Vor 80 Jahren

Fünf auf einen Streich

Die Fünflings-Mädchen (l-r) Annette, Yvonne, Cecile, Emilie und Marie Dionne während ihrer ersten Pressekonferenz in den USA am St. CatherinesÂs College in St. Paul am 27. Januar 1952.
Die Fünflings-Mädchen (l-r) Annette, Yvonne, Cecile, Emilie und Marie Dionne während ihrer ersten Pressekonferenz in den USA am St. CatherinesÂs College in St. Paul am 27. Januar 1952. © picture alliance / dpa / UPI
Von Andrea Westhoff |
Die "Dionne-Fünflinge" sind in die Annalen ihres Heimatlandes Kanada eingegangen. Bis zum 28. Mai 1934, als die fünf eineiigen Mädchen auf die Welt kamen, hatte es keine vergleichbare Geburt gegeben. Doch ihr weiteres Leben war von einigen tragischen Ereignissen geprägt - und von der Vermarktung ihrer Kindheit.
1951 Die englische Königsfamilie legt bei ihrem Kanadabesuch einen Stopp in North Bay, Ontario, ein, weil Prinzessin Elisabeth hier eine Weltsensation präsentiert werden soll:
"Diese identisch gekleideten Mädchen sind die ersten bekannten überlebenden Fünflinge der Welt, die mittlerweile 17-jährigen Schwestern Yvonne, Annette, Cécile, Emilie und Marie Dionne."
Die Wahrscheinlichkeit für natürlich gezeugte Fünflinge liegt bei einer zu 50 Millionen. Durch künstliche Befruchtung kommen solche Mehrlingsschwangerschaften heute zwar häufiger vor, doch selbst unter Einsatz modernster medizinischer Techniken und Versorgung ist es immer noch äußerst schwierig und selten, wenn mehr als drei Kinder lebensfähig und gesund geboren werden.
Geburt in einer Hütte ohne Strom und Wasser
Die eineiigen Dionne-Fünflinge aber kamen am 28. Mai 1934 in einer Hütte ohne Wasser und Strom zur Welt, die Mutter nur unterstützt von dem Landarzt Dr. Allan Roy Dafoe sowie zwei Hebammen, und jedes Kind wog nicht einmal 1000 Gramm. Doch sie haben es geschafft und eine kanadische Radiostation spielte in dem Jahr immer wieder das eigens für sie geschriebene Schlaflied.
"Vesperbells are ringing, angel voice are singing, Quintuplets your lullaby."
Die Eltern allerdings, Elizire und Oliva Dionne, waren arme Bauern und in den Zeiten der Großen Depression eher verzweifelt als glücklich über fünf weitere Esser. Also beschloss der Vater, die "Wunderbabies" gegen Geld auf der gerade laufenden Weltausstellung in Chicago zu präsentieren. Daraufhin entzog ihm die Regierung von Ontario 1935 das Sorgerecht und gab die gerade erst einjährigen Mädchen in die Obhut ihres Geburtshelfers.
"Yvonne, Annette, Emilie, Cecile, Marie come out, I brought beautiful puppys"
"Ouiiih"
Der kanadische Staat verdiente an ihnen 500 Millionen Dollar
Dr. Dafoe kümmerte sich zwar liebevoll um die Fünf, und mehrere Krankenschwestern pflegten und versorgten sie gut. Zugleich aber vermarktete der Arzt die Kinder in unglaublicher Weise, zusammen mit den kanadischen Behörden: Man ließ eine Farm direkt gegenüber ihres ehemaligen Elternhauses in Corbeil, Ontario, zu einem Freizeitpark mit dem Namen "Quintland"/"Fünflingsland", ausbauen. Dort konnten tausende von Besuchern mehrmals täglich die fünf fast identisch aussehenden Mädchen hinter Glas besichtigen; bald gaben sie auch selbst kleine Showeinlagen.
Die Fünf prangten auf Maissirupflaschen und Frühstücksflockenkartons, warben für Zahnpasta, Spülmittel und Puppen natürlich. Es gab mehrere Hollywoodfilme über sie, und in den 1940er Jahren wurden die kleinen Mädchen sogar zur Taufe von Kriegsschiffen benutzt. Der kanadische Staat verdiente etwa 500 Millionen Dollar mit ihnen. "Quintland" zog von 1935 bis 43 mehr Touristen an als die Niagarafälle.
Dann erstritten die Eltern wieder das Sorgerecht für die inzwischen neunjährigen Mädchen. Aber ein "Zuhause" und eine Familie fanden sie nicht.
"Als die ‚Dionne-Fünflinge' waren wir dazu verdammt, ‚the world's No. 1 peepshow' zu sein",
schrieb Annette 1967 in der Zeitschrift "The Canadian".
Vom Vater sexuell missbraucht
Sie seien von der Mutter und den mittlerweile neun Geschwistern wie Fremde betrachtet und misshandelt, vom Vater sogar sexuell missbraucht worden, heißt es in ihrer 1996 erschienenen Biografie mit dem Titel "Family Secrets". Mit 19 verließen alle fünf ihr Elternhaus und brachen den Kontakt ab. Emilie wollte ins Kloster gehen, starb jedoch mit 20 Jahren an einem epileptischen Anfall. Auch Marie wurde nur 36 Jahre alt. Die drei übrigen Schwestern lebten später, nach gescheiterten Ehen, zusammen in Montreal fast vergessen und in ärmlichen Verhältnissen. Das änderte sich erst, als sie sich entschlossen, die Regierung Ontarios zu verklagen, um einen gerechten Anteil der "Quintland-Einnahmen" zu bekommen. 1998 wurden ihnen vier Millionen Dollar zugesprochen.
Im gleichen Jahr schrieben sie einer Frau, die die ersten überlebenden Siebenlinge bekommen hatte, einen offenen Brief im TIME Magazine:
"Wir hoffen, Ihre Kinder erhalten mehr Respekt als wir. Mehrlingsgeburten sollten nicht mit Unterhaltung verwechselt werden."
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