Vor 25 Jahren

Bündnis 90 und Grüne schmieden Wahlbündnis

Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und Politikerin Marianne Birthler (Bündnis 90/Die Grünen)
Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und Politikerin Marianne Birthler (Bündnis 90/Die Grünen) © Deutschlandradio / Bettina Straub
Marianne Birthler im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Im Vereinigungssommer 1990 beschlossen auch die Grünen und Bündnis 90, sich zusammenzutun. Am 5. August trafen sich Vertreter beider Parteien in Ost-Berlin zwecks Gründung eines Wahlbündnisses. Marianne Birthler erinnert an die schwierigen Anfänge.
Vor 25 Jahren, am 5. August 1990, beschlossen die westdeutschen Grünen und das ostdeutsche Bündnis 90 die Gründung eines Wahlbündnisses. Mit dem Slogan "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter" zogen sie in den Wahlkampf zur Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 und wurden dafür vom Wähler prompt bestraft: Mit 3,8% der Stimmen im alten Bundesgebiet scheiterten die Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde. Bündnis 90 erreichte in Ostdeutschland sechs Prozent und stellte acht Bundestagsabgeordnete.
Für die West-Grünen sei das natürlich sehr schmerzlich gewesen, sagt Marianne Birthler, Abgeordnete von Bündnis 90 in der letzten DDR-Volkskammer und langjährige Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde. Doch letzten Endes hätte diese Erfahrung dazu beigetragen, dass die später entstehende Gesamtpartei eine realistischere Partei gemacht habe als die Westgrünen.
"Also diese Wahlkampfniederlage 1990 hat meiner Ansicht nach bei den Grünen-West einen Reformprozess eingeleitet und es hat, was diese Abgeordneten aus dem Osten betrifft, ihnen natürlich auch die Chance gegeben, sich ein eigenes Profil zu geben und nicht nur so ein Appendix an einer gesamtdeutschen, großen Fraktion zu sein. Und die Leute, die damals im Bundestag waren – ich erinnere an Werner Schulz, Wolfgang Ullmann, Gerd Poppe – das waren auch politische Schwergewichte. Die haben das Bild von Bündnis 90/Die Grünen auf der Bundesebene doch stark geprägt."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Heute vor 25 Jahren gab es einen Schritt, der in gewisser Weise die Geburtsstunde war für eine Partei, die seither etwas sperrig daherkommt mit ihrem Namen: Bündnis 90/Die Grünen. In Ostberlin kamen am 5. August 1990 diese beiden Teile – also auf der einen Seite Bündnis 90 aus der DDR, auf der anderen Seite die Grünen aus dem Westen – zusammen und sie einigten sich dort auf eine gemeinsame Wahlplattform für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Mit welchem Ziel, das erklärte Antja Vollmer, damals die Fraktionssprecherin der Westgrünen im Bundestag, in einem Interview so.
((Einspieler))
Antje Vollmer am 5. August 1990, die grüne Stimme zu dieser gemeinsamen Wahlplattform. Und wir haben jetzt eine der führenden Stimmen von Bündnis 90 aus jener Zeit zum Gespräch im Deutschlandradio Kultur – Marianne Birthler, Bürgerrechtlerin und ehemals Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde. Guten Morgen, Frau Birthler!
Marianne Birthler: Guten Morgen!
Gemeinsame Themen Demokratie, Umwelt, Emanzipation
Frenzel: Wenn man Antje Vollmer hört, dann klingt das so, als seien damals zwei zusammengekommen, die auf jeden Fall zusammengehören. War das auch Ihr Eindruck?
Birthler: Ja, teilweise stimmte das auch. Erstens hatten wir ganz ähnliche Themen in der Bürgerbewegung: das Thema Demokratie, das Thema Umwelt, das Thema Emanzipation. Allerdings muss ich sagen, dass unser Bild – wenn ich von wir und uns spreche, meine ich immer die Leute aus der früheren Opposition des Bündnis 90 –, wir waren natürlich sehr geprägt von denjenigen, die auch schon in der späten DDR-Zeit mit uns Kontakt aufgenommen haben. Wie sich dann später zeigte, war das durchaus nicht der Mainstream der Grünen, also Leute wie Petra Kelly oder Lukas Beckmann und viele andere, die hatten so unser Bild geprägt und waren, glaube ich, auch ein wichtiges Fundament für den Wunsch, gemeinsame Wege zu gehen. Danach wurde es dann aber noch mal wirklich kompliziert, weil sowohl die Leute im Bündnis 90, als auch die Grünen natürlich sehr heterogen waren.
Frenzel: Es gab ja damals dieses Wahlplakat, das man vielleicht noch in Erinnerung hat: "Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter" – da ist ja so ein bisschen auch diese westgrüne Einstellung und diese Skepsis gegenüber diesem ganzen Einigungsprozess ausgedrückt. Hatten Sie damals den Eindruck – Sie sagten gerade der Mainstream war anders drauf bei den Westgrünen –, dass man da Schwierigkeiten hatte, sich überhaupt auf diese neue Situation einzulassen?
