Vor 40 Jahren gebot der Papst: Du sollst nicht verhüten
Der katholische Theologe und Gründer der AIDS-Hilfsorganisation "Stern der Hoffnung" weiß aus erster Hand, welche Auswirkungen das vier Jahrzehnte alte päpstliche Verhütungsverbot in erzkatholischen Ländern wie Brasilien hat. AIDS-Risikogruppen schützten sich nicht beim Sex, weil sie sich auf das Verbot der Kirche berufen.
Stephan Karkowsky: Du sollst nicht verhüten, nicht mit der Pille und nicht mit Kondom. Dieser päpstliche Erlass wird heute 40 Jahre alt: Die Enzyklika Humanae Vitae vom 25. Juli 1968, also mitten im Jahr der Studentenrevolte wollte die katholische Kirche die sexuelle Revolution ausbremsen. Warum sich die Amtskirche nicht längst getrennt hat vom Kondomverbot, darüber möchte ich mit dem Schweizer Professor Peter Eicher sprechen. Er ist Gründer einer der weltweit größten Hilfsorganisationen für Aidskranke und katholischer Theologe. Guten Tag, Herr Eicher!
Peter Eicher: Guten Tag!
Karkowsky: Kondome in brasilianischen Favelas verteilen, Herr Eicher, und gleichzeitig den katholischen Glauben lehren - wie geht das denn zusammen?
Eicher: Das geht so zusammen, dass es eine Pflicht ist, Menschen vor unsäglich schwerer Not in der Krankheit, HIV-positiv und die Folgen, zu schützen. Es ist eine Pflicht jedes Katholiken, das Leben der anderen Mitmenschen als Höchstes zu achten, das ist die alte, katholische Lehre. Wenn dem moralischen Normen des Lehramtes entgegenstehen, ist das auch nach katholischer Auffassung die Pflicht, dem eigenen Gewissen zu folgen, das ist kein Problem.
Karkowsky: Dann nähern wir uns doch mal gemeinsam dieser päpstlichen Enzyklika an. Die erschien ja schon vor 40 Jahren einer Menge Menschen als empörend weltfremd - Verhütungsmittel als Teufelszeug. Was genau wollten denn Papst Paul VI. 1968 damit bezwecken?
Eicher: Man muss natürlich sehen, dass das Christentum schon in der Antike seinen großen Propagandaerfolg dadurch hatte, dass es ein ganz anderes Verhältnis zum eigenen Körper in die Welt brachte, als dies der antike Mensch oder der Renaissance-Mensch hatte, nämlich alles zu konzentrieren auf die Beziehung in der Partnerschaft und alle spielerischen Möglichkeiten in die Kunst und in die Sublimation zu verschieben, aber nicht in die Sexualität. Päderastie, Homosexualität leider auch und so weiter waren plötzlich für die Christen nicht mehr eine Möglichkeit des menschlichen Daseins und das hatte einen Riesen-Erfolg in der Antike.
Karkowsky: Ja, warum, Herr Eicher?
Eicher: Die Menschen waren fasziniert durch diese totale Weltanschauung des neuen Christentums, eine Weltanschauung, die vom Anfang der Schöpfung bis zum Ende aller Zeiten das menschliche Leben einspannte in den Dienst, auch an der Freiheit, muss man sagen, auch in den Dienst an der sozialen Verantwortung. Es gab auch positive Seiten, die bis heute positiv nachwirken, auch eine gewisse Emanzipation der Frau, nämlich dass der Mann genauso wenig Recht hat, sich an der Frau zu bedienen wie die Frau das hatte. Da gab es auch Gleichheitsrecht. Das hat jedenfalls die Antike fasziniert, aus welchen Gründen auch immer. In der Neuzeit trat nun mit der Pille eine völlig neue Situation ein. Der Mensch hat jetzt die Möglichkeit und die Verantwortung, selber seine Familie zu planen, selber mit seinem Körper so umzugehen, dass er weiß, wann er die Fruchtbarkeit will oder nicht. Und das hat einen Teil der Kirche, und zwar eine Minderheit, sehr erschreckt. 1968 war schon geprägt auch durch die Pille. Es gab auch ein katholisches 1968 im Sinne der Freiheit, nämlich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das ist auch der Grund, warum ich mal Theologie studiert habe, jetzt ganz neue Möglichkeiten menschlicher Verbrüderung, Geschwisterlichkeit und so weiter zu leben. Das hat einen Teil erschreckt, unter anderem auch einen gewissen Herrn Woytila, der in der Kommission von Paul VI. war, die beraten sollte, was man jetzt mit der Pille anfängt.
