Hans Weigel - Fürst des Feuilletons
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten einige österreichische Schriftsteller aus dem Exil zurück, um die kulturelle Kaffeehaus-Szene Wiens wiederzubeleben. Einer davon war Hans Weigel: Seine Theater-Kritiken galten als erbarmungslos - wofür er sich manche Ohrfeige einfing.
Hans Weigel war vieles: Schriftsteller, Kabarettist, Librettist, Übersetzer, Lektor, Kritiker, vor allem: Feuilletonist. Noch berühmter wurde er als Brecht-Verhinderer. Dass bis in die 60er-Jahre hinein keine nennenswerte Wiener Bühne sich traute, die Stücke Bertolt Brechts zu spielen, wurde auf seinen Einfluss und den seines Kollegen Friedrich Torberg zurückgeführt.
"Weigel und Torberg und noch ein paar Reaktionäre hielten dem Ansturm des Weltkommunismus auf Österreich stand wie weiland die Wiener der Türkenbelagerung. Ihre befestigten Kaffeehäuser erwiesen sich als uneinnehmbar."
Es war eine ironische Reminiszenz, die der Publizist Günther Nenning viele Jahre später seinem am 12. August 1991 verstorbenen Kollegen Hans Weigel nachschickte. Schließlich hatte er selbst in Torbergs Zeitschrift "Forum" seinerzeit den Kommunisten Brecht verteidigen dürfen gegen die Übertreibungen des Antistalinismus, den ein paar Zeilen weiter Weigel vertrat. Streit und Debatte waren eben Lieblingsbeschäftigungen der Herren. Und der Lieblingsort dafür war das Wiener Kaffeehaus mit seiner unendlichen Toleranz gegenüber plaudernden, arbeitenden und wenig verzehrenden Langzeitgästen.
Wo zahllose Anekdoten entstanden
Hier entstanden zahllose Anekdoten, in einer davon hatte Weigel einem Pianisten, der es gut meinte und das von Weigel geschriebene Lied "Gebundene Hände" bis zum Überdruss gespielt hatte, ein Autogramm gegeben: "Gebundene Hände" wünscht Ihnen Ihr Hans Weigel.
Besonders innig war Weigels Beziehung zum Café Hawelka:
"... wenn ich hinkomm und es ist noch so voll, geht die Frau Hawelka und scheucht die Gäste weg und macht Platz für meine Gesellschaft und mich."
Einem Fürsten des Feuilletons kam das zu. Zumal Weigel sich zugute hielt, das Hawelka zum international populären Hotspot gemacht zu haben: als er eines späten Abends mit einer Rotte Kollegen und Künstler vom Café Raimund ins versteckte Hawelka gewechselt war.
Den alten Literaten-Kaffeehäusern Wiens hatte der 1908 geborene Hans Weigel 1938 adieu sagen müssen, als er, Sohn einer böhmisch-jüdischen Familie, nach dem Einmarsch der Hitlertruppen in die Schweiz emigrierte. Im Gegensatz zu vielen anderen, wie etwa Hilde Spiel oder Georg Stefan Troller, kehrte er gleich nach dem Krieg umstandslos zurück. Dass die, die in der Emigration überlebt hatten, von der österreichischen Regierung auch gar nicht nach Hause gebeten wurden, kritisierte Weigel heftig; die mit dem Antisemitismus nach wie vor geimpfte Wiener Bevölkerung hingegen verschonte er mehr als sie das verdiente. Wichtiger war es ihm, nicht zum Objekt eines "kritiklosen Philosemitismus" zu werden.
"Nur dort, wo man auch beschimpft werden kann, ist man wirklich zu Hause", schrieb er. Das Beschimpftwerden war ihm Lebenselixier; es gehörte zwingend zu seiner ideologisch unabhängigen Existenz als, je nachdem, "rechter Linker" oder "linker Rechter". Seine Israel-Kritik in den 80er-Jahren nahm viel von der aufkommenden Political-Correctness-Diskussion vorweg. Ihm war nie bange, und er teilte aus. Aber wo er forderte, da förderte er auch.
Pate literarischer Nachwuchshoffnungen
Günther Nenning:
"Weigel ist die Zieh- und Schwiegermutter der gesamten österreichischen Literatur nach 1945 - von A wie Artmann und B wie Bachmann."
Ingeborg Bachmann, die, jung und neu im Nachkriegswien aufgetaucht, Weigels Geliebte wurde.
Günther Nenning:
"J wie Janda, K wie Georg Kreisler, M wie Mayröcker, Q wie Qualtinger, W wie Oswald Wiener."
Ihnen allen legte Weigel ans Herz, was ihm in der Literatur über allem zu stehen hatte, und das war nicht die politische Botschaft.
Hans Weigel:
"Ein schlechtes Stück gegen die Todesstrafe ist mir weniger lieb als ein gutes Gedicht über den Sonnenaufgang."
Als Pate literarischer Nachwuchshoffnungen dürfte Weigel beliebter gewesen sein als in seiner Rolle als Theaterkritiker. Ein Beispiel aus dem Jahr 1956:
"Ich kam harmlos aus dem Café Raimund, da kam eine Dame auf mich zu, fragte, sind Sie Hans Weigel, ... , dann sagte sie, Sie Drecksfink mit ihrem dreckigen Maul! und hat mir zwei Ohrfeigen gegeben, die waren heftig."
Der Prozess, den Weigel daraufhin gegen die beliebte Burgschauspielerin Käthe Dorsch anstrengte, wurde zum erregten Tribunal. Es gipfelte in einem Appell ihres Bühnenkollegen Raoul Aslan, der die Todesstrafe für den Kritiker verlangte. Dem Ansinnen wurde nicht stattgegeben.