Vor 70 Jahren

Wolfgang Borcherts Drama "Draußen vor der Tür" urgesendet

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Sebastian Nakajew als Beckmann in einer Aufführung von "Draußen vor der Tür" an der Berliner Schaubühne. © imago stock&people
Von Christian Linder |
Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag, protestierte ein Schriftsteller mit einem Heimkehrerdrama gegen die zerstörerische Macht des Kriegs. Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" - am 13. Februar 1947 als Hörspiel urgesendet - war der Beginn einer neuen Epoche in der deutschen Literatur.
Als habe jemand sich auf einen Markplatz gestellt und sein von ohnmächtiger Wut und zugleich Trauer geprägtes Leiden herausgeschrien:
"Wo ist der Tod? Wo, wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Wo seid ihr denn alle? Gebt doch Antwort. Warum gibt denn keiner eine Antwort?"
Mit diesem Schrei auf einem Marktplatz begann am 13. Februar 1947 die deutsche Nachkriegsliteratur. An jenem Tag sendete der damalige Nordwestdeutsche Rundfunk Hamburg erstmals Wolfgang Borcherts ursprünglich fürs Theater geschriebene Stück "Draußen vor der Tür" als Hörspiel.
Borchert kehrte entstellt und entkräftet aus dem Krieg zurück
Hauptfigur ist ein gewisser Beckmann, ein Mann ohne Vornamen, als Soldat im Zweiten Weltkrieg psychisch verwüstet und körperlich ruiniert – wie Wolfgang Borchert selbst, der nach Kriegsende bei Rückkehr in seine Heimatstadt Hamburg durch die Erlebnisse an der russischen Front so entstellt aussah, dass seine Mutter bei der ersten Wiederbegegnung zutiefst erschrocken war:
"Ich sah Wolfgang ankommen in alten Klamotten und am Stock, uralt, mit einer dunklen Brille, ich kannte ihn kaum wieder."
"Einer von denen, einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist, und ihr Zuhause ist dann draußen, vor der Tür. "
Stück entsteht innerhalb von acht Tagen
Die Geschichte Beckmanns, der nach Kriegsende in der Trümmerlandschaft Hamburgs herumirrt und seinen Protest gegen Krieg und jede Formen von Willkür in die Welt hinausschreit, auch um den Verantwortlichen für den Krieg ihre Verantwortung "zurückzugeben", hatte Borchert innerhalb von nur acht Tagen, im Januar 1947 geschrieben.
Schon ein paar Tage nach Fertigstellung landete das Manuskript auf dem Schreibtisch des damaligen Chefdramaturgen des Nordwestdeutschen Rundfunks, Ernst Schnabel, der sofort den einzigartigen Rang des Textes erkannte. Um den Autor für sein Projekt einer Hörspielfassung zu gewinnen, besuchte er Borchert:
"Da lag ein ganz junger Mann im Bett, von einer merkwürdigen italienischen Schönheit. Er hatte einfach eine so wahnsinnige Gelbsucht, dass er braun war im Gesicht."
Von unheilbarer Krankheit gezeichnet
Der junge Mann, 25 Jahre alt, war mit der Gelbsucht im fortgeschrittenen Stadium und auch wegen eines zerschossenen Knies zwar sofort nach Rückkehr in ein Hamburger Krankenhaus eingeliefert worden, wurde jedoch kurz darauf von den Ärzten mit der Diagnose "unheilbar" entlassen.
Schon im Krankenhaus hatte Borchert eine Arbeit wieder aufgenommen, die ihn seit frühester Jugend beschäftigt und auch in den Jahren an der russischen Front beim psychischen Überleben geholfen hatte, das Schreiben von Gedichten:
"Ich möchte Leuchtturm sein / in Nacht und Wind / für Dorsch und Stint / und jedes Boot – / und bin doch selbst / Ein Schiff in Not."
Da aufgrund seiner Krankheit an eine Rückkehr in die erlernten Berufe zunächst eines Buchhändlers, anschließend eines Schauspielers nicht zu denken war, begann Borchert, in seiner Not, neue Gedichte und auch Erzählungen wie "Die Hundeblumen" zu schreiben.
"Es ging eine unbeschreibliche Ruhe von ihm aus"
Von Ernst Schnabels Vorschlag einer Hörspielfassung von "Draußen vor der Tür" war er sofort angetan und bat darum, den als Sprecher der Hauptfigur vorgesehenen Schauspieler Hans Quest persönlich kennen lernen zu dürfen.
"Ich habe ihn dann besucht, und es hat sich sehr schnell zwischen uns eine spontane Freundschaft entwickelt. Es ging eine unbeschreibliche Ruhe von ihm aus. Wenn man also daran denkt, sein "Draußen vor der Tür" , was er in einer Woche seinem Vater diktierte, war ein Fiebertraum – so war im Gesicht davon nichts zu spüren."
Borchert stirbt im Alter von 26 Jahren
Für Hans Quest wurde die Figur des Beckmann zur Rolle seines Lebens.
"Wer schützt uns davor, dass wir nicht Mörder werden? Wir werden jeden Tag ermordet und jeden Tag begehen wir einen Mord. Wir gehen jeden Tag an einem Mord vorbei, und der Mörder Beckmann hält das nicht mehr aus, gemordet zu werden und Mörder zu sein, und er schreit der Welt ins Gesicht: Ich sterbe."
Einen Tag nach Wolfgang Borcherts Tod am 20. November 1947 im Alter von 26 Jahren wurde "Draußen vor der Tür" in den Hamburger Kammerspielen auch als Theaterstück uraufgeführt. Die Rechte an Borcherts Werk hatte zu dem Zeitpunkt der Rowohlt Verlag erworben. Wie schon im Hörspiel spielte Hans Quest die Hauptrolle des Beckmann.
"Bei Beginn der Proben kam Ernst Rowohlt mit dem ersten gedruckten Bühnenheft und ich schlage das Buch auf und da steht: Hans Quest gewidmet. Und er schickte mir noch fünf Tage vor seinem Tod eine Postkarte. Der letzte Satz auf dieser Karte war: Ich falle, ich falle, ich sehe keinen Silberstreifen."
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