Karkowsky: Und rausgekommen ist dann diese Enzyklika. Was haben denn die Gemeinden 1968 dazu gesagt, ich spitze das mal ein bisschen zu, dass da eine zölibatäre Kaste von Priestern und Kardinälen kommt, die allesamt sexuelle Laien sind und dass die sich nun einmischen in ihr Intimleben?
Eicher: Okay, es gab ja viele Gremien, die beraten haben, und der Papst hat es vorgezogen, einer kleinen Minderheit zu folgen. Das heißt, schon von daher kann man sehen, dass die Gemeinden natürlich zum ganz großen Teil damals schon entsetzt waren. Ich mag mich noch ganz genau erinnern an die Rundfunksendung, die ich hörte, als diese Enzyklika kam, ich weiß noch genau, wo wir da entlang fuhren, und ich sagte sofort: Das ist das Ende der Autorität des Papstes über die Sexualmoral. Und so war es dann auch. Und das war in Deutschland sehr erfreulich: Die Bischöfe waren sehr verantwortungsvoll, Kardinal Döpfner hat damals zusammen mit dem großen Theologen Karl Rahner eine Erklärung ausgearbeitet, die Bischöfe unterzeichnet haben, die Königsteiner Erklärung, und die hielt es immerhin für möglich, dass ein Katholik auch noch des Heils fähig wäre, wenn er in seinem Gewissen vor Gott nun andere Wege geht, als das Lehramt ihm vorgeschrieben hat.
Karkowsky: Wir sprechen im Radiofeuilleton mit dem Schweizer Peter Eicher, ehemals Professor für katholische Theologie in Paderborn und Gründer einer der größten Aids-Hilfsorganisationen der Welt, Herr Eicher, Stern der Hoffnung, so heißt Ihre Aids-Hilfe. Sie helfen Aidskranken in Brasilien. Wie groß ist denn Ihrer Ansicht nach der Zusammenhang da zwischen der Ausbreitung von Aids und dem Verbot des Papstes, Kondome zu benutzen?
Eicher: Genaue Zahlen zu nennen ist unmöglich. Immerhin: UNAIDS, also die Organisation der UNO, die für Aids verantwortlich ist und sehr, sehr gute Arbeit macht, betrachtet heute die katholische Kirche als eine der Quellen des Unglücks. Die Quelle liegt darin, dass sehr viele Menschen in den Favelas, also in den Elendsgebieten der Welt, in den Städten, die katholisch sind, bei ihrem Unmut über die Kondome - sie mögen Kondome nicht, die Pille können sie ja nicht kaufen, aber sie mögen auch keine Kondome, was für Aids entscheidend ist - sich auf die Kirche berufen. Wie viele Millionen Menschen gestorben sind und in furchtbarer Not gestorben sind wegen diesem moralischen Druck, das entzieht sich natürlich der Statistik. Ich kann nur aus der Erfahrung sagen, dass unsere lieben Klienten in Sao Paolo vor allem, im Untergrund der Stadt, immer wieder sagten, wenn wir ihnen sagen, ihr müsst ja nicht jeden Freier töten, ihr könnt doch auch mal etwas verantwortungsvoll handeln, dann sagen sie, nein, nein, der Papst ist gegen die Kondome. Natürlich nimmt niemand gerne Kondome in diesen Milieus, ist ja klar.