Birthler: Dieses Plakat spiegelt ja letzten Endes auch die öffentlich gewordene Haltung wider, die dazu geführt hat, dass die Westgrünen 1990 aus dem Bundestag geflogen sind. Da waren ja dann nur noch acht Leute aus dem Osten im Bundestag, die für diese politische Strömung standen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, das stimmt schon, die Grünen West sind natürlich damit, dass sie eine Generationenpartei sind immer noch – also eine Partei, die von der Nachkriegsgeneration geprägt wurde – möglicherweise noch weniger gesamtdeutsch orientiert gewesen als andere Parteien, die waren ja viel stärker westeuropäisch sozialisiert, und nur für wenige von ihnen waren wir – also Leute im Osten Deutschlands, aber auch in Osteuropa – tatsächlich verbündet. Ganz zu schweigen von dem Größenverhältnis, also es gab ja zehn Mal so viele Westgrüne als Bürgerbewegte im Bündnis 90, das hat natürlich auch die Gewichte beeinflusst.
Strittig: das Verhältnis zur PDS
Frenzel: Eine wichtige Frage in dieser Zeit war das Verhältnis zur PDS. Wir haben auch dazu im Archiv etwas gefunden und zwar ein Interview im Deutschlandfunk mit dem Sprecher der DDR-Grünen.
((Einspieler))
Das also der Sprecher der DDR-Grünen, damals Gerhard Becher. Frau Birthler, wie wichtig war damals diese Frage, wie hältst du es mit der PDS, war die für Bürgerrechtler wie Sie entscheidend?
Birthler: Ja, sie war sehr wichtig natürlich. Es war ja erst Monate her, dass wir uns genau gegen diese Partei behauptet haben und in einer friedlichen Revolution ihre Alleinherrschaft beendet haben, und die Erfahrungen am Runden Tisch und zwischendurch, die waren nicht geeignet, Vertrauen wachsen zu lassen, aber es gab gerade auch während der Verhandlungen mit den Grünen darüber durchaus Diskussionen. Es gab sowohl im Osten als auch im Westen Vertreter, die meinten, man müsse sich diese Wege der Zusammenarbeit der PDS offen lassen, aber die konnten sich zum Glück nie durchsetzen.
Frenzel: Sie haben es vorhin schon angesprochen – es gab die Bundestagswahlen 1990, die ja diese Überraschung hatte, die Westgrünen verpassen den Einzug in den Bundestag, die Grünen/Bündnis 90, also die Ostformation, zog dagegen ein, da gab es eine Besonderheit beim Wahlrecht, dass also auch im Osten die Fünf-Prozent-Hürde alleine reichte. War das aus östlicher Sicht ein gesunder Auftakt, um auf Augenhöhe zu kommen?
Birthler: Ich glaube, dass das letzten Endes, obwohl das natürlich für die Westgrünen sehr schmerzlich war, dass es letzten Endes dazu beigetragen hat, dass die später entstehende gesamte Partei doch eine sehr viel realistischere Politik gemacht hat als die Grünen im Westen. Also diese Wahlkampfniederlage 1990 hat meiner Ansicht nach bei den Grünen im Westen einen Reformprozess eingeleitet und es hat, was diese Abgeordneten betrifft, ihnen natürlich auch die Chance gegeben, sich ein eigenes Profil zu geben und nicht nur so ein Appendix an einer gesamtdeutschen großen Fraktion zu sein. Und die Leute, die damals im Bundestag waren – also ich erinnere an Werner Schulz, Wolfgang Ullmann, Gerd Poppe –, das waren auch politische Schwergewichte, die haben das Bild von Bündnis 90/Die Grünen auf der Bundesebene doch stark geprägt.
Auch für Bündnis 90/Die Grünen war der Einigungsprozess bei allem guten Willen schwierig
Frenzel: Bündnis 90/Die Grünen, also auch in dieser Wortschöpfung, Formation, gibt es seit 1993, da war dann die offizielle Vereinigung zu einer Partei. Würden Sie denn heute rückwirkend sagen, dass diese Vereinigung gleichberechtigter, dass sie besser lief als die deutsch-deutsche Vereinigung im Großen?
Birthler: Ich sage mal so, wir haben uns bemüht. Also formaljuristisch war das auch ein Beitritt, das ging aus juristischen Gründen gar nicht anders, aber wir haben durch lange Verhandlungen einen Assoziationsvertrag und ganz bestimmte Klauseln auch in der Satzung versucht, sozusagen dieses Ungleichgewicht, was ja bestand, wenigstens teilweise auszugleichen. Also zumindest den guten Willen kann man als gegeben ansehen. Dass es dann in der Realität trotzdem schwierig war, sich auf Augenhöhe zu begegnen, das war klar, aber wir waren eben Teil dieses deutsch-deutschen Vereinigungsprozesses, der insgesamt schwierig war und dessen Leitton ja immer so eine westdeutsche Dominanz war, das war natürlich auch bei Bündnis 90/Die Grünen gegeben.
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck, wenn wir auf Bündnis 90/Die Grünen heute schauen, auch generell vielleicht auf die deutsche Politik, dass das, was damals aus der Bürgerrechtsbewegung entstanden ist politisch, dass das noch ein Zuhause hat, also dass dieses Bündnis 90 da mehr ist als historische Reminiszenz?
Birthler: Na, wollen wir es doch hoffen!
Frenzel: Dann wollen wir es damit auch belassen! Marianne Birthler, herzlichen Dank für dieses Gespräch! Heute vor 25 Jahren beschlossen Grüne in West und Bündnisgrüne in Ost eine gemeinsame Wahlplattform. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Birthler: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema