Sie trotzte männlicher Dominanz
Die Papsttochter und Renaissance-Fürstin Lucrezia Borgia galt zu ihrer Zeit als Femme fatale. Sie war eine kluge Kunstmäzenin und Unternehmerin. Und immer wieder emanzipierte sie sich von den mächtigen Männern des Borgia-Clans.
"Lucrezia Borgia - sie, die Zier der Frauen, der keine Schönheit, keine Tugend fehlt." So schön, wie der Dichter Ariost sie im "Rasenden Roland" beschreibt, sieht Lucrezia Borgia auch auf einem Portrait des Malers Dosso Dossi aus. Ein wenig trotzig, der Mund kirschrot, das Kinn und die Wangen noch kindlich rund, der Blick fixiert den Betrachter, als wolle er fragen: Welches Gerücht haben Sie heute über mich gehört?
"Das leichteste Opfer ist immer die Frau", sagt die Autorin und Übersetzerin Friederike Hausmann. Sie hat sich mit der Biographie der Renaissance-Fürstin ausführlich beschäftigt. Die Gerüchte, die später die Fantasie von Victor Hugo und Gaetano Donizetti beflügeln und aus Lucrezia eine dämonische Femme fatale machen, beginnen mit der Heiratspolitik ihres Vaters.
Belohnung für den Verbündeten des Vaters
Lucrezia wird 1480 als drittes Kind von Kardinal Rodrigo Borgia und seiner Geliebten Vanozza geboren. Als sie zwölf Jahre alt ist, wird ihr Vater durch Bestechung zum Papst gewählt und nennt sich nun Alexander VI. mit tatkräftiger Unterstützung von Kardinal Ascanio Sforza, Bruder des Mailänder Usurpators Ludovico Il Moro.
Für seinen Einsatz möchte Ascanio belohnt werden und bekommt Lucrezia zur Ehefrau. Die Tochter wird verschachert. Aber schon nach drei Jahren passt diese Ehe nicht mehr in Alexanders politisches Konzept.
"Sein eigentliches Ziel war, verwandtschaftliche Beziehungen zu dem Königreich Neapel zu schließen. Neapel war eigentlich der stärkste und größte Staat zum damaligen Zeitpunkt in Italien, eigentlich ja der berühmteste, älteste und bedeutendste", erklärt Hausmann.
Wilde Gerüchte über Orgien und Inzest
Um die Ehe annullieren und das Bündnis mit Neapel durch eine zweite Ehe mit Alfonso von Aragon aus dem neapolitanischen Königshaus besiegeln zu können, lassen Lucrezia und der Papst öffentlich verlauten, Ascanio sei zeugungsunfähig. Die 16-Jährige ist während ihrer Ehe ohnehin in Rom bei der Familie geblieben, sie spielt das Spiel bereitwillig mit – offenbar ohne eine Ahnung von der Macht der Worte.
"Das war ein Eklat erster Ordnung, gesellschaftlich gesehen war das absolut unmöglich, dass die Frau sagt: Der Mann ist impotent", erkläutert Hausmann.
Die Intrige fällt auf Lucrezia zurück, von da an setzen Alexanders politische Gegner die wildesten Gerüchte über Inzest, Orgien und Buhlschaften in die Welt. Lucrezia macht es den Ränkeschmieden leicht: Am Hof ihres Vaters geht sie vor allem ihrem Vergnügen nach, tanzt, feiert, genießt das Leben – so wie ihr Vater, ihr Bruder und der gesamte Anhang.
Spielball der Borgia-Familie
Der Borgia-Clan ist allerdings nicht nur Opfer: Lucrezias zweite Ehe ist dem Vater durch ein neues Bündnis mit Frankreich nun ein Hindernis, Bruder Cesare lässt Alfonso kaltblütig ermorden. Lucrezia ist in tiefer Trauer. Zum ersten Mal vielleicht spürt sie persönliche Konsequenzen, einen tiefen Einschnitt in ihr Leben. Sie beschließt, sich nicht mehr als Spielball der Familie benutzen zu lassen. Ihr Vater schlägt ihr immer wieder neue Ehemänner vor, sie stellt sich stur, erst bei Alfonso d’Este willigt sie ein.
"Weil es für sie die einzige Möglichkeit war, aus dieser vergifteten Atmosphäre in Rom wegzukommen. Aber zugleich nicht aus Italien weg. Sie hat sich einen Platz erkämpft", sagt Hausmann.
Früher Tod mit 39 Jahren
Die Ehe mit Alfonso ist zwar nicht von Liebe, dafür von gegenseitigem Respekt getragen. Und ermöglicht ihr ein Leben als Herrin. Den Respekt des Hofes und des Volkes verschafft sie sich nicht nur als Mäzenin der schönen Künste, sondern auch durch ihre unternehmerischen Talente.
"Sie hat Land gekauft oder unter bestimmten Bedingungen übernommen und hat es urbar gemacht. Da kann man durchaus sagen, sie hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet."
Als Lucrezia Borgia, gesundheitlich durch die vielen Schwangerschaften ohnehin schwer mitgenommen, am 24. Juni 1519 mit 39 Jahren nach der Geburt ihres achten Kindes – die Quellenlage ist nicht ganz eindeutig – auf ihrem geliebten Landsitz Belriguardo bei Ferrara stirbt, trauert das ganze Herzogtum, vor allem der Ehemann. Auch heute noch ist die Papsttochter Projektionsfläche – nicht mehr als Femme fatale, sondern als Frau, die sich in einer von Männern dominierten Welt emanzipieren konnte.