Karkowsky: Welche Rolle spielt Papst Benedikt, der ehemalige Kardinal Ratzinger? Hat der damals vor 40 Jahren schon die Finger mit im Spiel gehabt?
Eicher: Er war damals mäßiger als ein gewisser Herr Woytila, der in der Minderheit der Kommission war, dem Paul VI. gefolgt ist. Er hatte damals ein Konzept der Liberalität, er war insbesondere auch daran interessiert, die Menschen nicht in die Hölle zu schicken und hat sehr schöne Artikel geschrieben, die die Höllenangst mildern sollten. Er hat sich aber in der Folge, als wir 1998 und folgende die große Diskussion im Deutschen Bundestag hatten, hat er sich doch ganz eindeutig auf die harte Seite des Papstes und also damals gegen den Vorsitz in der Deutschen Bischofskonferenz gestellt. Insofern gibt es bei ihm eine lange Tradition der Härte, und heute muss man wohl sagen, auch einer wirklich großen Weltfremdheit. Ich arbeite wirklich seit 20 Jahren ganz normal mit Menschen, die HIV-positiv sind und Aids haben und kenne, glaube ich, dieses Milieu sehr gut. Zusammen mit Kardinal Arns haben wir versucht, den Vatikan dazu zu bringen, das Lebensrecht höher zu schätzen als diese Furcht vor mechanischen Mitteln der Verhütung, und das ist nicht gelungen. Man muss sich aber eines ganz klar machen: 1983, als Aids bekannt wurde, als man die Symptome zurückführen konnte auf einen Virus, hat sich die Situation der Kondome total umgekehrt, denn jetzt ist es eine hohe Verantwortung für die Menschen, bei Sexualkontakten, die nicht altgewohnt und bewährt sind, Kondome zu nehmen und natürlich für aidskranke Patienten, keinen Sex ohne Kondome auszuüben, denn das ist krankheitsfördernd und so weiter. Das heißt, wir haben heute als Katholiken die volle Verantwortung, den Mitmenschen zu schützen. Diese Verantwortung wird vom Lehramt der katholischen Kirche nicht wahrgenommen. Sie haben im Vorspann gesagt, ich würde es als größtes Verbrechen der Menschheit betrachten - das würde ich ein bisschen relativieren. Ich bin nicht der liebe Gott, ich habe kein Sündenregister. Aber dass es natürlich gegen das Gebot des Lebensschutzes spricht, das ist sicher und das ist tragisch, das ist furchtbar.
Karkowsky: Nur mal angenommen, der Vatikan würde sagen, okay, wir haben uns das anders überlegt, jetzt sind Kondome okay, die Pille auch. Wie lange würde es denn dauern, bis dieses Verhütungsverbot aus den Köpfen der Menschen wieder raus ist?
Eicher: Das ist leider nicht so, dass die katholische Kirche da allmächtig wäre. Man darf ihren Druck auch nicht zu hoch veranschlagen, denn, ich habe es schon mal gesagt, aus Erfahrung muss ich sagen, dass die Menschen in der Sexualität nicht gerne Kondome nehmen und arme Schichten schon gar nicht und sie zum Teil auch nicht haben, gar nicht das Geld haben, sie zu kaufen. Ich denke, dass die Bekämpfung von Aids, die gar nicht anders geht als mit Kondomen und mit Medikamenten, eine sehr, sehr lang dauernde Arbeit sein wird. Ich kann nur sagen, dass in den Gebieten, wo wir arbeiten, wo die Kondome in den Schulen gelehrt werden - in Brasilien ist das Pflicht, das steht in der Verfassung inzwischen, in den meisten Länderverfassungen von Brasilien steht das drin, das ist ein großer Erfolg, das ist Pflicht in der Schule, jeden Monat einmal darüber zu reden -, da gehen die Aidsraten signifikant zurück! Und wenn die katholische Kirche - und das macht sie - dann den Staat tadelt, dann muss sie das verantworten. Und ich weiß nicht, wie sie ihre Verantwortung vor Gott und den Menschen wahrnehmen will.
