Als Dorothee Sölle Gott für tot erklärte
Gott wurde bereits häufiger für tot erklärt - allerdings eher selten von Theologen. Umso provozierender war die Rede der Theologin Dorothee Sölle auf dem Kirchentag 1965, an die Fulbert Steffensky erinnert, der Ehemann der 2003 verstorbenen Sölle.
Auf dem Evangelischen Kirchentag 1965 in Köln hielt die Theologin Dorothee Sölle eine viel beachtete Rede, in der sie mit der damals vorherrschenden "Papa-wird's-schon-richten"-Theologie aufräumte. Sie forderte ein politisches Christentum und erklärte den Gott, an den die Gläubigen die Verantwortung für ihre Handeln delegieren können, kurzerhand für tot.
Sölles späterer Ehemann, der Theologe Fulbert Steffensky, war damals noch einem katholischen Kloster. "Merkwürdigerweise wurde diese Rede mittags beim Mittagessen vorgelesen, und so lernte ich meine Frau über die Rede kennen zunächst."
Bei den konservativen Kirchenleitungen habe Sölles Position damals für einigen Wirbel gesorgt, erinnert sich Steffensky. Heute sei das anders: "Die Kirchenoberen sind nicht das Problem. Die heutigen kirchlichen Oberen sind eigentlich eher auf der Seite von Dorothee Sölle." In einer Volkskirche sei eine "explizite Position" wie die Sölles allerdings nur schwer mehrheitsfähig.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: 2015 ist ja ein Jahr voller Jubiläen, und wir befassen uns jetzt mit einem, das auf ein Ereignis zurückgeht, das vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten ist: Mitten in den Evangelischen Kirchentag 1965 in Köln, der sich ja mit Kirchenreformen befasste, platzte der Vortrag der Theologin Dorothee Sölle, eine der ersten Protagonistinnen der Friedensbewegung. Sie forderte leidenschaftlich in ihrer Rede ein politisches Christentum, und das ist immer etwas verkürzt da geblieben mit ihrer These, vor allem die, die bekannt ist: Gott ist tot. Womit sie natürlich als Christin nicht meinte, es gebe keinen Gott, nur man könne die Verantwortung nicht an ihn zurückgeben, sie wollte einfach aufräumen mit der Papa-wird's-schon-richten-Theologie. Der Theologieprofessor Fulbert Steffensky war mit Dorothee Sölle, die ja 2003 verstorben ist, verheiratet. Die beiden haben etliche Bücher zusammen verfasst. Einen guten Morgen, Herr Steffensky!
Fulbert Steffensky: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Wie haben Sie denn die Rede damals mitbekommen, denn 1965 kannten Sie Ihre Frau ja noch gar nicht?
Steffensky: Nein, ich war damals noch in einem katholischen Kloster, und merkwürdigerweise wurde diese Rede mittags beim Mittagessen vorgelesen, und so lernte ich meine Frau über die Rede kennen zunächst.
Eine Sprache, wie sie unter Theologen kaum zu finden ist
Brink: Wie ist die Rede bei Ihnen angekommen, was haben Sie da gedacht, als Sie das hörten?
Steffensky: Ja, wir fanden das alle sehr spannend, und es hat eigentlich keinerlei Ärgernis erregt und dann Aufmerksamkeit auf eine neue Stimme. Es kommt dazu, dass Dorothee Sölle ja eine ausgezeichnete Sprache hatte, wie sie kaum irgendwo zu finden ist unter Theologen und Theologinnen.
Brink: Nun hat diese Rede ja an den Grundfesten auch gerührt. Damals, wenn wir uns die Zeit noch mal klarmachen, es war ja noch nicht 1968, es war noch sozusagen die gesellschaftliche Ruhe vor dem Sturm – oder wie haben Sie diesen gesellschaftlichen Hintergrund damals erlebt, in die diese Rede dann platzte?
Steffensky: Ich glaube nicht, dass es eine Ruhe vor dem Sturm war. Es war am Ende der 50er-Jahre, am Anfang der 60er-Jahre in den Kirchen und in der Gesellschaft sehr unruhig. Die alten Selbstverständlichkeiten brachen zusammen, es war gerade das Vatikanische Konzil zu Ende, es war der Auschwitz-Prozess, der erste, zu Ende, es war die Ostdenkschrift der evangelischen Kirchen da, also Gewaltverzicht, Anerkennung Oder-Neiße-Grenze – also es war alles sehr unruhig. Und dieser Vortrag gab die Gesamtstimmung eigentlich des Kirchentags wieder. Insofern hat er bei Konservativen Ärger verursacht, es haben sich ja auch konservative Gruppen dann gebildet – kein anderes Evangelium –, aber nicht nur gegen sie und diesen Vortrag, sondern gegen eine andere Theologie.
