Vor 50 Jahren

Eigenes Öl für die Briten

Eine Erdölraffinerie in Grangemouth in Schottland im Abendlicht.
Die Nordseeanrainer fühlten sich Mitte der 70er-Jahre reich beschenkt. Denn das Öl war von besonderer Qualität. © imago / blickwinkel
Von Andreas Baum |
Während die Öl-Branche in der Nordsee heute kurz vor dem Aus steht, witterte man am 3. November 1975 Morgenluft: Großbritannien öffnete seine erste Pipeline. Den Startschuss gab keine Geringere als Königin Elisabeth II.
"This is a day of outstanding significance in the history of the United Kingdom."
Als Elisabeth die Zweite, Königin von Großbritannien und Nordirland, am 3. November 1975 mit einem symbolischen Knopfdruck das Erdöl aus der Nordsee durch eine eigene Pipeline auf ihre Insel schickt, ist dies ohne Zweifel, wie sie sagt, ein Tag von herausragender Bedeutung in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Mit diesem offiziellen Akt soll es nicht nur den Briten, sondern ganz Westeuropa gelingen, sich aus der Abhängigkeit von den Golfstaaten zu befreien.
Denn zwei Jahre zuvor hatten die arabischen Länder dem Westen einer Lehre erteilt: Als Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg drosselten sie ihre Fördermengen. Ein wahrer Preisschock war die Folge, der die Industrieländer dies- und jenseits des Atlantiks über Monate lähmte. Nun aber sprudelt Nordseeöl aus eigenen Quellen und fließt durch eine eigene Pipeline ungehindert zu den Raffinerien Großbritanniens.
"Vor einem Moment, als ich den Knopf drückte, sahen wir das Öl der British Petroleums aus dem Fourties Field durch die Pipeline strömen. Dieses erste Rinnsal wird anwachsen und bis 1977 werden die Vorräte allein aus diesem Ölfeld ein Viertel des Bedarfes decken, den wir als Nation haben."
Die Aufteilung der Nordsee in fünf Sektoren
Die Nordseeanrainer fühlten sich Mitte der 70er-Jahre reich beschenkt. Denn das Nordseeöl, das erst in den 50er-Jahren entdeckt und in den 60ern erschlossen wurde, war von besonderer Qualität. Ebenso hochwertig wie das arabische Öl und mit einem ähnlich niedrigen Schwefelgehalt wie das texanische, schien es in großen Mengen vorhanden zu sein: Wenn wir gut damit umgehen, so schließt die Queen ihre Rede, kann dieser Energiefluss unser wirtschaftliches Wohlergehen sehr befördern.
Nach der Entdeckung des Öls wurde die Nordsee unter den fünf Förderländern in Sektoren aufgeteilt. Großbritannien, Norwegen, die Niederlande, Dänemark und Deutschland bauten Ölplattformen und verbanden sie mit langen Pipelines mit dem Festland. Besonders wichtig waren die Quellen für Norwegen. Lange Jahre stützte sich die Wirtschaft des Landes, das nicht in der Europäischen Union ist, auf die Ölfelder. Anfang 1977 versuchte der Leiter im Wirtschaftsdepartement des norwegischen Außenministerium Tor Bugge, die verbündeten Länder Westeuropas zu beruhigen: Sie würden in erster Linie vom neuen Reichtum der Skandinavier profitieren. "Öl und Gas aus den norwegischen Gebieten werden in allen Fällen zu unseren Nachbarn in Europa gehen."
Rückschläge ließen nicht lange auf sich warten. Anfang Mai 1977 riss auf der norwegischen Plattform Bravo ein Ventil. Tagelang strömte Öl mit unvorstellbarer Wucht ins Meer und trieb auf die Küsten zu. RIAS-Reporter Harro Zimmer berichtete vom Ausmaß der Katastrophe.
"Der Ölteppich ist so groß wie das Saarland von der Fläche, 2.500 Quadratkilometer, die Ölschicht an einzelnen Stellen zwei bis drei Zentimeter dick, und das alles wächst natürlich von Tag zu Tag. Wir haben gerade in den letzten Tagen auch bemerkt, dass die meteorologischen Bedingungen durchaus nicht so gut prognostizierbar und stabil sind wie man es angenommen hatte, dass man also nur sagen kann, dass das Öl vor die Küste von Norwegen treibt, es kann also ebenso gut in die Deutsche Bucht oder an die dänischen Küsten geraten."
Die zusätzlichen Kosten für das Nordseeöl stiegen um viele hundert Millionen Pfund - und die Zweifler, die die Ölförderung von Anfang an für ein unkalkulierbares Risiko gehalten hatten, kamen wieder zu Wort. Bereits 1970 hatten Ökonomen errechnet, dass der sogenannte Öl-Peak, die Höchstfördermenge, zur Jahrtausendwende erreicht sein würde, und so kam es auch. Lag die Fördermenge 1999 noch bei 250 Millionen Tonnen jährlich, schrumpft sie seitdem kontinuierlich. Seit der Weltmarktpreis sinkt, weil in anderen Weltgegenden immer effektiver und billiger Öl gesucht und gefördert wird, gerät die Branche in der Nordsee in die Krise. Die Felder sind alt und ausgelaugt, ändern würde das paradoxerweise nur ein hoher Ölpreis. "Wir stehen kurz vor dem Kollaps. Beim derzeitigen Ölpreis ist es fast unmöglich, Geld zu verdienen."
So sieht es Robin Allan, Chef der britischen Ölförderer. Anfang 2015 hat er jede Hoffnung für das Nordseeöl verloren. Experten zufolge könnte die Erdölförderung in der Nordsee im Jahr 2020 endgültig der Vergangenheit angehören.