Der große Kulturenvereiniger
Er gilt als der Mann, der den Blues und den Jazz für die weiße Hochkultur entdeckte. Mit Stücken wie "Rhapsody in Blue" oder "Porgy and Bess" wurde er weltberühmt: George Gershwin. Vor 80 Jahren starb der Komponist, Pianist und Dirigent.
Eigentlich war es dieser eine Ton, der die Tür zu einer allamerikanischen Kunstmusik aufriss: dieser eine klagende Ton, der einem durch Mark und Bein ging und der gleichzeitig alle Freude und allen Schmerz und alle Schönheit und alle Wildheit in sich vereinte.
Dass ausgerechnet George eine neuartige Musik in die amerikanischen Konzerthäuser bringen sollte, hatte eigentlich niemand erwartet, denn für Musik hatte er sich erst interessiert, als sein älterer Bruder Ira ein Klavier geschenkt kriegte und George sich das dann unter den Nagel riss. Bis dahin hatte er sich eigentlich eher als Raufbold und Straßenkid hervorgetan rund um die jiddischen Theater an der Lower East Side in Manhattan mit immer neuen Spielkameraden, weil seine Eltern ständig umzogen.
Junges Dreamteam für den Broadway
George Jakob Gershwin, geboren als Sohn des Schwitzbadbesitzers Moishe Gershovitz und seiner Frau Rose, russischen Einwanderern: Weil er schnell Klavierspielen lernt, arbeitet er mit 14 bei einem großen Musikverlag in der Tin Pan Alley - da wo wie auf dem Fischmarkt aus kleinen Läden raus Songs verkauft werden. George spielt der Kundschaft die Songs vor. Aber weil er einen Teil seiner Arbeitszeit darauf verwendet, nicht nur fremde Noten zu spielen, sondern selbst zu komponieren, wird er natürlich entlassen.
Als er sich dann mit Bruder Ira als Textschreiber zusammentut, werden die beiden zum Dreamteam für den Broadway. Sie schreiben Schlager, die gut ankommen und sie nach kurzer Zeit bereits reich machen. Sie schreiben Revuen, aber George reicht das nicht. Er will seriöse Musik schreiben. Und dann kam eben dieser frostige Februarabend 1924.
Die Kritiker meckerten überwiegend, aber beim Publikum war die Uraufführung der "Rhapsody In Blue" ein großer Erfolg – zum ersten Mal spielte ein Orchester, wie sich Amerika anfühlte: der stampfende Rhythmus der Eisenbahn, das Rumoren der großen Städte, das Schweigen der weite Prärie – all das hörte man in diesem Stück des 26-Jährigen, alles gewürzt, so muss man sagen, mit den Blue Notes des Jazz: Denn natürlich war das kein Jazz, was Gershwin da komponiert hatte. Aber die meisten New Yorker wussten damals eh nicht, was Jazz war - der Jazz spielte sich in Chicago ab. In New York gab es allenfalls Tanzkapellen, doch Gershwin hatte den Stride-Pianisten in den Bars von Harlem gelauscht und baute deren neueste Tricks und Techniken, ihre Synkopen und Intervalle in seine Kompositionen ein - und das so gut, dass Jazzmusiker bis heute seine Broadway-Songs als Improvisationsgrundlage nehmen.
Die wirklichen Wurzeln der schwarzen Musik aber entdeckt Gershwin 1934 bei einem langen Aufenthalt in South Carolina und verarbeitet sie in "Porgy and Bess" - einer Oper, gespickt mit Hits, die völlig zeitlos sind, und einer Oper, über die die Berliner SPD-Zeitung Telegraf im Jahre 1970 noch fragte, ob sie ein Modell für Klassenkampf darstelle ... gemäß dem Willen Gershwins darf das Stück auf der Bühne jedenfalls ausschließlich von Schwarzen aufgeführt werden.
Türöffner für Jazz und Blues
Bei der Kritik fiel dann zwar auch "Porgy and Bess" wieder durch, dafür aber wurde die Oper aus der Catfish-Street zur Volksoper! Und Gershwin war glücklich: Er hatte etwas gemacht, das all die Wahrheiten in seinem Herzen in sich vereinte!
Doch dann muss alles ein bisschen bitter geworden sein, denn anscheinend haben in seinen letzten Jahren die Freunde und Angehörigen dieses feinsinnigen und sensiblen Mannes seine rasenden Kopfschmerzen als Neurosen abgetan, was schrecklich chic war damals in den New Yorker Salons. Aber mit 38 Jahren starb George Gershwin dann an einem Gehirntumor. Doch die Tür, die er dem Jazz und dem Blues geöffnet hatte in die weiße Kultur hinein, die haben sie danach nicht mehr zugekriegt!