Karkowsky: Peter Eicher, Ihnen vielen Dank für diese klaren Worte. Der ehemalige Professor für katholische Theologie in Paderborn ist der Gründer von "Stern der Hoffnung", einer der weltweit größten Hilfsorganisationen für Aidskranke in Brasilien, und er hat uns aufgeklärt darüber, warum das päpstliche Verbot künstlicher Verhütung heute 40 Jahre alt werden konnte.
Peter Eicher: Guten Tag!
Karkowsky: Kondome in brasilianischen Favelas verteilen, Herr Eicher, und gleichzeitig den katholischen Glauben lehren - wie geht das denn zusammen?
Eicher: Das geht so zusammen, dass es eine Pflicht ist, Menschen vor unsäglich schwerer Not in der Krankheit, HIV-positiv und die Folgen, zu schützen. Es ist eine Pflicht jedes Katholiken, das Leben der anderen Mitmenschen als Höchstes zu achten, das ist die alte, katholische Lehre. Wenn dem moralischen Normen des Lehramtes entgegenstehen, ist das auch nach katholischer Auffassung die Pflicht, dem eigenen Gewissen zu folgen, das ist kein Problem.
Karkowsky: Dann nähern wir uns doch mal gemeinsam dieser päpstlichen Enzyklika an. Die erschien ja schon vor 40 Jahren einer Menge Menschen als empörend weltfremd - Verhütungsmittel als Teufelszeug. Was genau wollten denn Papst Paul VI. 1968 damit bezwecken?
Eicher: Man muss natürlich sehen, dass das Christentum schon in der Antike seinen großen Propagandaerfolg dadurch hatte, dass es ein ganz anderes Verhältnis zum eigenen Körper in die Welt brachte, als dies der antike Mensch oder der Renaissance-Mensch hatte, nämlich alles zu konzentrieren auf die Beziehung in der Partnerschaft und alle spielerischen Möglichkeiten in die Kunst und in die Sublimation zu verschieben, aber nicht in die Sexualität. Päderastie, Homosexualität leider auch und so weiter waren plötzlich für die Christen nicht mehr eine Möglichkeit des menschlichen Daseins und das hatte einen Riesen-Erfolg in der Antike.
Karkowsky: Ja, warum, Herr Eicher?
Eicher: Die Menschen waren fasziniert durch diese totale Weltanschauung des neuen Christentums, eine Weltanschauung, die vom Anfang der Schöpfung bis zum Ende aller Zeiten das menschliche Leben einspannte in den Dienst, auch an der Freiheit, muss man sagen, auch in den Dienst an der sozialen Verantwortung. Es gab auch positive Seiten, die bis heute positiv nachwirken, auch eine gewisse Emanzipation der Frau, nämlich dass der Mann genauso wenig Recht hat, sich an der Frau zu bedienen wie die Frau das hatte. Da gab es auch Gleichheitsrecht. Das hat jedenfalls die Antike fasziniert, aus welchen Gründen auch immer. In der Neuzeit trat nun mit der Pille eine völlig neue Situation ein. Der Mensch hat jetzt die Möglichkeit und die Verantwortung, selber seine Familie zu planen, selber mit seinem Körper so umzugehen, dass er weiß, wann er die Fruchtbarkeit will oder nicht. Und das hat einen Teil der Kirche, und zwar eine Minderheit, sehr erschreckt. 1968 war schon geprägt auch durch die Pille. Es gab auch ein katholisches 1968 im Sinne der Freiheit, nämlich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das ist auch der Grund, warum ich mal Theologie studiert habe, jetzt ganz neue Möglichkeiten menschlicher Verbrüderung, Geschwisterlichkeit und so weiter zu leben. Das hat einen Teil erschreckt, unter anderem auch einen gewissen Herrn Woytila, der in der Kommission von Paul VI. war, die beraten sollte, was man jetzt mit der Pille anfängt.
