Bürgerkrieg, Hungersnot und koloniales Erbe
Keine drei Jahre dauerte die Geschichte der unabhängigen Republik Biafra, der Provinz des Stammes der Igbo, die sich von Nigeria lossagte. In dem anschließenden Bürgerkrieg kämpfte die nigerianische Armee gegen die Separatisten und versuchte, die 14 Millionen Menschen in Biafra auszuhungern. Ein Genozid vor den Augen der Welt. Der Krieg offenbarte das nicht bewältigte Erbe des Kolonialismus.
"Land der aufgehenden Sonne, das wir lieben und schätzen,
Geliebte Heimat unserer tapferen Helden;
Wir müssen unser Leben verteidigen oder untergehen …"
Geliebte Heimat unserer tapferen Helden;
Wir müssen unser Leben verteidigen oder untergehen …"
Die Hymne des neuen Staates Biafra erzählt vom Leid der Igbo, die im Südosten Nigerias leben. Sie beschwört ihren Freiheitswillen. Auf der Flagge strahlt eine aufgehende Sonne.
Die nigerianische Provinz erklärt sich am 30. Mai 1967 zur unabhängigen Republik Biafra. Kurz danach beginnt ein mörderischer Krieg. Die gut gerüstete nigerianische Armee marschiert ein und kämpft gegen eine Separatisten-Truppe, die mit Holzgewehren trainiert. Angefeuert von ihrem Anführer, Chukwuemeka Odumegwu Ojukwu.
"Fight on brave boys, fight on. Heroes of our fatherland, pursue the enemy, harass him, destroy the invader …”
Die Ursachen des grausamen Bürgerkriegs reichen zurück bis in die Kolonialzeit. Unter den britischen Kolonialherren lebten sehr unterschiedliche Volksgruppen in Nigeria: die muslimisch geprägten Haussa und Hirten der Fulani in feudalen Emiraten im Norden. Die Yoruba, deren Macht durch Riten und Räte kontrolliert wurde, in städtischen Königreichen im Westen. Und die Bauern der Igbo im Osten, in einer Art anarchischer Demokratie, ohne Dörfer, Städte und Oberhäupter.
Koloniale Bevorzugung
Einst geschlossene Gesellschaften wurden gegeneinander ausgespielt. Die Kolonialmacht zog die christlichen Igbo zur neuen Elite heran, förderte ihre Entwicklung, Bildung und ihren Wohlstand.
Als die Briten Nigeria 1960 in die Unabhängigkeit entließen, war das Land von nationaler Einheit weit entfernt. Die Konkurrenz zwischen den Ethnien und Regionen vertiefte sich. Nun fühlten sich die Igbo im Süden benachteiligt. Rebellenführer Ojukwu:
"In einem Bundesstaat sollte kein Landesteil die anderen überwiegen. Leider war das in Nigeria nicht so. Der Norden war größer als der Rest des Landes, und das schuf viele Spannungen.”
Hinzu kam, dass Hunderttausende Igbo zwar im Norden arbeiteten, dort aber als Fremde galten. 1966 putschten sich Igbo-Offiziere an die Macht und brachten einige Anführer der Haussa um. Wenig später kam es zum Gegenputsch von Haussa-Militärs und zu Pogromen gegen die in Nordnigeria lebenden Igbo. Rund 30.000 wurden ermordet, eine Million Igbo floh zurück in ihre Heimat im Südosten des Landes.
Da rief Odumegwu Ojukwu Biafra als unabhängigen Staat aus.
"Es war weniger eine Erklärung der Unabhängigkeit als die einer roten Linie: bis hierher und nicht weiter. Ihr habt uns in ganz Nigeria herumgestoßen, aber wir werden bis zum letzten Mann kämpfen.”
Hungersnot als Kriegswaffe
Die Zentralregierung verhängte eine Versorgungsblockade gegen die abtrünnige Provinz. Die Folge war eine extreme Hungersnot. Erst da reagierte die Welt - zwischen Vietnamkrieg und Prager Frühling - auf die Bilder hungernder Kinder mit großen Bäuchen und spindeldürren Armen. Mindestens eine Million Menschen starben. Am 12. Januar 1970 musste Biafra kapitulieren und wurde wieder dem nigerianischen Staat eingegliedert. Aber viele Igbo verloren ihre Bankguthaben und wurden weiter diskriminiert.
Trotz einer Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen warten die Igbo bis heute vergeblich auf eine öffentliche Entschuldigung oder gar Entschädigung. Die Tragödie ist tabu. Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka – vom Volk der Yoruba.
"Vor allem Amtsträger möchten sich nicht mit der Vergangenheit konfrontieren, speziell mit einer Geschichte, mit der sie sich unwohl fühlen. Aber wenn man sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzt, bringt man die Zukunft in Unordnung. Das ist offensichtlich."
Nach wie vor fühlen sich viele Nigerianer, auch im Süden, im Stich gelassen. Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildung und Infrastruktur haben in der Region Biafra die Idee der Unabhängigkeit wieder aufleben lassen.