Linktipp: Den ganzen "Simplicissimus" finden Sie beim Deutschen Text-Archiv.
Grimmelshausens "Der Abentheuerliche Simplicissimus"
Ein naiver Held erlebt im Dreißigjährigen Krieg ein spannendes Abenteuer nach dem anderen. Grimmelshausens Schelmenroman avancierte 1668 zum ersten deutschen "Volksbuch". Doch die ersten Lebensjahre des Autors liegen im Dunkeln.
"In dieser Welt gibt es nichts Beständigeres als die Unbeständigkeit." Diesen Spruch kennt natürlich jeder, ohne dass jeder wissen wird, dass er von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen stammt, dem Autor des kurz nach Erscheinen im Jahr 1668 zum ersten deutschen "Volksbuch" avancierten Romans "Der abenteuerliche Simplicissimus". Er erzählt die Geschichte eines Jungen, der im Alter von 13 Jahren im Dreißigjährigen Krieg von herumstreunenden Soldatenhorden verschleppt und, als Musketier zwangsrekrutiert, immer tiefer in die Wirren der Zeitläufte hineingezerrt wird. Der Musketier war der Autor selbst.
"Wenn sich jemand einbildet, ich, Grimmelshausen, erzähle nur darum des Simplicius Simplicissimus Lebenslauf, damit ich einem und anderem die Zeit kürzen, oder wie die Schalksnarren und Possentreiber zu tun pflegen, die Leute zum Lachen bewegen möchte, so findet sich derselbe weit betrogen!"
Verspielter Witz und derb erotische Selbstentblößungen
Vielleicht schien Grimmelshausen dieser Hinweis nötig, weil sich in seinem "Simplicissimus" neben den von großem Realitätssinn zeugenden kolossalen Schlacht-Gemälden auch viel verspielter Witz und Schelmenhaftes, satirische Überzeichnungen und derb-erotische Selbstentblößungen finden – obwohl schon den zeitgenössischen Lesern das Schmunzeln über solche Abschweifungen immer wieder vergangen sein wird:
"Da lagen Köpfe, die ihre natürlichen Herren verloren hatten, und Leiber, denen die Köpfe fehlten. Da lagen abgeschossene Arme, an denen sich noch die Finger regten."
Als das bis heute drastischste, in deutscher Sprache geschriebene Antikriegs-Buch hat Grimmelshausens jüngster Biograf, Heiner Boehncke, den Roman gelesen.
"Die Botschaft ist, dass der Krieg ein Monstrum ist, das gegen den christlichen Glauben verstößt. Er wusste, dass das nicht nur ein Glaubenskrieg war, sondern ein Eroberungskrieg zur europäischen Neuverteilung der Mächte."
Über Grimmelshausens Jugend ist wenig bekannt
Grimmelshausens erste 25 Lebensjahre liegen fast völlig im Dunkeln. Man kennt zwar seinen Geburtsort, das hessische Städtchen Gelnhausen, weiß aber nicht, ob er 1621 oder 1622 geboren wurde. Auch wann, wo und wie der Junge, nach nur ein paar Jahren Lateinschule früh im großväterlichen Betrieb einer Bäckerei und Weinhandlung arbeitend, die literarische Bildung aufnehmen konnte, die ihn seinen "Simplicissimus"-Roman schreiben und zum Weltautor werden ließ, bleibt ein Rätsel.
Im Roman bietet Grimmelshausen als Antwort eine Erfindung an: Seine jugendliche Hauptfigur kann vor den seinen Heimatort in Brand steckenden Soldaten zunächst in einen nahen Wald fliehen und trifft darin einen Eremiten, der ihn im Beten, Schreiben und Lesen unterrichtet: "Dass ich alles, was mir der fromme Einsiedel erklärte, so schnell begriff, lag daran, dass er die glatte Tafel meiner Seele ganz leer fand, ohne irgendwelche Bilder, die schon zuvor eingedruckt waren. Trotzdem war ich noch immer die Einfalt selbst, weshalb mich der Einsiedel nur ‚Simplicius‘ nannte."
Das Spiel mit der Weisheit des Narren
Es war vor allem der von dieser Hauptfigur ausgehende Zauber, der den Schriftsteller Reinhard Kaiser animierte, den in einem gewundenen Barock-Deutsch des 17. Jahrhunderts geschriebenen Roman in ein modernes Deutsch zu übertragen.
"Die Figur des Simplicissimus ist die Figur des Kindes, das aber in einer wirren Welt unter Umständen die klareren Einsichten hat. Also das Spiel mit der Weisheit des Narren, der Intelligenz von Tieren, der Dummheit der wirklich Gelehrten, das Verkehren von Wahrheit und Falschheit, das ist eine ganz wichtige Sache im ‚Simplicissimus‘."
Es gehört zur grellen Fantastik des Romans, dass Simplicius durch Magie den "gräulichen" Kriegsereignissen entkommen kann: Er taucht in den still im Schwarzwald gelegenen, "wundersamen" Mummelsee ein, gerät zum Mittelpunkt der Welt und weiter über den Meeresgrund auf eine einsame Insel und wird, wie sein einstiger Wald-Lehrer, ein Eremit.
Grimmelshausen selbst wurde kein Eremit, sondern gründete nach Ende des 30-jährigen Kriegs in dem badischen Ort Renchen eine Familie und war als Burgvogt und Gutsverwalter so angesehen, dass man ihn zum Bürgermeister wählte. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen starb am 17. August 1676 "im Herrn", wie die Kirchenbücher von Renchen verzeichnen.