Welt hinein."

Lewandowski: "Mit Fantasie gegen das reale Leben setzt er die Fiktion gegen die Realität. Hier liegt die Quelle seiner sprudelnden Imaginationskraft, die sich bei Hoffmann selten in den frei ersponnenen Raum der Scheinwelten als Fantasy empor hebt, sondern sich aus dem erlebten, beobachteten, recherchierten, geschauten Bodensatz des Lebens nährt und daraus Kraft, Fantasie, neue poetische Welten erzeugt."

Conrad: "Wie hat sich E.T.A. Hoffmann in Bamberg gefühlt? Er sprach von den Lehr- und Marterjahren. Ich würde sagen, unverstanden, vom Theater drangsaliert, gequält, gedemütigt vielleicht, weil, er ist ja als musikalischer Direktor gekommen und war dann Kulissenschieber, Ticketabreißer, profan gesagt."

Christine Conrad ist Kunsthistorikerin und Gästeführerin in Bamberg. Heute leben in der fränkischen Stadt 70.000 Menschen, unter ihnen 10.000 Studenten und etwa 7.500 US-Bürger, die hier stationiert sind. Vor 200 Jahren zählte Bamberg gerade mal 18.000 Einwohner.

Conrad: "Bamberg sah zu Zeiten von E.T.A. Hoffmann gänzlich anders aus als heute. Es war eine Zeit des großen gesellschaftlichen als auch politischen Umbruchs. Bamberg ist von seiner Geschichte ein katholisches Hochstift gewesen. Der Fürstbischof stand an der Spitze. 1803 sind wir bayrisch geworden, im Zuge der napoleonischen Kriege und damit gab es keinen Fürstbischof mehr. Eine gesamte Staatsstruktur, die 800 Jahre bestand, war weggefegt. Und in diese etwas aufgeladene und unsichere Atmosphäre kam nun Ernst Theodor Amadeus Hoffmann nach Bamberg. Bamberg immer noch eine sehr katholische, sehr konservative Stadt mit knapp 60 Brauereien in dieser Zeit, mit ungefähr ebenso vielen Kirchen und einer sehr intensiven Gartenkultur unserer Stadt gewesen."

Das allein war schon eine schwierige Ausgangssituation für den evangelischen Ostpreußen und Weinliebhaber Hoffmann. Umso mehr hat er sich über die Bekanntschaft mit einem anderen Zugereisten gefreut – seinem späteren Verleger, dem Bibliothekar und Weinhändler Kunz.

Conrad: "E.T.A. Hoffmann hat ihn bei einem Spaziergang im Hain kennen gelernt und hat ihn angesprochen mit den schon in Bamberg legendären Worten "Sie sind auch kein Bamberger, wie ich höre.""

Aus dieser Gemeinsamkeit entwickelt sich eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft.

Conrad: "Hoffman war oft hier – nicht nur oben im Leseinstitut, um am Katalog zu arbeiten, sondern viel lieber ging er die steile Wendeltreppe hinunter in die Katakomben, um sich am Weine zu laben, den sie dort des Öfteren genossen haben werden. Wenn sie dann hoch kamen auf unseren Maxplatz, kam ihnen das vor wie der Marcusplatz in Venedig, mit den schimmernden Lichtern und den Leuten, die in Bocksprüngen hier herumtollen würden. So beschreibt er es auch ganz gerne."

Neben dem beruflichen Desaster kommt noch eine private Tragödie hinzu, die E.T.A. Hoffmann die Zeit in Bamberg erschwert.

Conrad: "Die unerfüllte Liebe zu Julia Mark."

Um über die Runden zu kommen, muss Hoffmann Musikunterricht geben. Meist waren die Töchter reicher Eltern, die er unterrichtete, völlig untalentiert und verlangten ihrem Lehrer mehr als Geduld ab. Doch bei Julia Marc ist das ganz anders.

Lewandowski: "Er war bezaubert von ihrer glockengleichen, klaren und hellen Stimme, die er bei einem Fest eines evangelischen Pastors in Bamberg kennen gelernt hatte."

Conrad: "Er hatte ein großes psychisches Problem hier in der Stadt. Er war verliebt in eine 13jährige Gesangsschülerin von ihm. Er selbst war zu dem Zeitpunkt 32. Sie war aber versprochen, an einen Kaufmann aus Hamburg und das hat dann auch geklappt."