Karkowsky: Und rausgekommen ist dann diese Enzyklika. Was haben denn die Gemeinden 1968 dazu gesagt, ich spitze das mal ein bisschen zu, dass da eine zölibatäre Kaste von Priestern und Kardinälen kommt, die allesamt sexuelle Laien sind und dass die sich nun einmischen in ihr Intimleben?
Eicher: Okay, es gab ja viele Gremien, die beraten haben, und der Papst hat es vorgezogen, einer kleinen Minderheit zu folgen. Das heißt, schon von daher kann man sehen, dass die Gemeinden natürlich zum ganz großen Teil damals schon entsetzt waren. Ich mag mich noch ganz genau erinnern an die Rundfunksendung, die ich hörte, als diese Enzyklika kam, ich weiß noch genau, wo wir da entlang fuhren, und ich sagte sofort: Das ist das Ende der Autorität des Papstes über die Sexualmoral. Und so war es dann auch. Und das war in Deutschland sehr erfreulich: Die Bischöfe waren sehr verantwortungsvoll, Kardinal Döpfner hat damals zusammen mit dem großen Theologen Karl Rahner eine Erklärung ausgearbeitet, die Bischöfe unterzeichnet haben, die Königsteiner Erklärung, und die hielt es immerhin für möglich, dass ein Katholik auch noch des Heils fähig wäre, wenn er in seinem Gewissen vor Gott nun andere Wege geht, als das Lehramt ihm vorgeschrieben hat.
Karkowsky: Wir sprechen im Radiofeuilleton mit dem Schweizer Peter Eicher, ehemals Professor für katholische Theologie in Paderborn und Gründer einer der größten Aids-Hilfsorganisationen der Welt, Herr Eicher, Stern der Hoffnung, so heißt Ihre Aids-Hilfe. Sie helfen Aidskranken in Brasilien. Wie groß ist denn Ihrer Ansicht nach der Zusammenhang da zwischen der Ausbreitung von Aids und dem Verbot des Papstes, Kondome zu benutzen?
Eicher: Genaue Zahlen zu nennen ist unmöglich. Immerhin: UNAIDS, also die Organisation der UNO, die für Aids verantwortlich ist und sehr, sehr gute Arbeit macht, betrachtet heute die katholische Kirche als eine der Quellen des Unglücks. Die Quelle liegt darin, dass sehr viele Menschen in den Favelas, also in den Elendsgebieten der Welt, in den Städten, die katholisch sind, bei ihrem Unmut über die Kondome - sie mögen Kondome nicht, die Pille können sie ja nicht kaufen, aber sie mögen auch keine Kondome, was für Aids entscheidend ist - sich auf die Kirche berufen. Wie viele Millionen Menschen gestorben sind und in furchtbarer Not gestorben sind wegen diesem moralischen Druck, das entzieht sich natürlich der Statistik. Ich kann nur aus der Erfahrung sagen, dass unsere lieben Klienten in Sao Paolo vor allem, im Untergrund der Stadt, immer wieder sagten, wenn wir ihnen sagen, ihr müsst ja nicht jeden Freier töten, ihr könnt doch auch mal etwas verantwortungsvoll handeln, dann sagen sie, nein, nein, der Papst ist gegen die Kondome. Natürlich nimmt niemand gerne Kondome in diesen Milieus, ist ja klar.
Karkowsky: Welche Rolle spielt Papst Benedikt, der ehemalige Kardinal Ratzinger? Hat der damals vor 40 Jahren schon die Finger mit im Spiel gehabt?
