Der Mönch, der für sein modernes Denken im Kerker landete
Eine Stadt in der alle arm und reich zugleich sind: Reich, weil alle haben, was sie brauchen, arm, weil keiner etwas besitzt. Der von der Inquisition verfolgte Mönch und Philosoph Tommaso Campanella entwarf diese Utopie und nannte sie "Sonnenstadt".
"Alles bei ihnen ist Gemeinbesitz. Sie behaupten, aus dem Eigentum entspringe die Selbstsucht. In einer wahren Gemeinschaft sind alle arm und reich zugleich: reich, weil alle das haben, was sie brauchen, arm, weil keiner etwas besitzt."
Ein weitgereister Matrose erzählt von einem Gemeinwesen, das er irgendwo im indischen Ozean entdeckt hat. Eine Stadt, in der alle arbeiten, aber dank der Technik nur noch vier Stunden am Tag.
"Die übrige Zeit kann jeder nach seinem Belieben mit angenehmen Studien, mit Disputieren, Lesen, Erzählen, Schreiben, Spazierengehen oder mit geistigen und körperlichen Übungen zubringen."
Campanella vertraute auf die Kraft der Bildung
Die Sonnenstadt: Erdacht hat sie Anfang des 17. Jahrhunderts der kalabrische Mönch Tommaso Campanella. Und wie alle Utopisten vertraute er auf die Kraft der Bildung:
"Auf der Mauer des ersten Stadtrings sind alle möglichen mathematischen Figuren abgebildet, eine vollständige und umfassende Beschreibung der Erde. Auf der Mauer des zweiten Kreises alle möglichen Gesteinsarten, Minerale und Metalle, alle Meere, Flüsse, Seen und Quellen, die es in der Welt gibt ... Und so weiter: Tiere, Werkzeuge, Entdecker, Wissenschaftler. Und noch vor dem dritten Lebensjahr lernen die Kinder umherspazierend das Alphabet an den Mauerwänden."
Schustersohn, Mönch und Renaissance-Vordenker
Tommaso Campanella wurde am 5. September 1568 in Stilo im südlichen Kalabrien geboren und trat mit 15 Jahren in den Dominikanerorden ein. Die Bibel und die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaften – für den Schustersohn Campanella war das kein Widerspruch. Aber dieser Gedanke war nicht ungefährlich in dieser Zeit. Renaissance-Denker wie der von dem brillanten jungen Mönch verehrte Naturphilosoph Bernardino Telesio oder der Priester und Astronom Giordano Bruno stürzten das Weltbild um, in dem Himmel und Hölle ihren festen Platz hatten. Gott ist in allem.
Zweimal wird Tommaso Campanella für diese Ketzerei des Pantheismus von der Inquisition nach Rom zitiert, eingekerkert und gefoltert. Er widerruft seine Lehre und wird nach Kalabrien zurückgeschickt, das damals von den Spaniern beherrscht wird. Mit aufgeklärten Landadeligen und kritischen Priestern bereitet er eine Revolte gegen die Besatzungsmacht vor, mit dem Ziel, eine brüderliche Gemeinschaft ohne Eigentum und Herrschaft zu gründen – wie er sie später in der "Sonnenstadt" ausmalen wird. Die Revolte wird verraten, Campanella zum Tode verurteilt.
In Sonetten schreibt Campanella seine Qualen heraus
Da verfällt er auf eine List, die ihm das Leben rettet: Er zündet seine Matratze an und simuliert Wahnsinn. Verrückte aber dürfen nicht hingerichtet werden, seine Strafe wird in lebenslanges Gefängnis umgewandelt.
In den siebenundzwanzig Jahren seiner Haft in den Kerkern von Neapel schreibt Campanella Sonette, in denen er seine Qualen herausschreit, philosophische Gedichte, in denen er die Sinneserkenntnis preist, und eine mehrbändige Metaphysik. Teil seiner politischen Vision ist diese Utopie von der Sonnenstadt und die Idee der europäischen Einheit. Protestanten, Juden, Muslime in einer Wahrheit vereint, unter dem Dach einer sehr irdischen Weltreligion:
"Sonne und Sterne verehren sie wie lebende Wesen, ... die Sonne als den Vater und die Erde als die Mutter."
Seine Werke waren bis 1900 auf dem Index
Der Mönch im Kerker wollte nicht nur träumen, er wollte das göttliche Reich der Sonne auf Erden errichten. Zunächst trug Campanella seine Vision den Spaniern an, dann dem Vatikan, und, in seinen letzten Jahren, begnadigt und nach Paris emigriert, dem französischen König. Aber am Hofe Frankreichs haben die Realpolitiker gelächelt, als ihnen der greise Mönch aus Kalabrien seine Ideen vortrug, Ludwig den XIV. taufte und ihn den "Sonnenkönig" nannte.
Campanella starb am 21. Mai 1639, seine Werke waren bis 1900 auf dem Index der verbotenen Bücher. Aber seine utopischen Gedanken strahlten durch die nächsten Jahrhunderte: sie instruierten die Vordenker der Französischen Revolution, die sozialistischen Utopiker des 19. Jahrhunderts, die pietistischen Gemeinschaften.
Campanella stellte die Fragen der Moderne
Und heute? Eine Gesellschaft mit vier Stunden Arbeit für jedermann, mit einem Bildungssystem, das allen so viel Weltwissen und Handfertigkeit vermittelt, wie sie brauchen, um ihre Lebenszeit mit Sinn zu füllen, eine Weltordnung, die alle mit dem Minimum zum Leben versorgt, ohne Ansehen ihrer Marktstärke, die Ausrichtung der Produktion an der Endlichkeit der Erde und die Ersetzung von Mineralöl durch Sonne – steht das nicht alles auf der Tagesordnung?
Viel mehr hatte Campanella in seiner "Utopie" vom Sonnenstaat nicht gefordert. Und, wer hatte denn je erwartet, dass die Mächtigen freiwillig aus der Sonne gehen."