Für Hoffmann bricht eine Welt zusammen, als seine geliebte Julia heiratet. Er denkt sogar an einen Doppelselbstmord, wie ihn Kleist mit seiner Freundin 1811 vollzogen hatte. In dem für Julia komponierten Duettino Nr. 4 dichtet er:

"Nie werd ich’s wohl ertragen, dir fern verwaist zu leben
Willst du nicht frei mich geben,
die Fessel lösen mir, drum soll ich seufzend sterben,
und unerhört verschmachten, laß mich nur dies erwerben,
den Tod zur Seite dir."

Auch für Hoffmanns Frau Michalina sind die Bamberger Jahre nicht die glücklichste Zeit ihres Lebens.

Conrad: "Das Leben war ärmlich im Hoffmannhaus - auf zwei dürren Etagen mit seiner Frau zusammen. Das Geld hat nie gereicht."

Und dann kommt noch die unerfüllte Liebe ihres Mannes zu Julia Marc hinzu. Rainer Lewandoski hat versucht, Michalinas Sicht der Dinge in dem Stück "Gemahl Meiniges – Michalina Hoffmann über E.T.A." darzustellen.

Lewandowski: "Das ist eine spannende Angelegenheit, weil Hoffmann auch immer wieder die Blicke auf andere Frauen gelegt hat und es versucht hat – nicht nur mit der Julia, sondern auch mit anderen Damen. Dann war er, wie gesagt, dem Alkohol sehr zugetan. Er hat es gebraucht, um seinen juristischen, bürgerlichen Hintergrund etwas herab zu mindern, um die Vernunft etwas auszuschalten, um der Fantasie freien Lauf zu lassen. Er nannte das "sich montieren". Wenn er sich montiert hat, hat er diesen berühmten Punsch mit Cognac, Arrac und Rum zu sich genommen, den seine Frau vorzüglich in einem Kupferkessel bereitet hat. Das Leben wird aus der Sicht einer Frau erzählt, die eine Polin war, aus Posen stammt."

Ausschnitt aus dem Stück "Gemahl Meiniges - Michalina Hoffmann über E.T.A.": "Gemahl meiniges. Meiniges? Dora, Kora, Minna, Amalie, ... Na gut, das war vor unserer Zeit. Und während unserer Ehe? Ernst Theodor, Gemahl meiniges. Da war diese unsägliche Frau eines höheren Beamten in Berlin. Die, ja die. Die mit der Syphilis. Und dann in Bamberg, Julia Marc. Und diese blutjunge Schauspielerin am Bamberger Theater. Diese Demoiselle Nanett Neuherr, dein Blitzableiter. Gott, wie oft habe ich mit dem Gedanken gespielt, dich zu verlassen. Aber, wo sollte ich hin? Poznan war weit, zu weit."

Dank Michalina bestehen heute gute Kontakte zwischen den Theatern in Posen und Bamberg. Anlässlich des 200jährigen Jubiläums in Bamberg inszeniert Rainer Lewandowski Hoffmanns Oper "Aurora" am Theater in Posen.

Lewandowski: "Ich will versuchen, die Oper plus seine Lebenssituation hier in Bamberg ein bisschen miteinander zu verbinden. So dass man auch begreift, was eigentlich in Hoffmann vorgegangen ist, als er diese Musik komponiert hat. Interessanter Weise läuft das ziemlich parallel mit seinen Erfahrungen, die er im Tagebuch aufgeschrieben hat. Das ist eine sehr spannende Angelegenheit."

Im September, zur Eröffnung des Hoffmann-Jahres, hat "Aurora" dann in Bamberg Premiere. Doch die Inszenierung ist nicht das Einzige, was das Theater plant.

Lewandowski: "Dann kommt die Oper Undine noch mal hier her und das Ballett Copelia, nach der Erzählung "Der Sandmann". Dann machen wir zu Hoffmanns Andenken ein großes Kinderstück zur Weihnachtszeit: "Nussknacker und Mausekönig", mit der Besonderheit, dass wir mit einer ortsansässigen Konditorei zusammenarbeiten, die uns diese Marzipanstadt, diesen Schokobrunnen und diese ganzen Dinge tatsächlich bauen, so dass wir das über Video einspielen können und auf der Bühne auch zeigen und es wird ausgestellt, entweder in der Konditorei im Schaufenster oder bei uns im Theater – diese Zuckerstadt, diese Pralinenstadt, diese Konfektburg. Und am Schluss bekommt jedes Kind die "Nusskrackertuk" auf die Hand, die es entweder essen kann oder ehren kann. Das muss man sehen."