Brink: War das für Sie dann auch so ein Startschuss, also nicht nur auch in die evangelische Kirche einzutreten, sondern auch zu sagen, wir müssen politische Verantwortung übernehmen?
Steffensky: Ich würde nicht sagen, dass es ein Startschuss war, aber es war sicher eine Bestätigung. Es gab ja – ich war damals im katholischen Raum – auch da große Bewegungen, Walter Dirks und andere, die ein anderes Christentum versuchten, die versuchten, die christliche Tradition zu verbinden mit den gesellschaftlichen Zuständen, die Grundidee meiner Frau.
Heute sind die Kirchenoberen "eher auf der Seite von Dorothee Sölle"
Brink: Hat sich denn diese Forderung nach politischer Verantwortung, ausgehend Mitte der 60er-Jahre, über die Jahre weiterentwickelt? Ich denke so gerade an die Zeit, die danach gekommen ist – NATO-Doppelbeschluss, Tschernobyl, Golfkrieg –, da hat sich ja die evangelische Kirche und ihre Protagonisten haben sich doch immer wieder eingemischt.
Steffensky: Ja, also es gab die Stellung der Kirchenleitungen, die eher konservativ waren also bis feindlich auch, dieser Einmischung, dieser politischen Einmischung gegenüber, aber es gab so viele Gruppen. Ich nenne zum Beispiel eine, an der Dorothee Sölle ja wesentlich beteiligt war: das politische Nachtgebet in Köln. Das heißt, der Versuch, gesellschaftliche Zustände vor dem Evangelium in einem Gottesdienst zu bedenken. Damals hat das einen großen Wirbel verursacht. Die Idee ist weitergegangen, solche Gottesdienste bildeten sich an vielen Stellen. Auf den Kirchentagen sind die Themen Friede, Gerechtigkeit nicht mehr wegzudenken. Ich glaube schon, dass das damit zu tun mit dieser ... seit dieser Aufbruchsbewegung in den 60er-Jahren.
Brink: Meinen Sie, dass diese Position mehrheitsfähig geworden ist, dass auch die Kirchenoberen damit leben können oder sie zum Teil sogar selbst übernehmen?
Steffensky: Die Kirchenoberen sind nicht das Problem. Die heutigen kirchlichen Oberen sind eigentlich eher auf der Seite von Dorothee Sölle, aber die evangelischen ...
Brink: Interessanterweise, nach der ganzen Zeit, nicht?
Steffensky: Ja, ja, sie hatte ja ... Es gab lange Streit, ob sie überhaupt auf dem Kirchentag auftreten durfte. Damals bei ihrer großen Rede in Vancouver beim Ökumenischen Rat der Kirche, gab es eine massive Stellungnahme der Kirchenleitungen gegen sie. Aber das ist nicht das Problem, sondern die evangelische Kirche ist Volkskirche oder war es, und darin ist natürlich diese Position nicht mehrheitsfähig. Das spricht ja nicht gegen sie.
"Propheten sind in einem Volk nie mehrheitsfähig"
Brink: Warum nicht, warum ist das nicht mehrheitsfähig?
Steffensky: Eine Volkskirche ist eine Kirche mit so viel Interessen, Menschen mit so viel Berufen, verschiedenen Berufen, mit so viel verschiedenen Herkünften. Da ist eine explizite Option, wie meine Frau sie hatte, so leicht nicht mehrheitsfähig. Propheten sind in einem Volk nie mehrheitsfähig.
Brink: Der Theologe Fulbert Steffensky, Ehemann der 2003 verstorbenen Theologin Dorothee Sölle. Herzlichen Dank, Herr Steffensky!
Steffensky: Ja, danke Ihnen, Frau Brink!
Brink: Wir haben das Gespräch genommen, der Anlass war der Kirchentag 1965, da hat Dorothee Sölle eine spektakuläre Rede gehalten und die Verantwortung als Christin für sich reklamiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.