Eicher: Er war damals mäßiger als ein gewisser Herr Woytila, der in der Minderheit der Kommission war, dem Paul VI. gefolgt ist. Er hatte damals ein Konzept der Liberalität, er war insbesondere auch daran interessiert, die Menschen nicht in die Hölle zu schicken und hat sehr schöne Artikel geschrieben, die die Höllenangst mildern sollten. Er hat sich aber in der Folge, als wir 1998 und folgende die große Diskussion im Deutschen Bundestag hatten, hat er sich doch ganz eindeutig auf die harte Seite des Papstes und also damals gegen den Vorsitz in der Deutschen Bischofskonferenz gestellt. Insofern gibt es bei ihm eine lange Tradition der Härte, und heute muss man wohl sagen, auch einer wirklich großen Weltfremdheit. Ich arbeite wirklich seit 20 Jahren ganz normal mit Menschen, die HIV-positiv sind und Aids haben und kenne, glaube ich, dieses Milieu sehr gut. Zusammen mit Kardinal Arns haben wir versucht, den Vatikan dazu zu bringen, das Lebensrecht höher zu schätzen als diese Furcht vor mechanischen Mitteln der Verhütung, und das ist nicht gelungen. Man muss sich aber eines ganz klar machen: 1983, als Aids bekannt wurde, als man die Symptome zurückführen konnte auf einen Virus, hat sich die Situation der Kondome total umgekehrt, denn jetzt ist es eine hohe Verantwortung für die Menschen, bei Sexualkontakten, die nicht altgewohnt und bewährt sind, Kondome zu nehmen und natürlich für aidskranke Patienten, keinen Sex ohne Kondome auszuüben, denn das ist krankheitsfördernd und so weiter. Das heißt, wir haben heute als Katholiken die volle Verantwortung, den Mitmenschen zu schützen. Diese Verantwortung wird vom Lehramt der katholischen Kirche nicht wahrgenommen. Sie haben im Vorspann gesagt, ich würde es als größtes Verbrechen der Menschheit betrachten - das würde ich ein bisschen relativieren. Ich bin nicht der liebe Gott, ich habe kein Sündenregister. Aber dass es natürlich gegen das Gebot des Lebensschutzes spricht, das ist sicher und das ist tragisch, das ist furchtbar.
Karkowsky: Nur mal angenommen, der Vatikan würde sagen, okay, wir haben uns das anders überlegt, jetzt sind Kondome okay, die Pille auch. Wie lange würde es denn dauern, bis dieses Verhütungsverbot aus den Köpfen der Menschen wieder raus ist?
Eicher: Das ist leider nicht so, dass die katholische Kirche da allmächtig wäre. Man darf ihren Druck auch nicht zu hoch veranschlagen, denn, ich habe es schon mal gesagt, aus Erfahrung muss ich sagen, dass die Menschen in der Sexualität nicht gerne Kondome nehmen und arme Schichten schon gar nicht und sie zum Teil auch nicht haben, gar nicht das Geld haben, sie zu kaufen. Ich denke, dass die Bekämpfung von Aids, die gar nicht anders geht als mit Kondomen und mit Medikamenten, eine sehr, sehr lang dauernde Arbeit sein wird. Ich kann nur sagen, dass in den Gebieten, wo wir arbeiten, wo die Kondome in den Schulen gelehrt werden - in Brasilien ist das Pflicht, das steht in der Verfassung inzwischen, in den meisten Länderverfassungen von Brasilien steht das drin, das ist ein großer Erfolg, das ist Pflicht in der Schule, jeden Monat einmal darüber zu reden -, da gehen die Aidsraten signifikant zurück! Und wenn die katholische Kirche - und das macht sie - dann den Staat tadelt, dann muss sie das verantworten. Und ich weiß nicht, wie sie ihre Verantwortung vor Gott und den Menschen wahrnehmen will.
Karkowsky: Peter Eicher, Ihnen vielen Dank für diese klaren Worte. Der ehemalige Professor für katholische Theologie in Paderborn ist der Gründer von "Stern der Hoffnung", einer der weltweit größten Hilfsorganisationen für Aidskranke in Brasilien, und er hat uns aufgeklärt darüber, warum das päpstliche Verbot künstlicher Verhütung heute 40 Jahre alt werden konnte.