Außerdem wird es E.T.A.-Hoffmann-Lesungen, -Ausstellungen und -Konzertabende geben. Auch an das junge Publikum hat Oliver Will vom Kulturamt der Stadt gedacht.

Will: "Dann haben wir noch den kleinen Exoten in der Programmplanung. Das ist so eine Art junges Kulturfest Hoffmann, wo wir mit dem Medium Film und zeitgenössischem Tanz arbeiten wollen, wo wir mit Nora Gomringer eine Poetin gewonnen haben, die, zusammen mit einem DJ, Hoffmann-Geschichten aufbereiten wird. Wir wollen außerdem einen Schwerpunkt setzen auf einen Hoffmann-Weg, den wir dann auch als Audioguide für die touristische Vermarktung zur Verfügung stellen wollen. So dass der interessierte Gast in Bamberg sich ein Bild davon machen kann, wie hat Hoffmann diese Stadt angetroffen, wie hat er gelebt, wo hat er gelebt."

Braun: "Das wird gebaut sein, wie kleine Features, da kann man von Station zu Station laufen. Was ich dringend vermeiden wollte, war so ein Tourismus-, Museums-, Referatsführer. Das soll es nicht sein. Das Ganze wird eine Audio-PDA-Führung. Man hat ihn im Ohr und die entsprechenden Bilder aus der Zeit werden mitgeliefert."

Der Bamberger Journalist und Schriftsteller Peter Braun wurde von der Stadt beauftragt, den Hoffmann-Weg textlich zu gestalten. Vorarbeit hat er schon mit einer Hoffmann-Biographie, einem Bändchen über Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" und eins über das Märchen "Der goldenen Topf" geleistet.

Braun: "Wenn man als Schriftsteller in Bamberg wohnt, läuft er einem ja ständig über den Weg. Irgendwann fängt man einfach an, sich mit der Figur zu beschäftigen. Es kommt dann noch hinzu, dass es das eine oder andere Moment gibt, wo man sagt, Mensch, das kenne ich auch bei mir. Und dann fängt man an, darüber zu arbeiten und mehr zu lesen."

Obwohl oder gerade weil E.T.A. Hoffmanns Jahre in Bamberg alles andere als glücklich verlaufen sind, ist er hier besonders kreativ gewesen. Er vollendet den "Ritter Gluck", verfasst das Fantasiestück "Don Juan" und "Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza", in dem er sich die Wut über seine unglückliche Liebe zu Julia Marc von der Seele schreibt. In Bamberg erfindet Hoffmann den Kapellmeister Johannes Kreisler, sein Alter Ego, veröffentlicht einige Musikrezensionen und schreibt die Oper Aurora.

Braun: "Bamberg ist so ein Entwicklungsstadium für ihn. Er ist in Bamberg, ich glaube, dass darf man ohne Übertreibung sagen, zu dem Schriftsteller geworden, der er nun mal ist. Seine Leidenszeit, die bringt ihn zu einer Art von Schreiben, die einmalig ist. Es gleitet immer vom Alltag zur Fantasie. Dann schwebt es zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit. Man kann eigentlich nie wirklich ausmachen – und das ist die Kunst dabei - ist der, der das erzählt, eigentlich verrückt, bildet er sich das ein oder passiert es ihm wirklich?"

In Deutschland ist die Hoffmannsche Schauerromantik nicht so gut angekommen, dafür umso mehr in einigen benachbarten Ländern.

Braun: "Bald nach seinem Tod kamen schon die ersten Gesamtausgaben in England und Frankreich heraus. In England ist es so, dass Leute wie Poe ohne E.T.A. Hoffmann überhaupt nicht zu denken sind - Oscar Wilde. In Frankreich Guy de Maupassant. Die benennen Hoffmann als ihr Vorbild. Russland, klar: Gogol, Dostojewski. Die sagen klar, Hoffmann ist ein ganz Großer. In Deutschland ist es so, dass das Urteil eher vernichtend war. Wenn sich die Stadt Mühe gibt, vielleicht schafft sie es ja doch, ihn ein bisschen ins Gedächtnis zu rücken."