Deutschlandpremiere von "Schindlers Liste"
Der amerikanische Film "Schindlers Liste" von Steven Spielberg war mehr als ein Kassenschlager. Als er 1994 in den deutschen Kinos lief, veränderte er das Bild von der Nazi-Diktatur und das historische Bewusstsein vom Mord an den europäischen Juden.
Die Geschichte Oskar Schindlers kannten bis Mitte der 1990er-Jahre in Deutschland nur wenige. Der deutsche Inhaber einer Emaillewarenfabrik im polnischen Krakau hatte im Zweiten Weltkrieg etwa 1.100 jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung in Auschwitz bewahrt. Doch eine nach Schindlers Tod 1974 im Regionalfernsehen gesendete Dokumentation über den schillernden Unternehmer fand ebenso wenig Resonanz wie ein 1983 erschienener Tatsachenroman des australischen Autors Tom Keneally.
Emotionalisierung sparsam eingesetzt
So war die deutsche Öffentlichkeit verblüfft, als 1993 der amerikanische Regisseur Steven Spielberg Schindlers Geschichte zu einem Spielfilm verarbeitete und damit einen überraschenden Erfolg beim amerikanischen Publikum landete.
Abgesehen von der wehmütigen Filmmusik setzte Spielberg das Mittel der Emotionalisierung eher sparsam ein und verzichtete, anders als die US-Fernsehserie "Holocaust" in den 1970er-Jahren, auf billige Identifikationsangebote an das Publikum.
Sein in Schwarz-weiß und an Originalschauplätzen gedrehter Film hielt sich weitgehend an die Anfang der 1980er-Jahre von Tom Keneally und dem südafrikanischen Dokumentarfilmer Jon Blair recherchierten historischen Fakten. Zutreffend zeigte Spielberg Oskar Schindler als Trinker, Frauenhelden und skrupellosen Geschäftsmann, der zunächst aus reiner Profitgier Juden beschäftigte:
Szene aus "Schindlers Liste": "Den Lohn für einen jüdischen Arbeiter zahlt man direkt an die SS, nicht an den Arbeiter. Er kriegt nichts." "Aber er ist niedriger - niedriger als der Lohn für einen Polen!" "Er ist niedriger!" "Und das ist eben der springende Punkt. Polen kosten mehr. Also: Warum sollte ich dann Polen einstellen?"
Doch die Ausrottungspolitik gegen die Juden weckt Schindlers menschlichen Anstand.
Er setzt dieselben Mittel ein, die er zunächst zur persönlichen Bereicherung genutzt hatte - seinen Charme, sein unerschrockenes Auftreten, seine guten Beziehungen zu Amtsträgern in Wehrmacht und Partei und vor allem: Unmengen an Schmiergeld zur Rettung der sogenannten Schindlerjuden.
Schließlich kauft er seine Arbeiter regelrecht frei und diktiert seinem jüdischen Büroleiter eine entsprechende Namensliste.
Bekenntnis gegen die Forderung nach Schlussstrich
Szene aus "Schindlers Liste": "Sie kaufen sie doch nicht? Sie kaufen sie? Sie bezahlen dafür? Für jeden Einzelnen?" "Falls Sie noch für mich arbeiten, erwarte ich, dass Sie es mir ausreden. Es kostet mich nämlich ein Vermögen! - Schreiben Sie die Seite fertig und lassen Sie unten noch für einen Namen Platz."
Zur Deutschlandpremiere des Films am 1. März 1994 in Frankfurt am Main erschienen neben dem Bundespräsidenten und dem hessischen Ministerpräsidenten auch Vertreter der Jüdischen Gemeinde.
Der kommerzielle Erfolg war enorm: Mehr als sechs Millionen Besucher sahen "Schindlers Liste" in Deutschland, binnen zweier Wochen wurden außerdem 350.000 Videokassetten verkauft.
Das Publikumsinteresse an einem Film, der die Brutalität der Judenvernichtung weder weichzeichnete noch voyeuristisch auskostete, war eine Art kollektives Bekenntnis gegen Forderungen nach einem Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit.
Zahlreiche Publikationen über Oskar Schindler
1998 verlieh Bundespräsident Roman Herzog Spielberg das Bundesverdienstkreuz mit Stern:
"Ihr Film hat gezeigt, dass die persönliche Verantwortung des Einzelnen niemals aufhört, auch nicht in einer Diktatur. Wir müssen keine perfekten Helden sein, aber wir haben die Pflicht zu handeln, selbst wenn es scheint, dass wir mit einem Löffel den Ozean ausschöpfen."
Tatsächlich räumte "Schindlers Liste" mit der bequemen Vorstellung einer lückenlosen NS-Diktatur auf und machte plausibel, dass in der chaotischen Besatzungswirklichkeit gerade für eine Figur wie Schindler erhebliche Handlungsspielräume existierten.
Der Film löste einen Boom an Publikationen über Oskar Schindler aus. Darüber hinaus erschienen nun endlich Studien über die von der deutschen Geschichtswissenschaft lange vernachlässigten Themen Besatzungspolitik, Vernichtungslager und Korruption im Nationalsozialismus.
In der öffentlichen Debatte über "Schindlers Liste" erhoben auch überlebende Opfer der Judenverfolgung ihre Stimme. Zumeist bescheinigten sie Spielbergs Film historische Authentizität, manche deuteten zugleich aber auch die Grenzen der Darstellbarkeit des Holocaust an.
In den Worten des "Schindlerjuden" Moshe Frei: "Alles was der Film sagt, stimmt absolut, aber es war noch viel, viel mehr!"