Vor 50 Jahren

Die Selbstverbrennung von Jan Palach in Prag

Schwarzweiß-Aufnahme des Studenten Jan Palach
Der Student Jan Palach © picture alliance / dpa / CTK
Von Doris Liebermann |
Im August 1968 waren in Prag Panzer des Warschauer Paktes aufgefahren, um den "Prager Frühling" gewaltsam zu beenden. Aus Protest gegen die Okkupation übergoss sich vor 50 Jahren der Student Jan Palach mit Benzin und zündete sich an.
Es war kein Zufall, dass Jan Palach für sein Fanal den Wenzelsplatz wählte. Es ist der bedeutendste Platz in Prag, benannt nach dem Heiligen Wenzel von Böhmen. Wenige Monate zuvor, im August 1968, waren dort die Panzer des Warschauer Paktes aufgefahren, um den "Prager Frühling" gewaltsam zu beenden.
An diesem 16. Januar 1969 traf Jan Palach am frühen Nachmittag mit der Straßenbahn am Wenzelsplatz ein. Er ging zur Hauptpost und gab vier Abschiedsbriefe auf. Einer war an den Schriftstellerverband adressiert. Unterzeichnet hatte er mit "Fackel Nr. 1".

"Da unser Land davor steht, der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, haben wir uns dazu entschlossen, unserem Protest auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, um die Menschen aufzurütteln."
Massenproteste gegen Panzer auf Prager Straßen
Protest gegen die Sowjetruppen in Prag 1968.© imago/CTK Photo

Schwere Verbrennungen

Dann kaufte der 20-Jährige einen Eimer Benzin an der nächsten Tankstelle. Vorsichtig ging er zum Nationalmuseum oberhalb des Wenzelsplatzes. Niemand beachtete ihn. An der Museumstreppe goss er das Benzin über Kopf und Körper, riss ein Streichholz an und entzündete sich. Er brannte sofort lichterloh. Als "lebende Fackel" lief er über den Platz, an entsetzten Menschen vorbei. Ein Angestellter der Verkehrsbetriebe riss sich seinen Mantel vom Leib, rannte zu ihm und erstickte das Feuer. Jan Palach wurde mit schweren Verbrennungen in ein Krankenhaus gebracht. Dort sagte er:
"Ich bin kein Selbstmörder."
"Am ersten Tag konnte er noch reden, dann wurde es immer schlimmer, aber am ersten Tag, ich war dort, hatte er gesprochen. Das war für ihn das Wichtigste, dass es die Leute verstehen. Aber jeder verstand, das ganze Land."
Die Ärztin Jaroslava Moserová hatte an diesem Tag Dienst:
"Von Anfang an hatten wir größten Respekt vor ihm. Irgendwie verstand jeder im Haus sofort, warum er es getan hatte. Er wollte uns an Jan Hus erinnern. Unser Jan, der Jan des 20. Jahrhunderts, wollte unser Gewissen aufrütteln."

Interesse an Gestalten der tschechischen Vergangenheit

Jan Palach, 1948 geboren, wuchs in Všetaty, einer kleinen Stadt unweit von Prag auf. Sein Vater arbeitete in einer Fabrik. Die Mutter war Verkäuferin. Jan Palach war ein lauterer Mensch, schon von Kindheit an, still, bescheiden, schüchtern, wahrheitsliebend. Ein durchschnittlicher Schüler, der im Abitur nur eine Eins hatte: in Geschichte. Er interessierte sich für die großen Gestalten der tschechischen Vergangenheit, vor allem für den böhmischen Reformator Jan Hus, der 1415 als Ketzer verbrannt worden war.
Der böhmische Reformator und Philosoph Jan Hus 
Der böhmische Reformator und Philosoph Jan Hus wurde 1415 in Konstanz wegen Ketzerei verbrannt.© picture alliance/dpa/Foto: Prisma Archivo
Es war eine bewegte Zeit, als Palach 1967 sein Studium an der Wirtschaftshochschule in Prag begann. Literatur und Film setzten neue Denkimpulse in der Tschechoslowakei. Mit Alexander Dubček, der Anfang 1968 zum Vorsitzenden der Kommunistischen Partei gewählt wurde, begann das Reformexperiment "Sozialismus mit menschlichem Antlitz".
Über den Einmarsch des Warschauer Paktes in der Nacht des 20. August 1968 war Jan Palach ebenso erschüttert wie die meisten seiner Landsleute. Von Mitte September bis Mitte Oktober 1968 reiste er noch zur Weinlese nach Frankreich, per Autostopp durchquerte er die Bundesrepublik.

Symbolfigur des Protests

Wieder zu Hause, sammelte er Zeitungsartikel, darunter solche über Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche, die gegen den Vietnamkrieg protestierten. Niemand ahnte, dass er selbst vorhatte, seine Landsleute auf diese Weise aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wachzurütteln, die auf die Niederschlagung des "Prager Frühlings" gefolgt waren. Im Krankenhaus versuchte eine Ärztin, mit dem Schwerverletzten zu reden.
"Was sagst Du?"
"Der Mensch muss das Böse so gut wie nur möglich bekämpfen."


Jan Palach starb am 19. Januar 1969. Seine Beerdigung glich einer Massendemonstration, mehr als zehntausend Menschen folgten seinem Sarg. Einen Monat später entzündete sich ein anderer junger Mann in Prag: Jan Zajic, 18 Jahre alt. Er starb sofort. Heute wird Jan Palach weltweit als Symbolfigur für den Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings geehrt.
Trauermarsch anlässlich des Todes von Jan Palach 1969
Zehntausende Menschen nahmen am 25. Januar 1969 am Trauermarsch in Prag teil. © imago/CTK Photo
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